DNN/LVZ, 12.09.2014
"Der Verfall der Infrastruktur stellt eine Art Staatsverschuldung dar"
Bauindustrieverbandschef Michael Knipper fordert mehr privates Kapital für öffentliche Projekte
Leipzig. Deutschland braucht wegen des Verfalls der Infrastruktur eine Investitionswende - das sagt Michael Knipper (61), Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie.
Die deutschen Baufirmen haben in diesem Jahr sicher schon häufiger die Sektkorken knallen lassen. Der nahezu ausgebliebene Winter zu Jahresbeginn hat ja ordentliches Wachstum beschert
.Tatsächlich ist die deutsche Bauindustrie toll ins Jahr 2014 gestartet.
Das heißt konkret?
Die Betriebe steigerten ihre Umsätze im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 13 Prozent. Allein im ersten Quartal kletterte die Erlöse um 26 Prozent, im zweiten immerhin nochmals um fünf Prozent. Der geringere Anstieg von April bis Juni ist dennoch bemerkenswert.
Wieso?
Weil die Betriebe im vergangenen Jahr in diesem Zeitraum die Ausfälle vom ersten Quartal - da machte der harte Winter ihnen einen Strich durch die Rechnung - aufholen mussten und daher ein ordentliches Wachstum verzeichneten. Hier ein weiteres deutliches Plus zu schaffen, ist schon eine starke Leistung.
Haben die ostdeutschen Baufirmen auch so prächtig zugelegt?
Sie bewegten sich beim Umsatzplus von Januar bis Juni etwa auf dem Bundesdurchschnitt, das kann sich sehen lassen.
Ist dieser Höhenflug zu halten?
In diesem Tempo wird es nicht weitergehen. Dennoch reicht das Umsatzpolster aus der ersten Jahreshälfte aus, um im Gesamtjahr im Plus zu bleiben. Selbst ein leichtes Umsatzminus in den nächsten Monaten wäre verkraftbar. 2014 ist sozusagen für die deutsche Bauindustrie gelaufen.
Wo wird sie am Ende des Jahres landen?
Wir rechnen mit einem Umsatzplus von 4,5 Prozent.
Wieso sind Sie da so sicher?
Weil die Firmen im ersten Halbjahr weitere Aufträge an Land ziehen konnten. Die Ordertätigkeit stieg im ersten Halbjahr nochmals um drei Prozent. Der Osten lag sogar leicht darüber.
Welches Auftragsvolumen steht konkret in den Büchern?
29 Milliarden Euro waren es Ende Juni - so viel wie seit 1999 nicht mehr.
Dann scheint ja alles paletti zu sein.
Bei allem Optimismus: Ich sehe dennoch einige Gefahren.
Welche?
Der Blick auf die Investitionsquote in Deutschland treibt mir schon Sorgenfalten auf die Stirn. Die Nettoinvestitionsquote - also das Investitionsvolumen bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt nach Abzug der Abschreibungen - ist seit Jahren rückläufig. Betrug sie 1991 immerhin 9,5 Prozent, waren es im vorigen Jahr nur noch 2,3 Prozent. Und im öffentlichen Bau sieht es ganz düster aus.
Inwiefern?
Hier decken die Investitionen nicht einmal mehr die Abschreibungen. Das heißt, wir haben es mit einem Verfall der Bausubstanz zu tun. Dieser Werteverzehr am öffentlichen Kapitalstock setzt sich fort. 2012 und 2013 waren das immerhin jeweils mehr als vier Milliarden Euro. Der daraus resultierende Verfall der Infrastruktur stellt ebenfalls eine Art der Staatsverschuldung zu Lasten der nächsten Generationen dar. Deutschland braucht eine Investitionswende.
Die soll ja kommen. Immerhin erhält der Bau mehr Geld von der öffentlichen Hand. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat allein bei den Infrastrukturausgaben fünf Milliarden Euro draufgepackt.
Stimmt, aber diese Summe verteilt sich auf die Jahre bis 2017. Zugleich wurden 900 Millionen wieder abgezwackt zum Ausgleich der Maut-Mindereinnahmen. So wächst der Jahres-Etat für den Verkehrsbau nur marginal, im laufenden Jahr stehen sogar gut 200 Millionen weniger zur Verfügung als 2013. Rechnet man noch die Preissteigerungsrate raus, bleibt am Ende nicht mehr übrig als bislang. Und das, obwohl jetzt schon auf Verschleiß gefahren wird.
Inwiefern?
Experten haben festgestellt, dass allein in die Erhaltung unserer Verkehrswege jährlich rund 7,2 Milliarden Euro mehr gesteckt werden müssten - und zwar über einen Zeitraum von 15 Jahren, wenn dort der aufgelaufene Investitionsstau abgebaut werden soll. Aber Schäuble peilt eine schwarze Null an, will also eine Neuverschuldung des Staates verhindern. Das ist doch ein ehrenwertes Ziel. Wenn allerdings dadurch wertvolle Infrastruktursubstanz ruiniert wird, haben die Generationen nach uns auch ein riesiges und vor allem teures Problem. Der scheinbare Segen, keine neuen Schulden zu machen, entpuppt sich so als ein Fluch.
Wo sehen Sie einen Ausweg?
In der Mobilisierung privaten Kapitals für öffentliche Bauprojekte. Da sind wir uns mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einig.
Das funktioniert doch bereits. Gerade erst wurde die auf 19 Kilometern ausgebaute A9 zwischen Triptis und Schleiz freigegeben - ein "Erfolg öffentlich-privater Partnerschaften", wie Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) einschätzte.
Richtig. Es gibt einige Beispiele. Allerdings sind sie noch eher die Seltenheit. Mehr sind dringend erforderlich. Zumal der große Vorteil ist: Die privat realisierten Vorhaben werden rascher und kostensicherer in hoher Qualität fertiggestellt. Die öffentliche Hand hat nicht immer ein glückliches Händchen als Bauherr. Der City-Tunnel in Leipzig, die Elbphilharmonie in Hamburg, der Flughafen Berlin sind nur einige öffentliche Bauprojekte, wo es zu erheblichen Verzögerungen und damit zu drastischen Verteuerungen gekommen ist. Das kann sich der Staat auf Dauer nicht leisten.
Interview: Ulrich Langer/Ulrich Milde