Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 22.09.2014

Jahresbericht Deutsche Einheit: - Osten hinkt hinterher

 
Jahresbericht Deutsche Einheit: Der ökonomische Aufholprozess hat sich seit 1997 deutlich abgeschwächt. Peter Heimann über den Jahresbericht zum Stand der Einheit - Osten hinkt hinterher

Dresden. Fast 25 Jahre nach der Wiedervereinigung hinken die ostdeutschen Länder dem Westen immer noch weit hinterher. Das Bruttoinlandprodukt pro Einwohner erreichte 2013 im Osten lediglich 66,6 Prozent des Westniveaus. Das geht aus dem neuen Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit hervor, der am Mittwoch im Bundeskabinett beraten werden soll. Weiter heißt es darin, der Aufholprozess habe sich in den letzten Jahren "deutlich abgeschwächt".

Die Bundesregierung hat auf 140 Seiten viele gute, aber auch einige weniger gute Fakten über Ostdeutschland zusammengetragen. Herausgekommen ist der neue Jahresbericht Deutsche Einheit, der übermorgen im Bundeskabinett behandelt wird.

Das umfangreiche Werk zeichnet ein geteiltes Bild: Einerseits könnten die Menschen in Ost und West auf das gemeinsam Erreichte stolz sein. In den meisten Lebensbereichen seien heute "gleichwertige Lebensverhältnisse erreicht. Der Verfall der Innenstädte sei aufgehalten, die verheerende Umweltverschmutzung gestoppt worden. Viele Altlasten seien beseitigt, die Wohnsituation der Haushalte habe sich deutlich verbessert. Das Verkehrsnetz wurde neu und ausgebaut, der Zugang zu Bildungsgängen sei so offen wie nie zuvor.

Andererseits konstatiert die Bundesregierung noch etliche spürbare Unterschiede. Insbesondere bei der Angleichung der Wirtschaftskraft, der Löhne und auf dem Arbeitsmarkt haben die neuen Länder deshalb nach ihrer Einschätzung "noch einen merklichen Nachholbedarf". Die SZ analysiert wesentliche Details: Der wirtschaftliche Abstand zum Westen wird nicht kleiner Die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer ist laut Bericht weiterhin etwa ein Drittel geringer als in Westdeutschland. Der ökonomische Aufholprozess habe sich in den letzten Jahren "deutlich abgeschwächt".

Zwar habe Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung eine beachtliche Steigerung der wirtschaftlichen Leistung erreicht. Das Bruttoinlandsprodukt habe sich von 1992 bis heute in etwa verdoppelt, so der Einheits-Bericht: Aber "ab etwa 1997 hat sich der jährliche Zuwachs deutlich abgeschwächt". Das je Einwohner erzeugte Bruttoinlandsprodukt, Indikator der Leistungsfähigkeit, lag demnach 2013 im Osten bei 66,6 Prozent des Westniveaus. Auch der Abstand in der Arbeitsproduktivität habe sich zuletzt nicht mehr "wesentlich verkürzt". Sachsen noch weit hinter dem schwächsten West- Land Ostdeutschland ist zwar wirtschaftlich betrachtet vielfältiger geworden. Dennoch bleiben die Unterschiede zwischen den neuen Ländern eher gering - und die Leistungskraft aller weiterhin weit hinter der im Westen. So lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Sachsen etwa sechs Prozent über dem in Mecklenburg-Vorpommern. Aber damit immer noch gut 14 Prozent unter dem Niveau des wirtschaftsschwächsten westdeutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein.

Der Lohnabstand hat sich nur wenig verändert Die Löhne im Osten sind auf durchschnittlich 2390 Euro monatlich gestiegen. Die Relation gegenüber Westdeutschland (3 060 Euro) hat sich aber mit etwa 80 Prozent seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr wesentlich geändert. Industrie bleibt Motor für mehr Wachstum - aber auf niedrigem Niveau. Das jährliche Wachstum der Industrie betrug - allerdings von niedrigem Ausgangspunktseit 1995 rund fünf Prozent. Der Industrie kommt deshalb eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung zu, weil deren Produkte dazu geeignet sind, auch überregionale Märkte zu bedienen und dadurch Einkommen und Wertschöpfung in der Region zu erhöhen.
 
Der Industrieanteil an der ostdeutschen Wirtschaftsleistung liegt mittlerweile wieder bei 15 Prozent - etwa auf europäischen Vergleichswert. Gemessen an der gesamtdeutschen Industrie liegt der Ost-Anteil nur bei neun Prozent - bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 1991 nicht mehr Die Arbeitslosigkeit war mit 870 000 Personen auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Trotz der Erfolge auf dem Arbeitsmarkt lag die Arbeitslosenquote aber immer noch bei 10,3 Prozent im Durchschnitt des Jahres 2013. Zum Vergleich: In Westdeutschland lag sie bei sechs Prozent. Ost-Rente soll 2020 ans Westniveau angeglichen sein. Im Bericht wird das Vorhaben des Koalitionsvertrages wiederholt: Zum Ende des Solidarpaktes II Ende 2019 soll in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der noch unterschiedlichen Rentenwerte in Ost und West erfolgen.

Erstmals Aussagen zum Alltag der Menschen in der DDR.

Erstmals ist dem Bericht zum 25. Jubiläum eine Einschätzung der Tage der Friedlichen Revolution bis hin zu Mauerfall und Einheit vorangestellt. Darin wird auch der Alltag in der DDR beschrieben: "Der ganz großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ging es darum, ein, anständiges Leben zu führen." Viele zogen sich ins Private zurück, um der umfassenden politischen und sozialen Kontrolle zu entgehen. "Es gab auch viele glückliche und verbindende Erlebnisse der Menschen untereinander - trotz des repressiven Staates." Man hatte die Familie, den Freundeskreis und Kolleginnen und Kollegen.
 
Der grundlegende Befund zum Stand der deutschen Einheit im Jahr 2014 lautet: Im Osten nichts Neues. Alles wissen inzwischen, dass Helmut Kohls schöner Traum vom schnellen Aufblühen der Landschaften von der Niederlausitz bis zur Prignitz ein klein wenig zu kühn war. Andererseits lag der Alt-Kanzler mit seiner Vision auch nicht gänzlich falsch. Wer als Besucher mit dem Ausflugsdampfer vom Dresdner Terrassenufer aus Richtung tschechischer Grenze unterwegs ist, wer über ostdeutsche Autobahnen fährt, wer an Porsche in Leipzig denkt, hält den Aufbau Ost für sehr gelungen, manchmal gar für übertrieben.

Kurzum: Das Bild Ostdeutschland ist, je nach dem, aus welcher Richtung man draufschaut, nicht vollkommen einheitlich. Es gab viele Schwierigkeiten, fast unlösbare Probleme und harte persönüche Schicksale, die man weder ausblenden noch schönreden sollte. Und dennoch hat sich Ostdeutschland im letzten Vierteljahrhundert mit enormen Anstrengungen und ebensolchem finanziellem Aufwand in einem Ost-West-Gemeinschaftswerk zu einem leistungsfähigen Wirtschaftsstandort mit moderner Infrastruktur entwickelt. Die Lebensverhältnisse sind auf vielen Gebieten gleichwertig. Viele Osteuropäer beneiden uns zu Recht. Ein Erfolg, der im Alltag oft zu wenig gewürdigt wird. Vieles blüht inzwischen, auch wenn anderes - leider - verwelkte.

Nun hat sich die wirtschaftliche Angleichung nach Einschätzung der Bundesregierung abgeschwächt. Exakter müsste heißen: Sie ist zum Erliegen gekommen. Der Osten holt ökonomisch nicht mehr auf. Gänzlich überraschend kommt dieser nun schon einige Jahre andauernde Befund nicht. Umso wichtiger wird sein, dass die neuen Länder bei der anstehenden Neuordnung der innerdeutschen Finanzhilfen nicht hinten runterkippen. Auch nach dem Auslaufen des Soli-Paktes 2019 werden alle Ost-Länder Hilfe benötigen, sollen finanzielle Brüche vermieden werden. Die Wirtschaftskraft der neuen Länder liegt halt nur bei zwei Dritteln des Westens, die Steuerkraft ist noch niedriger. Wer also so tut, als fehle Sachsen oder Thüringen nur noch wenig, um zu Bayern oder Baden - Württemberg aufzuschließen, erliegt am Ende seiner eigenen Propaganda - mit fatalen Folgen.

von Peter Heimann

Karl Nolle im Webseitentest
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