DNN/LVZ, 22.09.2014
"Lebt wohl" - Leipziger Grünen-Parteitag vom Hermenau-Rückzug überrascht / Klares Nein zu Schwarz-Grün
Leipzig. In Antje Hermenau brodelte es. Das war ihr anzusehen, als sie am Samstag die wenigen Stufen zum Rednerpult hinaufging. Ihr Lieblingsprojekt, ihr politisches Lebensthema Schwarz-Grün war bereits am Donnerstagabend am Nein des Landesparteirates gescheitert. Dennoch sollten die Delegierten in Leipzig das Votum gegen eine Koalition mit der CDU abnicken. Hermenau, die im Landesparteirat anderer Meinung als die Mehrheit war, sollte wenigstens ihre Sicht darlegen dürfen. Und genau an dieser Stelle holte Hermenau zu ihrem finalen Schlag aus. Mit dem gehörigen Maß an Überzeugung und Selbstgewissheit, das sie immer ausgemacht hatte.
Die ehemalige Grünen-Fraktionschefin prüfte in den nächsten vier Minuten die Gewissheiten ihrer Partei: Die Grünen hätten so schlecht bei der Landtagswahl abgeschnitten, höre sie immer wieder, weil die Wähler mit Rot-Rot-Grün-Faible nicht mehr für die Ökopartei gestimmt hätten. Dann sei aber klar, führte Hermenau weiter aus, wer überhaupt noch für die Grünen am 31. August votiert habe: die Befürworter von Schwarz-Grün. Die Basis grummelte bei diesen Worten vernehmlich. Hermenau machte das nichts aus.
"Wir beschließen gerade, den Wählerauftrag derer anzunehmen, die uns nicht gewählt haben!", rief sie ihren Parteifreunden zu. Dafür stehe sie aber nicht: "Ich werde das nicht behindern. Ich werde das auch nicht hämisch kommentieren. Ich wünsche Euch allen gemeinsam viel Erfolg. Wir fangen noch mal ganz von vorne an." Und dann fügte sie beinahe leise an: "Lebt wohl!"
Hermenau wusste, was sie für ein politisches Erdbeben ausgelöst hatte, als sie von der Bühne und ungerührt zu ihrem Platz ging. Der Führungszirkel der Grünen war in den nächsten Minuten vollkommen ungeordnet. Fragende Gesichter überall. Immer wieder wurde Hermenau konsultiert. Zähe Minuten vergingen, bis ein Pressestatement anberaumt war, bei dem die Spitzenpolitikerin subtil nachtrat. Sicher, ihr Rückzug hänge am Nein zu Schwarz-Grün, sagte sie. Aber: "Ich fand die letzten zwei Jahre des persönlichen Umgangs dann doch sehr anspruchsvoll und bin persönlich eher geneigt, mich freundlicheren Mitmenschen zu widmen." Als sie danach auch die ratlosen Delegierten informierte, klang das ähnlich. Auf den Fluren sei schon kolportiert worden, sie wechsle nun zur CDU-Fraktion, hob sie an. "So etwas würde ich nie machen. Aber dass mir das schon wieder unterstellt wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Klima in diesem Landesverband." Nach diesen Worten spendeten ihr nur die wenigsten Beifall - eine gespenstische Atmosphäre.
Parteichef Volkmar Zschocke musste die Situation retten. In einer kurzen Rede dankte er Hermenau für ihre Verdienste. In seinen Worten wurde aber auch deutlich, dass nicht nur Hermenau ihre Partei manchmal als Belastung empfand. Auch umgekehrt ist es so gewesen. "Du bist oft mit Deinen Überlegungen und Deinen Vorstellungen vornweg gewesen", sprach er sie an. "Wir mussten gemeinsam überlegen, wie wir es schaffen, dass der Verband da mitgeht." Und auch sein Hinweis, dass Hermenau nie nur in der grünen Nische geblieben sei, mögen viele Delegierte als leise Kritik an der einstigen Spitzenkraft verstanden haben.
Der Leipziger Parteitag zeigte einmal mehr, wie schwach der Hermenau-Flügel bei den Grünen ist. Viele Redner sprachen sich vehement gegen eine politische Ehe mit der CDU zu diesem Zeitpunkt aus. Die Grünen, so drückte es beispielsweise die Abgeordnete Eva Jähnigen aus, wären nur eine "reine Umweltfunktionalpartei" für die Union gewesen.
Am Ende wurde das Nein des Landesparteirates zur schwarz-grünen Koalition mit fünf Nein-Stimmen, sechs Enthaltungen bei übergroßer Mehrheit bestätigt. Hermenau beteiligte sich nicht an der Abstimmung. Sie war da schon nicht mehr im Saal.
Von Kai Kollenberg