stern.de, 12:39 Uhr, 05.12.2014
Regierungschef Ramelow - na und?
Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin
Die Wahl von Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten der Republik wird Thüringen nicht schaden - wohl aber Ramelows Juniorpartner SPD. .
Am Ende ging es zwar schnell, aber nicht ganz glatt. Eine Enthaltung kostete Bodo Ramelow den Triumph, bereits im ersten Wahlgang durchzukommen. Ein kleiner Warnschuss war's schon. Aber mehr auch nicht. Um 10.50 Uhr Thüringer Zeit hatte er dann alle seine Stimmen und die notwendige Mehrheit zusammen. Für die kommenden fünf Jahre darf sich der Ossi aus dem Westen Ministerpräsident nennen, Kopf einer rot-rot-grünen Landesregierung. Der erste Regierungschef der Linken, einer Partei, die - man darf und sollte an einem solchen Tag schon noch einmal daran erinnern - vor 25 Jahren noch SED hieß.
Ein historischer Tag also, im Kleinen jedenfalls, und für nicht Wenige eine gewaltige Zumutung. Und, hat sich die Erde aufgetan rund um den Landtag in Erfurt? Erschien der entsetzte Geist Willy Brandts im Fenster des "Erfurter Hofs"? Oder wenigstens ein Zeichen an der Parlaments-Wand? Mene, mene tekel upharsin…
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Ein ganz guter Anfang
Nichts davon. Nach dem Kulturkampf, der vor der Wahl Ramelows tobte, mit Fackelzügen, abgeschraubten Radmuttern und Morddrohungen, könnte nun Ruhe einkehren, und das wäre auch verdammt gut so - eine Rückkehr zu zivilen demokratischen Gepflogenheiten. Ramelow hat in seiner kurzen Antrittsrede den einstigen Bundespräsidenten Johannes Rau zitiert mit dessen oft belächelten Motto "Versöhnen statt spalten" und die Opfer der SED-Diktatur um Entschuldigung gebeten. Das mag auch taktisch motiviert gewesen sein. Klug war es allemal. Und ein ganz guter Anfang.
Man muss es nicht besonders anheimelnd finden, dass nun die Erbverwalter der einstigen Einheitspartei ein Land führen. Aber den Untergang des Abendlandes bedeutet Rot-Rot-Grün nicht, nicht einmal den Untergang Thüringens. Viel anrichten kann man heutzutage auf Landesebene ohnehin nicht mehr. Und der Koalitionsvertrag, den die drei Partner ausgehandelt haben, enthält bei Lichte betrachtet wenig, was nicht auch die CDU als Preis fürs Mitregieren unterschreiben könnte. Sogar das Eingeständnis, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, haben die Linken sich abverhandeln lassen.
Ob das mehr als ein Lippenbekenntnis ist, können sie jetzt beweisen, mitsamt den beiden früheren Zuträgern der Stasi in ihrer Fraktion. Entscheidend is, das wusste schon Adi Preißler, auf'm Platz. Und die nächste Abstimmung ist immer die schwerste. Die Stimmen der beiden Ex-Spitzel benötigt die jetzt gewählte Landesregierung künftig für jedes Gesetz im Parlament. Eine Ein-Stimmen-Mehrheit ist prinzipiell gar nicht so übel, weil sie diszipliniert. Ihre Schattenseite ist, dass jedes Mal sehr deutlich ist, auf wen die Regierung angewiesen ist. Immerhin, die beiden sind reuig, und sie sind gewählt worden, obwohl sie kein Hehl aus ihrer Vergangenheit gemacht haben.
Das kann man längst nicht von allen sagen, die aus der einstigen Blockpartei CDU heraus Karriere gemacht haben.
Kuriose Kollateralschäden
So, und nun zu den kuriosen Kollateralschäden dieser seltsamen Koalition, den bundespolitischen Folgen. Mene, mene, tekel… Falls, was gar nicht sooo unwahrscheinlich ist, Bodo Ramelow seine Sache ordentlich macht und als ausreichend schwer gewogen wird; und falls er es sogar schafft, was allerdings sehr, sehr unwahrscheinlich ist, seine merkwürdige Bundespartei von Erfurt aus auf einen erträglichen außen- und sicherheitspolitischen Kurs zu manövrieren, dann - passiert gar nichts. Eine rot-rot-grüne Koalition im Bund kann man 2017 dann jedenfalls erst recht vergessen. Widersinnig? Nein, logisch. Die SPD muss zwingend 30 Prozent plus x im Bund erreichen, um den Kanzler zu stellen. Die Chancen auf ein solches Ergebnis schwinden aber umso mehr, je kleiner sie sich in Ländern wie Thüringen macht.
Dass die Linke die SPD, um sie in die Koalition zu locken, mit Ministerien praktisch überschüttet hat, hilft den Sozialdemokraten wenig: Sie werden in der rot-rot-grünen Regierung marginalisiert werden - mit Auswirkungen auch auf die nächste Bundestagswahl. In Sachsen sieht es nicht besser aus, in Baden-Württemberg und Bayern bewegt sich die SPD ohnehin auf 20-Prozent-Niveau. Eine Machtperspektive eröffnet sich da allenfalls Illusionskünstlern. Aber Juniorpartner ist ja auch was Schönes.
Eines ist jedenfalls schon sicher: Auf einen eigenen Spitzenkandidaten kann die SPD bei der nächsten Landtagswahl verzichten - er würde sich in etwa so lächerlich machen wie Guido Westerwelle im Bundestagswahlkampf 2002. Und der träumte immerhin von 18 Prozent. Die Eins kann die Thüringer SPD schon mal geschmeidig streichen.
Von Andreas Hoidn-Borchers