Freie Presse, 22.09.2014
Hermenau zieht sich aus Politik zurück
Grüne Spitzenpolitikerin kritisiert Kurs der Partei. Mit Antje Hermenaus Rückzug kommt Sachsens Grünen plötzlich ihr schwarz-grünes Gesicht abhanden. Hermenau beklagt einen falschen Kurs - und "ganz üble Nachrede".
Leipzig - Das Nein zu einer Regierungsbeteiligung in Sachsen hat die Grünen ihr bekanntestes Gesicht gekostet. Antje Hermenau, Gründungsmitglied und langjährige Fraktionschefin im Landtag, verkündete auf einem Landesparteitag am Samstag in Leipzig ihr Ausscheiden aus der Politik. Die Entscheidung, keine Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufnehmen zu wollen, sei falsch, sagte die 50-Jährige vor den gut 100 Delegierten. Die nahmen einen entsprechenden Beschluss des Landesparteirates dennoch mit nur fünf Gegenstimmen bei sechs Enthaltungen an. Hermenau verzichtet auf ihr Landtagsmandat. Für sie rückt Franziska Schubert aus der Oberlausitz nach.
Es hätte am Samstag ein normaler Grünen-Parteitag werden können. Die Organisatoren hatten sich wie schon bei früheren Treffen der kleinsten Oppositionspartei Sachsens eher darum gesorgt, ob die Presse überhaupt kommen wird. Schließlich stand die seit der Wahl am 31. August diskutierte Option auf eine Regierungsbeteiligung gar nicht mehr zur Debatte. Am Donnerstagabend hatte der Parteirat nach Auswertung der Sondierungen mit der CDU entschieden, dass die Unterschiede in zentralen Fragen zu groß seien, um Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Am Freitag lud die CDU die SPD ein, und die nahm dankend an. Die Ost-Premiere von Schwarz-Grün war gegessen.
Es hätte am Samstag in Leipzig also allenfalls noch um die Bestätigung dieses Kurses und um eine Auswertung des Wahlkampfs gehen sollen. Aber das durchkreuzt eine Frau in Blau: Antje Hermenau. Einen Redebeitrag hatte sich die langjährige Fraktionschefin vorab von der Parteitagsregie zusichern lassen. Und der reicht aus, um alle Planungen über den Haufen zu werfen. Über Inhalte spricht die dreimalige Spitzenkandidatin nicht. Dass der 50-Jährigen im Unterschied zu allen anderen vier grünen Mitsondierern und fast allen Mitgliedern des Landesparteirats die Zugeständnisse der CDU ausgereicht hätten, um in den nächsten Wochen Schwarz-Grün zu verhandeln, war bereits am Freitag bekannt geworden. Jetzt geht es ihr um eine strategische Prophezeiung - und wohl auch ein wenig um sich.
Die 5,7 Prozent hätten die Grünen in Sachsen den Wählern zu verdanken, die Schwarz-Grün mindestens in Kauf nehmen würden. Diesen "Wählerauftrag" nun nicht anzunehmen, sei "strategisch ein schwerer Fehler". Dass die Grünen mit der CDU "schöne Gespräche" geführt hätten, nennt Hermenau "politische Koketterie" - die sich jedoch nicht auszahlen werde, "wenn sich in der politischen Landschaft in Sachsen alle Parteien neu aufstellen". Die AfD werde als zweite Anlaufstelle für konservative Wähler - neben der Union - auch zum Problem für die Grünen. Sachsens Sozialdemokraten würden in die Mitte und die Grünen zwischen sie und die Linke rücken: "Gute Verrichtung!" Man solle sich "keine Illusionen" machen, die Aufstellung als "linke grüne Partei" sei falsch. Behindern werde sie das nicht, "auch nicht hämisch kommentieren". Sie wünsche "viel Erfolg", fügt sie hinzu - und dann: "Ihr fangt noch mal ganz von vom an. Lebt wohl."
Zwei Worte, die zunächst nur fernab vom Podium hektische Betriebsamkeit auslösen - was haben sie zu bedeuten? Ihren Rückzug als Fraktionschefin hatte Hermenau schon neun Tage zuvor bekannt gegeben, dabei aber in einem MDR-Interview auch einen Mandatsverzicht ausgeschlossen. Die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar traut sich ein paar Minuten später, Hermenau vom Rednerpult aus nach der Bedeutung ihres "Lebt wohl" zu fragen - aber auf die Antwort muss sie wie die anderen etwa 100 Grünen im Saal noch etwas warten.
Hermenaus Drehbuch sieht nach dem Einweihen des noch am Morgen ahnungslosen Parteichefs Volkmar Zschocke und weniger Getreuer zunächst ein Statement vor der Presse vor, die natürlich auch schon angefragt hat. Der erklärt Hermenau, dass sie nun doch nicht ihr Landtagsmandat annehmen werde. Dass sie in der Partei bleibe, sich aber aus dem "aktiven Geschäft von Bündnis 90/Die Grünen" zurückziehe und zudem in den Kreisverband Bautzen wechsle - weil im Dresdner "die Chemie sehr anstrengend" und sie dort zuletzt "nur beschimpft" worden sei. Erst am Freitag habe sie ein Gewerbe angemeldet, sie werde als Beraterin für "politische Strategie, politische Kommunikation" arbeiten. "Ich habe es nicht nötig gehabt, mein Geld in der Politik zu verdienen, ich werde es auch in Zukunft nicht nötig haben", fügt sie hinzu. Seit 24 Jahren ist Hermenau Berufspolitikerin. Zwischen 1994 und 2004 saß sie im Bundestag, davor und danach im Landtag. Bis jetzt.
Die Grünen-Delegierten kommen erst danach dran - und zwar mit Schmackes. Ihr "Lebt wohl", klärt Hermenau den Saal auf, "bedeutet nicht, wie einige schon wieder boshaft kolportieren, dass ich das Mandat nehme und in eine andere Fraktion wechsle. Sowas würde ich nie machen. Aber dass mir das schon wieder unterstellt wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Klima in diesem Landesverband." Für sie werde die Grüne Franziska Schubert aus der Oberlausitz nachrücken - "alles andere gehört in die zwei Jahre lange Reihe ganz übler Nachrede zu meinem Charakter." Schluss und Stille im Saal, eine Hand voll Grüner steht auf und spendet im Stehen Applaus, andere schütteln den Kopf. Zuviel über Hermenaus umstrittenen Führungsstil ist nach außen gedrungen, als dass ihr nun die alleinige Opferrolle abgenommen wird. Unter langjährigen Weggefährten gehen die Meinungen auseinander. Michael Weichert kann Hermenau verstehen, Karl-Heinz Gerstenberg nennt den Alleingang "menschlich enttäuschend". In der achtköpfigen Fraktion mit sechs Neulingen hätte sie "eine dienende Funktion als erfahrene Profi-Politikerin" gehabt, sagt Gerstenberg dem MDR.
Partei und Fraktionschef Zschocke, dessen Loyalität keine Grenzen zu kennen scheint, drückt am Rednerpult sein Bedauern über ihren Abgang aus. Links seien Sachsens Grüne nicht, sagt er vor Journalisten. Die Ablehnung von Schwarz-Grün begründet er ausschließlich damit, dass die CDU zu wenig angeboten habe. Das sehen in Leipzig fast alle Grünen so. "Wir wären im Regierungsbündnis eine reine Umweltfunktionalpartei für Modellprojekte und Förderprogramme geworden. Und alles andere hätte so bleiben sollen, wie es jetzt ist", sagt Mitsondiererin Eva Jähnigen. Nur fünf Delegierte stimmen später gegen die Absage der Koalitionsgespräche. Hermenau ist das egal, den Saal hat sie da längst verlassen.
von Timo Moritz