tageszeitung - taz, 24.09.2014
handygate und Sportgruppe frei - Die "kriminelle Vereinigung" wegen der sie eine Million Handydaten sammelten, gab es nie
Martin Kaul über die Ermittlungsschlappe von Dresden
Es dauerte Jahre. Nun entdeckten Dresdner Ermittler das Offensichtliche: Die "kriminelle Vereinigung" wegen der sie eine Million Handydaten sammelten, gab es nie.
Wie, verdammt noch mal, passt das alles zusammen? Es gibt da diesen Verdächtigen Z., mutmaßlich ein Demotourist, erlebnisorientiert, einer der gerne zuschlägt. Dann gibt es K., ein Fußballfan, ein Ultra. Er betreibt Kampfsport, schlägt Nazis. Und dann gibt es neben all den anderen noch W., den Stunkmacher, der auf Anabolika und Prügeleien steht. Es steht doch alles da, schwarz auf weiß, in den Ermittlungsakten. Wie also passen diese Jungs zusammen?
Jahrelang ist die Staatsanwaltschaft Dresden dieser Frage nachgegangen. Insgesamt 25 Menschen wurden überwacht, ihr Privatleben wurde durchleuchtet. Polizisten stürmten Partei und Anwaltbüros in der sächsischen Landeshauptstadt. Und sie werteten knapp eine Million Handydaten von Zehntausenden Demonstranten, Anwälten, Journalisten aus. Ihre Vermutung: Es musste etwas geben, Nun mussten die Ermittler feststellen: Sie waren komplett auf dem Holzweg was ihre Verdächtigen verband. Sie dachten an eine kriminelle Vereinigung und nannten sie "Antifa-Sportgruppe".
Nun mussten die Ermittler feststellen: Sie waren komplett auf dem Holzweg. Das Pikante: Sie hätten es von Anbeginn an wissen müssen.
Denn nach Recherchen der taz ging bereits im Jahr 2011 aus ihren eigenen Ermittlungsakten klar das Missverständnis hervor, das die Ermittler selbst nicht sahen - oder sehen wollten. Die sächsischen Fahnder jagten ihre "Antifa Sportgruppe" so, als ob es davon nur eine gebe, oder als ob in der ganzen Bundesrepublik eine gigantische Verschwörung unter diesem Label zelebriert würde. Tatsache ist: Das Wort "Sportgruppe" ist ein allgemeiner Begriff. So werden in antifaschistischen Kreisen linksradikale Grüppchen bezeichnet, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.
Doch statt zu definieren, welche "Antifa Sportgruppe" es meinte, begann das LKA gegen eine Idee zu ermitteln. Und siehe da: Die Ermittlungsrichter stimmten ihren Ersuchen immer wieder zu. Aus purer Inkompetenz? Oder aus politischem Willen?
Johannes Lichdi ist grüner Stadtrat in Dresden. Heute sagte er: "Es ist offensichtlich, dass das LKA aus politischen Gründen eine linksextremistische Gewalttätergruppe herbeifantasiert hat. Der Öffentlichkeit sollte suggeriert werden, dass Sachsen kein Problem mit Nazis, sondern mit Linken hat." Ein harter Vorwurf.
Doch wer die Entwicklung des Verfahrens betrachtet, stößt auf einen zeitlichen Ablauf, der stutzig macht. Der Hintergrund: Im Februar 2010 kam es zu ersten großen Protesten gegen den jährlichen Neonaziaufmarsch in Dresden. Zwei Monate später leiteten die Behörden das Verfahren ein. Bei nächster Gelegenheit, ein Jahr später im Februar 2011, verantworteten sie einen der größten Datenskandale der letzten Jahre: Unter dem Vorwand, die "kriminelle Vereinigung" zu finden, sammelten die Behörden bei einer Großdemonstration knapp eine Million Handydaten. Es dürfte die präziseste Protestdatenbank der Republik sein. Bis heute laufen deswegen zahlreiche Gerichtsverfahren. Auch die taz geht gegen diese Maßnahme vor. Und so entstand aus einer Gruppe vermeintlicher Schläger, die der Polizei aufgefallen waren, ein Rechtskonstrukt, das als Paradebeispiel in jedem Jurastudium herhalten kann: Je weniger Anhaltspunkte die Ermittler für ihre Ausgangsthese hatten, desto ausufernder wurden ihre Maßnahmen.
War das Ermittlungsverfahren gegen die sogenannte Kriminelle Vereinigung in Dresden nur ein Vorwand, um die Strukturen linker, mithin unliebsamer Aktivistinnen auszuleuchten?
Die Antwort scheint naheliegend: Wer einmal auf Grundlage des Gummiparagrafen 129 ermitteln darf - also um eine "kriminelle Vereinigung" zu finden -, dem stehen plötzlich sehr umfangreiche Ermittlungsansätze offen. Und weil sich öffentliche Repräsentanten in Dresden von jeher mit den Anti-Nazi-Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet schwertaten, schlussfolgerten viele: Was die Behörden dort abzogen, konnte nur politische Gründe haben. Doch so einfach ist es nicht.
Tatsächlich ging den Ermittlungen ja eines voraus: Neonazis in Sachsen wurden wiederholt übel zugerichtet. Das war massive Gewalt, Gewalt gegen Menschen, und nicht nur eine Fantasie des LKA. Natürlich muss eine Staatsanwaltschaft ermitteln, wenn sich Hinz und Kunz die Köpfe einschlagen. So weit, so gut.
In Dresden aber entstand ein strukturelles Problem: Die Kontrollinstanzen versagten. Obwohl die LKA-Ermittler jahrelang auf dem Holzweg waren, trieb es die Staatsanwaltschaft das Verfahren immer weiter. Dresdner Amtsrichter gaben auch dann noch leichtfertig ihr Okay, als Polizisten Partei und Anwaltsräume stürmen wollten. Selbst als eine bundesweite Debatte über die Maßlosigkeit der Ermittlungen tobte, verstand sich Dresden, einschließlich der Landesregierung, vor allem auf Rechtfertigung.
Es ist dieses Kollektivversagen, das - auch politisch - aufgearbeitet werden muss. Doch auch seit bekannt ist, dass all die Rechtfertigungen falsch waren, ist von Aufarbeitung nichts zu spüren. Wenn Behörden aus groben Fehlern keine Schlüsse ziehen, ist es Versagen. Wenn sie keine Schlüsse ziehen wollen, ist es Vorsatz.
Martin Kaul