Sächsische Zeitung, 22.09.2014
"Lebt wohl!" - Große Überraschung: Frontfrau Antje Hermenau gibt nach dem Nein zu Schwarz-Grün Landtagsmandat auf.
Sie hat alles auf eine Karte gesetzt und ist gescheitert:
Als sich ihre Partei am Wochenende gegen schwarz-grüne Koalitionsgespräche entscheidet, wirft Grünen-Spitzenfrau Antje Hermenau hin. Nach zehn Jahren an der Spitze der Landtagsfraktion erklärt sie auf dem Parteitag in Leipzig überraschend ihren Verzicht auf das neu errungene Landtagsmandat und den Rückzug aus dem Politikgeschäft. Den Dresdner Kreisverband, mit dem sie lange über Kreuz lag, werde sie verlassen und lcünftig im Kreisverband Bautzen aktiv sein, der ihre schwarz-grünen Ambitionen eher teilt.
Für Hermenau rückt die Bautznerin Franziska Schubert im Landtag nach. Hätte der Parteitag anders entschieden, hätte sie ihr Mandat behalten, stellt sie klar: "Da hätte ich gerne vermittelt." Nach Hermenaus vierminütiger Rede bleiben ratlose Gesichter: "Lebt wohl!" ruft sie in den Saal - ohne weitere Erklärungen. Eine knappe Stunde später sagt die 50-Jährige zunächst vor Journalisten: "Ich bin 50 Jahre alt, ich habe zehn Jahre lang eine Fraktion aufgebaut, drei Mal in den sächsischen Landtag geführt und viele Widrigkeiten in Kauf genommen - ich fang nicht nochmal persönlich von vorne an." Sie werde sich jetzt vor allem ihrem Sohn widmen und eine Agentur für Politikberatung gründen. Das Gewerbe sei schon angemeldet.
Die studierte Lehrerin Hermenau war Gründungsmitglied der sächsischen Grünen, saß von 1990 bis 1994 im Landtag, bis 2004 im Bundestag und genießt als Finanzpolitikerin selbst in der CDU einen guten Ruf. Den persönlichen Umgang bei den Grünen habe sie in den letzten zwei Jahren indes als "sehr anspruchsvoll" erlebt. Sie werde sich jetzt "freundlicheren Mitmenschen" widmen.. Hinter dem Rückzug steckt ein jahrelanger innenparteilicher Flügelkampf um die schwarz-grüne Machtoption, in dem Hermenau oft in der Minderheit war. Schon die Debatte um die Schuldenbremse in der Verfassung seit mehr als zwei Jahren geriet zur Machtprobe. Im Wahlkampf stellte man der Frontfrau mit Parteichef Volkmar Zschocke einen Ko-Kandidaten und Konkurrenten an die Seite - eine weitere Demütigung.
Als nach der Landtagswahl rechnerisch die schwarz-grüne Option bestand, gab Hermenau die Fraktionsspitze an Zschocke ab, um überhaupt noch an Sondierungsgesprächen teilnehmen zu dürfen - und vielleicht als Ministerin in ein Kabinett einzuziehen. Mit der Entscheidung, diese Regierungsoption nicht zu nutzen, war für sie der Ofen endgültig aus. Nach dieser Vorgeschichte noch als einfache Abgeordnete unter Zschocke in der Fraktion zu dienen, war völlig unrealistisch. Wie tief die Gräben sind, verdeutlicht eine weitere Szene des Parteitags: Kurz nach Hermenaus "Lebe wohl" machen Gerüchte die Runde, sie werde sich in die CDU-Fraktion absetzen. Hermenau keilt sofort zurück: "So etwas werde ich nie machen! Aber dass mir das schon wieder unterstellt wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Klima in diesem Landesverband."
Der Leipziger Ex-Abgeordnete Michael Weichert zeigte Verständnis für seine frühere Chefin. "Was seit der Diskussion um die Schuldenbremse gegen die Person Antje Hermenau geschossen, gestänkert und intrigiert worden ist, ist mehr, als mancher aushalten kann." Kritiker werfen ihr indes vor, viel zu spontan, eigensinnig und zu wenig teamfähig zu sein. Auch jetzt. "Dass sie eine so persönliche Entscheidung ohne Konsultation mit anderen trifft, ist für mich menschlich enttäuschend", sagte der Dresdner Grüne Karl-Heinz Gerstenberg vor Fernsehkameras.
Hermenau hätte als Profipoliükerin die junge Fraktion unterstützen können. Wie schwer der Verlust des politischen Schwergewichts wiegt, macht auch Parteichef Zschocke deutlich: "Antje Hermenau war das Gesicht der sächsischen Grünen." Jetzt ist es an ihm und Vorstandkollegin Claudia Maicher, die große Lücke zu füllen. Ob die beiden Fraktionsspitzen auch Partei-Sprecher bleiben, ist umstritten und wird erst im Dezember entschieden.
Im Widerhall des Paukenschlags ging das eigentlich Wichtige fast unter: Mit großer Mehrheit, bei nur einer Handvoll Gegenstimmen und Enthaltungen, folgen die gut 100 Delegierten der Empfehlung des Parteirats und stimmten gegen Verhandlungen mit der CDU. "Ein Ministersessel ist nicht der Hafen, den wir ansteuern wollen. Dafür verraten wir unsere Überzeugungen nicht", betont Parteichef Volkmar Zschocke. Das Mindeste wäre ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle gewesen, um die Klimaziele zu erreichen. "Wir haben die Hürden nicht zu hoch gehängt", entgegnet Zschocke auf Kritik. Die langjährige Dresdner Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen spricht aus, was viele denken: Von den Anforderungen an eine moderne Gesellschaft sei Sachsens CDU weiter entfernt als die Union auf Bundesebene.
Hermenau hat darauf ihre eigene Sicht: Die Grünen würden ihren Wählerauftrag für Schwarz-Grün verraten und die Ziele derer umsetzen, die sie nicht gewählt haben. Eine Neu-Aufstellung als linke grüne Partei sei falsch.
von Sven Heitkamp
