Sächsische Zeitung, 07.07.2014
Der andere Karl - Sozialdemokrat Nolle startete seine Karriere mit Gerhard Schröder und beendet sie mit einer Insolvenz – ein langer Weg.
Vieles ist schon weg. Nur die eine Sache ist ihm dann immer noch geblieben: Karl Nolle, Ex-Unternehmer und bald auch Ex-Politiker, residiert privat weiterhin ganz oben. Vom Dachgeschoss des Fabrikgebäudes im Dresdner Stadtteil Striesen hat der 69-Jährige quasi freien Blick auf sein Lebenswerk. Unter ihm liegt jene Druckerei, welche einst ihm und seiner Frau Christl gehörte. Damals, als noch alles glatt und rechtens für die beiden lief. Und mit ein wenig Kopfrecken kann man in Richtung Dresdner Stadtzentrum Sachsens Landtagsgebäude erahnen. Auch dort hatte der Sozialdemokrat lange Zeit das Sagen.
Doch das alles war einmal. Zur Wahl im August tritt Karl Nolle ebenfalls nicht mehr an. Und wem er deshalb heute in der Dachgeschosswohnung die Geschichte seines langen Weges erzählt, überrascht der gewichtige Mann mit dem listigen Blick mit einer Bitte: „Schreiben Sie nicht nur über den Korruptionsjäger!“ Dabei ist – oder vielmehr war – genau das Nolles Paraderolle. Die hatte den streitbaren Mann über Jahre hinweg zum bekanntesten Sozialdemokraten im Freistaat gemacht. Immer zum Verdruss der dauerregierenden CDU und jener vielen sächsischen Amtsträger, die wegen Nolle um ihre Würden zittern mussten.
Karl Nolle mit Hovawart-Hündin Krissi auf dem Balkon seiner Wohnung
in Dresden-Striesen: „Man muss mit dem Aufhören auch mal anfangen
“© Ronald Bonß
Doch zu jeder Geschichte gibt es eine Vorgeschichte. In diesem Fall ist die wichtig, denn keiner wird als Korruptionsjäger geboren. Wer in den 1960- und 1970er-Jahren rund um Hannover erwachsen wird, ist aber schon viel näher dran als andere. Der junge Karl Heinrich Nolle engagiert sich früh in der Friedens- und Anti-Atombewegung. Als stellvertretender Juso-Chef erhält er bei Wahlen zudem mehr Stimmen als der damalige Vorsitzende – ein gewisser Gerhard Schröder. Mit dem späteren Bundeskanzler teilt sich Nolle auch seine erste Druckerei – ein Mini-Betrieb. 1976 steigt Schröder aus, dessen Anteile übernimmt Nolles Frau. Der Bund fürs Leben hält aber nur bei Christl. Zum Ex-Kanzler hat Nolle keinen Kontakt mehr. „Wegen der Agenda 2010.“ Mehr lässt er sich nicht entlocken. Der kurze Satz klingt bereits genug nach großer menschlicher Enttäuschung.
Lieber erzählt Karl Nolle, wie er in den Osten kam. Ausgerechnet am Tag des Mauerfalls, so will es seine Erinnerung, und auf dem Weg zu Dresdner Freunden. „Wir waren an dem Tag alle unheimlich emotionalisiert.“ Er, der zuvor schon oft in der DDR war, beschloss zu bleiben. Zweifler beruhigt er seither, indem er seinen Familienstatus scherzhaft als „halber Sachse, ein Viertel Thüringer und ein Achtel Pommerer“ beschreibt. Das habe alles gepasst.
Viele Feinde und viel Publikum
Der Neustart in Sachsen erfolgt aber noch außerhalb der Politik, mitten im Kulturbetrieb. So war Nolle 1986 aus der SPD geflogen, weil er dafür geworben hatte, den Grünen die Zweitstimme zu geben. Erst zwölf Jahre später sollte er wieder Mitglied werden. Aus der Zeit stammt auch jener Spruch, den er so gern und oft zitiert: „Es ist stets leichter, mit seiner Partei zu irren, als gegen sie recht zu haben“. Karl Nolle lebt dieses Motto immer noch.
1990 ruft er in Dresden das Stadtmagazin „Sax“ mit ins Leben – verkauft für zwei Ostmark das Stück, deutlich teurer produziert im Westen. Das Projekt habe ihm dennoch viel beschert: Gute Bekannte und Freunde aus der Theater- und Kunstszene – bis heute. Man spürt, wie wichtig ihm das ist. Erst später riecht es mehr nach der klassischen Wessi-Karriere. 1991 kaufen Nolles von der Treuhand die Druckerei unter der heutigen Dresdner Wohnung. Dafür wird der Betrieb in Hannover verkauft, es gibt also kein Zurück. Als Druckereibesitzer im Osten, auch das ist ihm wichtig, wagt das Ehepaar Nolle fortan einen schwierigen Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und öffentlichem Engagement. Das gelingt anfangs sehr gut: Mitarbeiter werden am Unternehmen beteiligt, Karl und Christl Unterstützer zahlreicher Bürgerinitiativen und immer wieder Kulturveranstalter. Mehr als zehn Jahre bringt man zudem ein einzigartiges Lichtdruckmuseum im eigenen Druckhaus finanziell über die Runden. Es ist eine gute, eine schöne Zeit. Und sie sollte noch besser werden.
„Zehn Minuten“, so erinnert sich Nolle, habe er 1999 Zeit gehabt, als ihm der einstige SPD-Chef Karl-Heinz Kunckel einen aussichtsreichen Platz auf der Kandidatenliste zur Landtagswahl anbot. Seine Entscheidung ist bekannt. Und die sorgte schnell für jenes Etikett, das bis heute an Karl Nolle haftet – der emsige Kämpfer gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch oder gegen alles, was er dafür hält.
Als Landtagsabgeordneter geht er umso stärker in dieser Rolle auf, als sich dafür mehr und mehr ein dankbares Publikum fand. Der „Korruptionsjäger“ steht am Ende auf einer großen Bühne. Nolles jahrelange Attacken füllen heute die Archive der sächsischen und bundesweiten Medien. Er selber präsentiert sie Besuchern gern detailliert aufgelistet auf einem A4-Blatt.
Vor allem den Rücktritt des früheren CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der 2002 irgendwo zwischen Ikea-Rabatt, Billigmiete im staatlichen Gästehaus und der Amtshilfe für engste Freunde scheiterte, rechnet sich Nolle als Erfolg an. Auch den Handtuchwurf von Amtsnachfolger Georg Milbradt (CDU), der mit der Beinahe-Pleite der Landesbank scheiterte, nimmt er für sich in Anspruch. Zwischendurch trifft es andere: Abgeordnete, Landräte, Bürgermeister, Spitzenpolizisten, Bankchefs und Handwerkspräsidenten, denen die exklusiv an Karl Nolle durchgestochenen brisanten Informationen zum Verhängnis werden. Seine Liste auf dem A4-Blatt ist lang.
Mit dem Erfolg wächst aber auch der Druck. Zunächst von der Masse der attackierten Amtsträger, später auch von einigen SPD-Genossen, die seit 2004 mit in Sachsens Regierungsboot sitzen. Nolle verweist auch hier auf seinen Lieblingsspruch.
Ein zähes Ende und ein langes Glück
Das Ende beginnt langsam, aber es kommt. Vorwürfen gegen den Unternehmer folgt ein konstruiert wirkendes Steuerverfahren. Dazu wirken die Flaute der Druckbranche und eine neue Aktion Nolles. Per Buch zum Thema und dem Vorwurf einer früheren „DDR-Blockflöte“ bringt er nun auch Milbradts Nachfolger Stanislaw Tillich (CDU) zum Wanken – aber der kippt nicht. Dafür die öffentliche Stimmung. Viele Ostdeutsche sehen sich diesmal ungerecht in Mithaftung genommen. „Das tut mir leid, das wollte ich nicht“, meint Nolle heute.
Der Problemstrudel dreht sich nun noch schneller. Indiskretionen der Regierung zu Nolles Geschäftszahlen, stornierte Aufträge, verzögerte Kredithilfen. Racheakte, da ist er sich völlig sicher. 2012 ist das Druckhaus endgültig pleite, das Ehepaar Nolle haftet für enorme Schulden. Dazu die Gesundheitsprobleme: drohende Beinamputation, Nierenstein, Kreislaufkollaps, Asthmaanfälle. Kämpfer Karl geht in die Knie. Aber auch hier hilft Christl. Wie in allen Jahren. Heute gibt sie ihm vor dem Besucher einen langen Kuss, bevor sie mit Familienneuling Krissi, einer Hovawart-Hündin, eine Runde dreht. Karl schaut ihr dankbar nach. „Man muss mit dem Aufhören auch mal anfangen“, meint er plötzlich.
Von Gunnar Saft
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