Freie Presse, 11.11.2014
Koalition in Sachsen einigt sich auf die Fachressorts
CDU und SPD besiegeln ihr Bündnis/ CDU gibt SPD auch dieses Mal Wirtschaft und Wissenschaft/ Vorwärts nicht vergessen (Kommentar)
Von TINO MORITZ, UWE KUHR
DRESDEN - Rund zehn Wochen nach der Landtagswahl in Sachsen haben CDU und SPD gestern ihren Koalitionsvertrag unterzeichnet. Beide Parteien haben vereinbart, in den kommenden fünf Jahren unter anderem die Kinderbetreuung in Sachsens Kitas zu verbessern. Morgen soll Stanislaw Tillich (CDU) erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Am Donnerstag ist die Vereidigung der neuen Minister geplant. Bis zuletzt gibt es allerdings Spekulationen darüber, ob Tillich bei den CDU-Ministern eher auf bewährtes Personal setzt oder ob er jungen Politikern eine Chance einräumt. Die CDU wird die Ressorts Finanzen, Inneres, Kultus, Justiz, Soziales sowie Umwelt und Landwirtschaft besetzen. Die SPD stellt die Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie Wissenschaft und Kunst. Zudem wird die SPD eine Staatsministerin für Integration und Gleichstellung nominieren, (afp/dpa)
CDU gibt SPD auch dieses Mal Wirtschaft und Wissenschaft ab Für die SPD wird ein zusätzlicher Ministerposten geschaffen. Zugleich verzichtet sie auf einen Landtagsvizepräsidenten. DRESDEN - Dumm gelaufen für die CDU-Mittelstandsvereinigung MIT. "Natürlich ist es für uns entscheidend, dass die richtige Partei auch die Verantwortung haben muss dafür, wie Wirtschaftspolitik in Sachsen gemacht werden wird", rief ihr Chef Markus Reichel auf dem Parteitag am vergangenen Freitag. Für seinen Appell, als CDU nach zehnjähriger Unterbrechung "endlich wieder" den Wirtschaftsminister zu stellen, bekam er auch viel Applaus.
Aber gebracht hat es nicht viel, zumindest nicht der MIT. Erst votierte der Parteitag ohne Gegenstimme für den Koalitionsvertrag. Drei Tage später lüfteten die Parteichefs Stanislaw Tillich (CDU) und Martin Dulig (SPD) das Geheimnis der Ressortverteilung - die genauso ausfällt wie vor zehn Jahren.
Im Wahlkampf hatte Tillich selbst das Ziel CDU-Wirtschaftsminister ausgegeben. Nun führte er neben den zu bedenkenden Ansprüchen des Juniorpartners auch die Wünsche der Wirtschaftsverbände an, lieber die Bereiche Arbeit und Wirtschaft in einem Haus zu belassen. Gegen die Aufteilung in zwei Ministerien hatte sich etwa Arbeitgeberpräsident Bodo Finger ausgesprochen. Auch der Hauptgeschäftsführer der Chemnitzer IHK, Hans-Joachim Wunderlich, zeigt sich mit der Beibehaltung des Status Quo zufrieden. Die Union gibt wie bei Schwarz-Rot 2004 und bei Schwarz-Gelb 2009 zwei Ressorts ab - und gestattet trotzdem durch die Schaffung eines zusätzlichen Ministerpostens ohne Ministerium erstmals drei Vertretern des Juniorpartners Stimmrecht am Kabinettstisch. Die Besetzung wird zwar erst übermorgen verkündet. Aber schon jetzt steht fest, dass es ziemlich viele Ministerneulinge geben wird: Die Staatskanzlei bleibt in CDU-Hand.
Ministerpräsident Tillich braucht aber nach seiner für morgen geplanten Wiederwahl einen neuen Staatskanzleichef, nachdem er selbst Amtsinhaber Johannes Beermann zum gut dotierten Vorstandsposten bei der Bundesbank verhalf. Als Favorit gilt Noch-Umweltstaatssekretär Fritz Jaeckel (51). Das Finanzministerium wird ebenfalls wie seit 1990 weiter von der CDU geführt. Spekuliert wird auch hier über einen Personalwechsel: Amtsinhaber Georg Unland (60) könnte durch den in den Koalitionsverhandlungen omnipräsenten Staatssekretär Hansjörg König (54) abgelöst werden. Das Innenministerium behält hingegen seinen Chef Markus Ulbig (50) - wenn auch womöglich nicht für fünf Jahre. Ulbig ist als Kandidat der Dresdner CDU für die 2015 anstehende Oberbürgermeisterwahl im Gespräch. Klarheit darüber wird in Kürze erwartet, wenn Amtsinhaberin Helma Orosz sich zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens erklärt. Das Kultusministerium wird weiter von Brunhild Kurth (60) geführt. Ihre erneute Berufung gilt als sicher, Tillich soll sie CDU-intern für ihr Verhandlungsgeschick in den Koalitionsverhandlungen besonders gelobt haben.
Wirtschaft, Arbeit und Verkehr geht nach fünf Jahren FDP wieder zur SPD über
- und das auch noch aufgestockt um Technologieförderung. Favorit auf den Posten ist Parteichef Martin Dulig (40), der Sven Morlok auch als stellvertretender Ministerpräsident beerben wird.
Wissenschaft und Kunst fällt ebenfalls der SPD zu.
Das Ressort führte von 2006 bis 2009 Parteivize Eva-Maria Stange (57). Sie könnte der von der CDU entsandten Parteilosen Sabine von Schorlemer folgen.
Das Sozialministerium bleibt zwar CDU-geführt - aber der Verbleib von Amtsinhaberin Christine j Clauß (64) ist alles andere als sicher. Top-Kandidatin ist CDU-Vize Barbara Klepsch (49). Die Noch-Oberbürgermeisterin von Annaberg-Buchholz steht damit vor ihrem Wechsel nach Dresden. Umwelt und Landwirtschaft bekommt auf alle Fälle einen neuen Chef -weil Frank Kupfer an die CDU-Fraktionsspitze gewechselt ist. Anwärter ist Fraktionsvize Georg-Ludwig von Breitenbuch (43). Seine Berufung dürfte indes vom üblichen CDU-Regionalproporz abhängen.
Dem Justizministerium steht ein parteibedingter Wechsel bevor. Nachfolger von Jürgen Martens (FDP) könnte der CDU-Abgeordnete Günther Schneider aus Grünhainichen (59) werden. Denkbar ist auch der Aufstieg eines Staatssekretärs.
Gleichstellung und Integration wird eine SPD-Ministerin bekommen
- allerdings ohne eigenes Ressort, sondern angesiedelt im CDUgeführten Sozialministerium. Im Gespräch dafür ist SPD-Sozialexpertin Dagmar Neukirch (42).
Nur noch zwei Vizepräsidenten im Landtag
Die erste CDU/SPD-Koalition hatte den dritten Vizepräsidenten des Landtags 2004 eingeführt, die zweite CDU/SPD-Koalition wird den als Versorgungsjob kritisierten Posten wieder abschaffen. Im noch einmal überarbeiteten Entwurf der neuen Landtagsgeschäftsordnung ist nur noch die Wahl von zwei Vizechefs vorgesehen. Nach dem eigentlichen Zählverfahren hätte die CDU den Anspruch auf beide Posten. Nun wurde ein Passus aufgenommen, nach dem in solch einem Fall die zweitstärkste Fraktion das Vorschlagsrecht erhält. Damit steht der Wiederwahl von Andrea Dombois (CDU) und Horst Wehner (Linke) nichts im Wege. Der Verzicht der SPD - der die CDU einen weiteren Vizeposten abgetreten hätte - gilt als Gegenleistung für ihren dritten Ministerposten im CDU/SPD-Kabinett, (tz)
LEITARTIKEI.
Vorwärts, nicht vergessen
UWE KUHR ÜBER DIE SCHWARZ-ROTE REGIERUNG IN SACHSEN
Endlich ist die neue CDU-SPD-Koalition in Sachsen zu Stuhle gekommen. Spannend haben es beide Seiten gemacht: Zumal sie hohe Erwartungen schürten. Spätestens seit der gestrigen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wissen wir nun ganz sicher: Der SPD-Wahlkampf-Küchentisch war kein Tischleindeck-dich, sondern nur das Sinnbild dafür, dass nichts so heiß gegessen, wie gekocht wird.
Selbst das Hauptgericht - die Aufteilung der Ressorts - wird wieder aufgewärmt. 2004, als beide Parteien erstmals ein schwarz-rotes Bündnis schmiedeten, gab es für den Juniorpartner schon einmal die Ministerien für Wirtschaft und Wissenschaft. Serviert wurde jedoch am Katzentisch, wie sich damals bald herausstellte. Die SPD hatte ihre liebe Mühe, sich an beiden Ressorts nicht zu übernehmen. Im Wahlkampf 2009 gab es auch keinen Beifall, sondern eine bittere Zehn-Prozent-Quittung. Doch halt. Dieses Mal gibt es noch einen Ministerposten für Gleichstellung und Integration obendrauf. Ohne eigenes Ressort, sondern zur Untermiete im CDU-geführten Sozialministerium.
Da möchte man den Genossen doch zurufen: Vorwärts, und nicht vergessen. Nicht vom Tisch zu wischen ist, dass die CDU vorsorglich beide Ressorts erneut mit schweren Bürden belastet hat. Von Wirtschaft und Wissenschaft wird nicht mehr und nicht minder erwartet, dass sie die Wohlfahrt des Freistaats maßgeblich bestimmen. Das ist prinzipiell richtig, aber richtig ist auch, dass das keine Sache von fünf Jahren einer Wahlperiode, sondern im Falle Sachsens eher von 15 Jahren ist. Und in diesen zeitlichen Dimensionen denkt nur die CDU, die die aktuelle Koalition mit der SPD gerade erst wieder zur "Ausnahme" erklärt hat.
Fallstricke? Dem Wirtschaftsressort fehlen nach einer geänderten Förderpolitik Brüssels EU-Gelder in Größenordnung. Ähnliches erwartet das Wissenschaftsressort. Fördergelder des Bundes wie für die Spitzenforschung hängen nach 2017 wegen der Berliner Sparpläne am seidenen Faden. Die SPD soll zudem Sachsens Hochschullandschaft erneut umstrukturieren, was die CDU zur Top-Priorität erklärt hat und wofür aber wenig Applaus zu erwarten ist. Fazit: Die Küchentisch-Perspektive ist das eine, es kommt darauf an, wer das Süppchen kocht.