Sächsische Zeitung, 01.10.2014
Im Westen was Neues - Dresdner Bildungsbericht, August /2014
Laut Bildungsbericht entscheidet die Herkunft über die Zukunftschancen. Es gibt aber Lichtblicke in einigen Stadtteilen. (Soziale Problemfälle bei Kindern gibt es auch in Dresden - sie konzentrieren sich aber in wenigen Stadtteilen)
Bildungsbericht - Soziale Problemlagen Dresden
Erstens: Kinder, die aus einem schwierigen Umfeld kommen, haben später weniger Chancen auf eine gute Ausbildung, einen guten Job und ein gutes Gehalt. Zweitens: Diese sozialen Problemfälle häufen sich in einigen wenigen Stadtteilen. Das sind die beiden zentralen Ergebnisse des zweiten Dresdner Bildungsberichts, den die Stadt gestern veröffentlicht hat. Während sich daran seit dem ersten Bericht vor zwei Jahren wenig geändert hat, sehen die Wissenschaftler des städtischen Bildungsbüros aber einige Gebiete im Aufwind. Vor allem in einigen Vierteln im Dresdner Westen habe sich der Anteil der Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger und Alleinerziehenden deutlich verringert.
Kita: Gutes Angebot, aber Probleme häufen sich in wenigen Stadtteilen
Die Autoren des Bildungsberichtes teilen Dresden in verschiedene sogenannte Entwicklungsräume ein – abhängig vom Anteil der Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger und Alleinerziehenden. Diese Kenngrößen geben zum einen Auskunft über das Bildungsniveau und zum anderen auch über die finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Schon in der Kita lassen sich laut Bildungsbericht deutliche Unterschiede zwischen den Kindern aus schwierigen und denen aus behüteten Verhältnissen erkennen: Bei den Schuluntersuchungen werden wesentlich öfter Sprachschwierigkeiten (47 zu 21 Prozent) sowie Probleme bei der Fein- (33 zu elf Prozent) und Grobmotorik (19 zu 14 Prozent) festgestellt.
Ansonsten loben die Autoren des Bildungsberichts aber die Höhe der Investitionen in neue Kita-Plätze. Und bei den Sprachproblemen sehen sie Licht am Horizont: Durch die Vorsorgeuntersuchungen der Ärzte sei ein Großteil der Kinder mit solchen Schwierigkeiten in medizinischer Behandlung.
Schule: Kräftige Investitionen und mehr Sozialarbeiter
Gorbitz, Prohlis, Leuben, die Pirnaische Vorstadt sowie die Friedrichstadt zählen laut Bildungsbericht zu den Problemvierteln in Dresden. Alarmiert sind die Forscher besonders von den Entwicklungen in Gorbitz- und Prohlis-Süd – dort nimmt die Zahl der Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger und Alleinerziehenden entgegen dem stadtweiten Trend noch zu. In den Stadtgebieten rund um das Ostragehege und den Friedrichstädter Güterbahnhof, also in Cotta, Löbtau, Mickten und in Pieschen haben sich die sozialen Verhältnisse hingegen deutlich verbessert.
Die soziale Herkunft hat auch einen erheblichen Einfluss auf die Schulkarriere. In Dresdens Vorzeigevierteln erhalten rund 70 Prozent eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium, in den Problemstadtteilen hingegen nur rund 39 Prozent. Fast ein Viertel der Kinder aus den Problemvierteln verlässt die Oberschule ohne Abschluss. In den besseren Stadtteilen sind es hingegen nur elf Prozent. Die Stadt versucht, dem mit Sozialarbeitern entgegenzuwirken. Der Bildungsbericht bescheinigt: Sie werden oftmals dort eingesetzt, wo sie gebraucht werden. Als positives Signal werten die Autoren auch, dass es seit dem Schuljahr 2012/13 wieder mehr Lehrer an den Schulen gibt und dass die Stadt viel Geld in neue und alte Schulen steckt.
Ausbildung: Viele Abbrecher und wenige Chancen für Behinderte
Die Jungen und Männer sind im Vergleich zu den Mädchen sowohl in der Kita als auch in der Schule im Hintertreffen – auch das ist ein Ergebnis des Bildungsberichtes. Sie haben zum Beispiel öfter Sprachprobleme in der Kita oder schaffen es seltener aufs Gymnasium. Dies setzt sich in der Ausbildung fort. Im Jahr 2013 verließen zum Beispiel neun Prozent der Männer die Berufsschule ohne Abschluss, aber nur fünf Prozent der Frauen. Außerdem befinden sich Männer wegen mangelnder Perspektiven relativ häufig in sogenannten Übergangsmaßnahmen wie dem berufsvorbereitenden Jahr.
Studium: Frauen trauen sich öfter in die Fremde als Männer
Immer mehr Dresdner zieht es nach dem Abitur in die Fremde. Während 2005 noch 60 Prozent an einer der Dresdner Hochschulen studierten, sind es derzeit noch 48 Prozent. Die Frauen sind dabei mobiler als die Männer: Sie verlassen zum Studieren häufiger die Stadt. Zugleich gibt es in Dresden immer mehr Studenten, die nicht aus Sachsen stammen.
Nach der Ausbildung drehen sich die Karrierechancen für Männer und Frauen übrigens um. Trotz ihres Bildungsvorsprungs sind die Frauen zwar häufiger erwerbstätig als Männer, dafür aber seltener und mit sinkender Quote in Vollzeit. Die Unterschiede in der sozialen Herkunft machen sich laut Bericht auch im Freizeitverhalten bemerkbar: Die Dresdner aus Stadtvierteln mit vielen sozialen Problemen gehen seltener ins Theater, in die Oper oder in die Philharmonie.
Von Tobias Winzer
Clevere Wohnpolitik ist nun gefragt
Tobias Winzer über der Ergebnisse des Bildungsberichtes
Problemviertel – das klingt hart und ungerecht. Nicht jeder, der in Gorbitz, Prohlis oder in der Pirnaischen Vorstadt wohnt, ist schlecht gebildet oder hat Probleme bei der Erziehung seines Kindes. Insofern ist es zumindest diskussionswürdig, wenn man die Stadt nach der Häufigkeit der sozialen Probleme unterteilt – als ob die Menschen am Elbhang besser wären als die im Plattenbau. Die Gefahr des Abstempelns ist groß.
Den Autoren des Bildungsberichtes liegt genau das aber fern. Denn es gehört einfach zur Wahrheit dieser Stadt, dass es einen Zusammenhang zwischen den vorhandenen Bildungsunterschieden und der sozialen Herkunft gibt, und dass sich Merkmale wie Arbeitslosigkeit oder niedriges Einkommen in bestimmten Stadtteilen häufen. Die Autoren sprechen von „regionaler Konzentration“, man könnte auch Ghettoisierung dazu sagen.
Dazu beigetragen hat auch die passive oder nicht vorhandene Wohnungspolitik der Stadt in den vergangenen Jahren. Der Markt sollte es richten, so das Credo. Will man aber sozial durchmischte Stadtviertel, ist angesichts weiter steigender Mieten ein Umdenken gefragt. Der Blick in andere deutsche Städte zeigt Dresden, wie es in den Wohnungsmarkt eingreifen kann. Wie in Hamburg könnte man zum Beispiel Investoren verpflichten, einen bestimmten Anteil an Sozialwohnungen zu schaffen.