Sächsische Zeitung, 17.10.2014
Rechtsextremismus: Hinschauen, auseinandersetzen - Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern.
Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern. SZ-Redakteure analysieren die wichtigsten Herausforderungen. Heute: Rechtsextremismus.
Manchmal ist die Rückschau hilfreich für den Blick nach vorn. „Wir verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Extremisten von links und rechts“, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU und FDP vor fünf Jahren in Sachsen schlossen. Das Wort Neonazis fehlt in der Passage. Linksextremisten werden zuerst genannt. Immerhin ist in der nun auslaufenden Regierungsvereinbarung vom Engagement für Demokratie und dem Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit die Rede. Der Verfassungsschutz soll in seiner Kernkompetenz, dem Gewinnen von Erkenntnissen über Extremisten, gestärkt werden.
Zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Dokuments fliegen die NSU-Terroristen auf. Es waren Neonazis, keine Linksautonomen, die sich in Sachsen versteckt und zehn meist ausländerfeindlich motivierte Morde begangen hatten. Deutsche Sicherheitsbehörden konnten sie nicht stoppen.
Wer die komplizierte Debatte führt, was das neue CDU-SPD-Kabinett gegen Rechtsextremismus leisten muss, kommt am NSU-Terror nicht vorbei. Eine Konsequenz aus den Verbrechen sollte sein, zumindest in der politischen Rhetorik die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus zu beenden. Ja, es gibt menschenverachtende Gewalt von links. Vor allem in Leipzig hat sich eine straffe Szene formiert. Doch ist sie nicht nur kleiner – der Landesverfassungsschutz verzeichnet für das vergangene Jahr rund 750 Linksextremisten und 2500 Neonazis –, sie hat auch nicht das schreckliche Potenzial für eine über Jahre angelegte Mordserie.
Wer die Verortung des Problems nicht erkennt, dem fehlt die Bereitschaft für tiefgehende Veränderungen. Ein Beispiel: In einem dünnen 23-seitigen sogenannten Abschlussbericht zum NSU vom Juni 2012 weist Sachsens Staatsregierung trotz anklingender Selbstkritik die Verantwortung flugs nach Thüringen. Der dortige Verfassungsschutz habe die Kollegen in Dresden unvollständig informiert. Eine umfassende Aufarbeitung – dazu zählt auch die Frage, warum Rechtsextremisten in Sachsen über Jahre tragfähige Strukturen als vermeintliche Kümmerer, mit Läden und Versandhandel aufbauen konnten – ist das nicht.
Selbst wenn es abgedroschen klingt: Politik braucht Haltung. Markige Worte gegen die mittlerweile abgewählte Landtags-NPD reichen nicht. Und Politik kann sinnvolle Strukturen schaffen beziehungsweise unterstützen. So hat der Freistaat im Zuge der NSU-Enthüllungen das Programm „Weltoffenes Sachsen“ für Demokratieprojekte von rund zwei auf drei Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. Gut so. Mittlerweile ist die Zusatzmillion reserviert für die Nachwuchsarbeit in Vereinen und Verbänden wie etwa Feuerwehr, Sportvereinen und religiösen Institutionen. Auch dort ist das Geld gut angelegt.
Problematisch erscheint allerdings, dass durch die Verschachtelung von Programmen aus Bund und Ländern etablierte Träger immer wieder aus der Förderung zu fallen drohen. Ende 2013 stand für das Kulturbüro Sachsen, das Schulen, Verwaltungen und Firmen im Umgang mit Extremisten berät, sowie die Anlaufstelle für Opfer rechter Gewalt (RAA Sachsen) die Finanzierung für das kommende Jahr noch nicht. Die kam spät und auch durch öffentlichen Druck. Wichtig ist, dass neben einzelnen Projekten wie Theaterstücken oder Diskussionsforen Beratungsträger unterstützt werden – am besten solche, die mit ihrer Arbeit über Jahre Sachkenntnis vor Ort erworben haben. Apropos Beratung: Das Thema Asyl erfordert erfahrene Mediatoren. Ängste vor Flüchtlingen dürfen nicht dazu führen, dass Neonazis Zulauf erhalten. Oft aufgeheizte Bürgerdiskussionen um neue Unterkünfte zu moderieren und langfristig zu begleiten, ist eine wichtige Aufgabe in dieser Legislatur.
Knapp, äußerst knapp, scheiterte die rechtsextreme NPD nach zehn Jahren am Wiedereinzug in den Landtag. Lediglich 809 Stimmen fehlten. Ist die Gefahr von rechts außen geringer geworden? Bei der Wahl im August erreichte die Partei in angestammten Hochburgen in der Sächsischen Schweiz zweistellige Resultate. Auch in Bautzen kam sie auf elf Prozent der Stimmen. Geschwächt ist die NPD vor allem finanziell, da mehr als eine Million Euro pro Jahr für die Fraktionsausstattung wegfällt. Szenegrößen können nicht mehr im Parlament beschäftigt werden. Das innerparteiliche Gefüge gerät durcheinander. Das heißt aber nicht, dass die NPD verschwindet. Nach wie vor ist sie flächendeckend in sächsischen Kreistagen vertreten und in der Lage, zu Demonstrationen Sympathisanten auf die Straße zu bringen. Dazu zählen auch parteiungebundene Neonazis, die etwa in Kameradschaften organisiert sind. Sie haben Zulauf.
Sachsens neue Regierung wird am NPD-Verbotsverfahren festhalten. Vereinzelten Forderungen aus der Bundes-CDU, das Verfahren nach der Abwahl der Partei zu stoppen, erteilte der Freistaat bereits eine klare Absage. Unabhängig vom Ausgang gilt: Hinschauen, sich auseinandersetzen, kritische Themen nicht den Rechtsextremisten überlassen. Das ist vor allen Dingen vor Ort nicht immer einfach. Landespolitik kann helfen. Etwa, indem der Freistaat wie angekündigt Kommunen bei der Finanzierung von Unterkünften für Asylbewerber unterstützt und ihnen keinen Anlass liefert, Etatsperren mit Asylkosten zu begründen.
Bleibt die Frage nach dem Verfassungsschutz. Nach dem Entdecken des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ untersuchte eine externe Kommission die mit rund 200 Mitarbeitern im Ostvergleich gut ausgestattete Behörde. 80 Empfehlungen zur Organisationsreform wurden umgesetzt. Wie der Geheimdienst arbeitet, lässt sich jedoch nur schwer beurteilen. Natürlich sind dort fitte Experten beschäftigt. Ob der Verfassungsschutz aber, wie damals angeregt, „raus aus den Panzerschränken und hin zu den Bürgern“ gekommen ist, bleibt fraglich. Der seit 2013 amtierende Präsident Gordian Meyer-Plath konnte zunächst mit seiner offenen Art punkten und Erkenntnisse des Dienstes auf Konferenzen der Öffentlichkeit präsentieren. Es scheint aber, dass dieses Image und das Thematisieren von Problemen von der Regierung rasch weniger gewollt wurde. Spannend ist, ob sich das mit der SPD ändert und das Amt, ausgestattet mit von Experten geforderten Geisteswissenschaftlern, weiter zum Dienstleister für Demokratie umgebaut wird.
Von Thilo Alexe
Meine Wegweiser
▪ Förderung. Wer sich für Toleranz einsetzt oder Betroffene von Neonaziübergriffen berät, braucht Unterstützung. Wichtig ist nicht unbedingt mehr Geld. Es muss dort ankommen, wo es sinnvoll verwendet wird.
▪ Ansprache. Wer rechtsextreme Umtriebe vor Ort thematisiert, ist kein Nestbeschmutzer. Politiker die im Wahlkreis auftreten; sollten sich nichr scheuen, Probleme anzusprechen. Schweigen hilft den Neonazis.
• Engagement. Politik kam nicht alles leisten, Engagement für Migranten muss auch aus der Gesellschaft kommen. Wer es erbringt verdient öffentliche Anerkennung. Die muss nichts kosten, um viel zu bewirken.