Freie Presse Chemnitz, 03.07.2014
Zwei Sichtweisen zum "Sachsensumpf"
Die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss werden von Opposition und Koalition vollkommen unterschiedlich bewertet.
DRESDEN - Vier Jahre lang haben sie dieselben Aktensammlungen studiert, dieselben Zeugen angehört und dabei nicht wenig Zeit mit dem Thema "Sachsensumpf" verbracht - und dennoch kommen die Vertreter des Regierungslagers nach Abschluss der Arbeit im Untersuchungsausschuss zu einem vollkommen anderen Ergebnis als die aus der Opposition. Das Gremium hatte sich vorgenommen, den Umgang der Behörden mit den 2007 bekannt gewordenen Verfassungsschutzdossiers zu womöglich in Organisierte Kriminalität (OK) verstrickten hochrangigen Juristen, Polizisten und Politikern zu untersuchen. CDU-Obmann Christian Piwarz verwies darauf, dass es "keinerlei Hinweise" auf solche kriminellen und korruptiven Netzwerke gebe. Den "selbst ernannten Aufklärern von SPD, Linken und Grünen" warf er vor, "den Bock zum Gärtner zu machen". Es sei "besonders makaber, dass ausgerechnet diejenigen, die damals die Skandalisierung betrieben haben, heute die Aufarbeitung der Staatsregierung kritisieren".
Zuvor hatten Klaus
Bartl (Linke), Karl Nolle (SPD) und Johannes Lichdi (Grüne) ihr gemeinsames Minderheitenvotum vorgestellt und auf verschwundene Akten, Einflussnahmen von oben, die Einschüchterung von Zeugen, neue Seilschaften und einen fragwürdigen Korpsgeist der Justiz verwiesen. Aus Sicht der drei Fraktionen, auf deren Betreiben der Ausschuss 2010 eingesetzt worden war, ist der unangemessene Umgang des Justizapparates mit dem Verfassungsschutzmaterial der eigentliche "Sachsensumpf".
Beklagt wird vor allem die fehlende politische Unabhängigkeit der Ermittlungen. "Gäbe es in Italien eine Struktur der Justiz wie in Sachsen, hätte dort wohl kein einziger Prozess gegen die Mafia stattgefunden", erklärte Bartl.
SPD-Obmann Nolle sprach von "weißrussischen Vernehmungsmethoden", sein Grünen-Kollege Lichdi von einem "Drehbuch" bei der Abwicklung der Affäre, nach dem sich befreundete und politisch nahestehende Personen die Bälle zugespielt hätten: "Die haben uns sowas von verarscht." Für Lichdi ist auch der Umgang mit zwei ehemaligen Zwangsprostituierten ein Skandal, die wegen Verleumdung angeklagt wurden, nachdem sie zwei Juristen als Ex-Freier erkannt haben wollen.
Nolle verwies derweil auf die gegen Ex-Verfassungsschützer gerichteten "Gegenverfahren". So wurde die einst im Landesamt für die OK-Beobachtung zuständige Referatsleiterin bereits 2010 wegen Verfolgung Unschuldiger angeklagt. Bis heute ist der Prozess gegen sie noch nicht eröffnet. Jurist Bartl bezweifelt auch, dass ein solcher Vorwurf einer Verfassungsschützerin überhaupt gemacht werden kann, (mit dpa)
Ein Drehbuch zur möglichst geräuschlosen Abwicklung der vor sieben Jahren unter dem Namen "Sachsensumpf" bekannt gewordenen Affäre um unappetitliche Vorwürfe gegen Juristen, Polizisten und Politikernein, ein solches filmreifes Schriftstück von Sachsens Verfassungsschützern, Regierungsmitgliedern und Staatsanwälten wurde bislang nicht entdeckt. Und so bleibt dieser Vorwurf aus der sächsischen Landtagsopposition doch nur eine Vermutung.
Der inzwischen zweite Untersuchungsausschuss des Landtags - in dem sich übrigens neben Linken, Grünen und SPD auch Vertreter der CDU erkennbar um Aufklärung bemühten - hat nicht nur aus zahlreichen Zeugenaussagen allerhand Erkenntnisse gewonnen, sondern auch aus einer Vielzahl an internen Dokumenten. Und zusammen erlauben sie sehr wohl den Schluss, dass beim Krisenmanagement hinter den Kulissen nicht alles mit rechten Dingen zuging. So entpuppte sich ein vom damaligen Justizminister als "neutrales Auge" geholter Landgerichtspräsident aus Baden-Württemberg als Einflüsterer selbst für ermittelnde Staatsanwälte. Die wiederum gingen mit den seinerzeit unter Rotlicht-Verdacht stehenden Juristenkollegen deutlich zahmer um als mit den gegen jene aussagenden Ex-Zwangsprostituierten. Und sie griffen am Rande von heiklen Vernehmungen auch schon mal eilig zum Telefonhörer und gaben dein Sprecher des Justizministeriums Bescheid. Und warum wurden nicht alle Fallkomplexe des Verfassungsschutzes für die Justiz aufbereitet? Mehrere Angehörige des Referats für Organisierte Kriminalität hat die Affäre ihre Karriere gekostet - war ihre Arbeit wirklich so schlecht? Ein inzwischen in der Neonazi-Szene ermittelnder Mitarbeiter sollte in den polizeilichen Streifendienst versetzt werden, nur weil er den Klarnamen einer Quelle nicht preisgeben wollte.
Die halbe Republik musste nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Mai 2007 an ein von Mafiosi durchsetztes Sachsen glauben-eine Wahrnehmung, die sich alsbald durch zahlreiche gegenteilige Bekundungen aus Justiz und Politik umkehrte. Sieben Jahre später ist weder das eine noch das andere wirklich gesichert. Das ist, mindestens, das Verdienst des Untersuchungsausschusses.
Tino Moritz