Neues Deutschland, 02.07.2014
Geopfert im »Sachsen-Sumpf«
Opposition vermisst Aufklärungswillen und kritisiert Umgang mit vermeintlich Schuldigen
Sachsens Regierung hat sich nach Ansicht der Opposition nie ernsthaft bemüht, die ab 2007 kursierenden Gerüchte zum »Sachsen-Sumpf« aufzuklären. Statt dessen wurden Menschen zerstört. Die Liste der Geschädigten ist lang. Ein Ex-Chef des Verfassungsschutzes: dienstunfähig. Eine frühere Referatsleiterin der Behörde: krank und seit Jahren von einem Strafprozess bedroht. Ein Ex-Polizist: ins berufliche Abseits gedrängt. Zwei einstige Prostituierte: öffentlich diskreditiert. Zwei Journalisten: vor Gericht gezerrt und erst in zweiter Instanz freigesprochen. Von »zerstörten und psychisch belasteten Menschen« spricht der sächsische
SPD-Abgeordnete Karl Nolle. Es sind gewissermaßen die Opfer des »Sachsen-Sumpfes«.
»Sachsen-Sumpf« - unter diesem griffigen Kürzel wurde ab Mai 2007 bundesweit über eine Affäre berichtet, bei der es um angebliche Verquickungen zwischen Politik, Justiz und Polizei in Sachsen sowie der organisierten Kriminalität (OK) ging. Auslöser waren Dossiers, die beim zeitweilig für die OK-Beobachtung zuständigen Verfassungsschutz angelegt worden waren. Es ging um Rocker, um italienische Banden und um Juristen, die in einem Leipziger Bordell Sex mit Minderjährigen gehabt haben sollten. Mutmaßungen kochten hoch und wurden durch die legendäre »Mafia-Rede« des damaligen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU) zunächst befeuert, bevor die Staatsregierung den Hebel umlegte und die Angelegenheit klein redete - Tenor: alles heiße Luft.
Ob das stimmt, ist auch sieben Jahre und zwei Untersuchungsausschüsse später offen. Der Grund: »Es hat an Aufklärungswillen gefehlt«, wie Klaus Bartl sagt. Der Anwalt und Abgeordnete der LINKEN leitete das im Mai 2010 eingesetzte zweite Untersuchungsgremium, das wegen der im August anstehenden Landtagswahl jetzt seine Arbeit einstellt. Die Koalition aus CDU und FDP, die schon vor vier Jahren von einem neu aufgezäumten »toten Pferd« sprach, vermag bei der Regierung keine Versäumnisse zu erkennen. Sie verwies schon früher auf Pannen beim Verfassungsschutz.
Bartl indes sagt, man könne noch immer nicht wissen, was an den beim Geheimdienst gesammelten Informationen dran war. Die mit der Überprüfung beauftragte Staatsanwaltschaft Dresden sei »nie adäquat ausgerüstet worden«, sagt er: »Man hat daher nie mit notwendiger Konsequenz ermittelt.«
Der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi geht noch weiter. Akten und Zeugenaussagen belegten, dass Vorwürfe gezielt unter den Tisch gekehrt wurden. So wurden Ermittlungen gegen zwei Juristen wegen möglicher Besuche im Leipziger Bordell »Jasmin« laut Lichdi »von Anfang an mit dem Ziel der Einstellung geführt«. Als Gründe vermutet er den Korpsgeist in der Justiz, womöglich aber auch »bewusste Schiebung«. Zugleich sei mit Nachdruck eine zweite Linie verfolgt worden. »Ermittlungen wurden umgedreht«, sagt Lichdi: gegen jene Verfassungsschützer, Polizisten und Journalisten, die Vorwürfe formuliert, gesammelt oder über sie berichtet hatten.
»Es gab eine Strategie«, sagt auch Nolle, »und die hieß: Leute kaputt machen.«
Auf diese Linie sei Einfluss »von ganz oben« genommen worden, fügt der SPD-Mann hinzu. Dafür habe man im Ausschuss »überraschend deutliche Belege« gefunden.
Nach Ansicht der Oppositionspolitiker, die dem offiziellen Abschlussbericht des Ausschusses ein eigenes Votum entgegen stellen, liegt im Umgang mit der Affäre und den vermeintlich Schuldigen der eigentliche Skandal. Lichdi spricht von einem »gravierenden Versagen des Rechtsstaats«. Zum Teil, heißt es in dem Papier, hätten Verantwortliche hart an der Grenze der Legalität agiert, was als »weiße Korruption« bezeichnet wird.
Der sächsische Sumpf jedenfalls, so lautet das Fazit, bestehe nicht in angeblichen Netzwerken von Politik, Justiz und OK; er sei erst später entstanden: ab Mai 2007. Der Umgang mit den Gerüchten, die krampfhafte Suche nach Schuldigen, das öffentliche Leugnen jeden Skandals - das, heißt es in dem Papier, »ist der eigentliche >Sachsen-Sumpf<«.
Hendrik Lasch