Karl Nolle, MdL

neues-deutschland.de, Seite 1, 06.12.2014

Thüringen: Um die Wurst geht’s erst jetzt

 
Rot-Rot-Grün startet: Bodo Ramelow als erster LINKE-Politiker zum Regierungschef gewählt

»Heute ist einfach ein großer, ein schöner Tag auch in meinem Leben, das muss ich sagen. Dass ich das noch erlebe.« Mit seiner Reaktion auf die Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen stand Gregor Gysi am späten Freitagvormittag nicht allein. Neben dem Linksfraktionschef waren auch andere bundespolitische Parteifreunde Ramelows in den Erfurter Landtag gekommen - wo ihnen ein bisschen Spannung geboten wurde.

Ramelow, der mit 58 Jahren der erste Regierungschef aus seiner Partei wurde, erhielt erst im zweiten Wahlgang die nötigen 46 Stimmen. Im ersten Durchgang hatte ihm noch eine Stimme aus seinem rot-rot-grünen Bündnis gefehlt. Die Sozialdemokratin Heike Taubert, die nun das Finanzministerium leitet, sprach von einer Randerscheinung: Für sie sei »das die Dramaturgie eines Einzelnen gewesen«.

Während die CDU im ersten Wahlgang den Beleg dafür erkennen wollte, dass Rot-Rot-Grün »keine Zukunft« habe und das Dreierbündnis nicht bis zum Ende der Legislaturperiode halten werde, erhielt Ramelow parteiübergreifend Schulterklopfen. In den sozialen Netzwerken im Internet prasselten die Glückwünsche für den LINKE-Politiker im Sekundentakt. Sozialdemokraten und Grüne von der Bundesebene drückten ihrer Hoffnung auf eine gute rot-rot-grüne Kooperation aus. Sogar die Kanzlerin kündigte Grüße an: Es sei dies bei jedem Ministerpräsidenten »Staatspraxis«, erklärte ein Regierungssprecher. Angela Merkel werde dies »selbstverständlich auch in diesem Fall tun«.

Dagegen stimmten andere Unionspolitiker erneut jene Töne an, die schon die vergangenen knapp drei Monate seit der Landtagswahl dominiert hatten: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer etwa keulte Richtung Erfurt, dies sei »ein Tag der Schande für das wiedervereinigte Deutschland« und Ramelow »ein Top-Agent einer Ex-Stasi-Connection«. Bei der Thüringer Rechtspartei AfD sah man wiederum die CDU als »Steigbügelhalter der SED-Nachfolger«.

Die tags zuvor noch parteiübergreifend geäußerten Mahnungen, rhetorisch abzurüsten, damit die politische Kultur in Thüringen nicht weiter Schaden nehme, waren bei den Kritikern von Rot-Rot-Grün offenbar wieder vergessen worden. Ramelow selbst sprach das Problem in seiner ersten Rede als Regierungschef am Mittag an und mahnte zu einem fairen und respektvollen Umgang unter politischen Kontrahenten. Die Staatskanzlei in Erfurt solle unter seiner Führung »ein offenes Haus« werden.

In der Ansprache direkt nach der Vereidigung als Ministerpräsident entschuldigte sich Ramelow erneut für in der DDR geschehenes Unrecht. Dass es die Geschichtspolitik war, die seit Beginn der Sondierungen die öffentliche Debatte über Rot-Rot-Grün bestimmte, hat verständliche Gründe - es liegt darin aber auch ein politisches Problem: über Wohl und Wehe, Grenzen und Chancen einer rot-rot-grünen Reformpolitik auf Landesebene wurde kaum gesprochen.

Auch wenn es im Lichte der Anspannung der vergangenen Wochen, in denen viele Hürden auf dem Weg zu Rot-Rot-Grün zu nehmen waren (was mit großer Rückendeckung der Basismitglieder und von Parteitagen gelang - aber keineswegs selbstverständlich war), nicht so aussieht: Um die sprichwörtliche Wurst geht es für das Mitte-Links-Dreierbündnis von Thüringen erst jetzt. So wichtig das Signal ist, das von seinem Zustandekommen ausgeht, so entscheidend wird sein, was diese Koalition jetzt wirklich zustande bringt.

Die LINKE-Vorsitzende Katja Kipping hat am Freitag erklärt: »Rot-Rot-Grün macht alle kommenden Wahlen spannender. Die Union verliert ihr Abo auf die Macht.« Das ist zunächst einmal nichts Geringeres als eine Riesenverantwortung.

Denn ob eine rot-rot-grüne Veränderungsmehrheit unter dem Strich mehr sein wird als nur ein neues Angebot in der Liste der parlamentarischen Farbkombinationen, kann nicht am Beginn feststehen. Ramelow hat in den vergangenen Tagen mehrfach das Wort vom Vertrauensvorschuss bemüht - rückzahlbar wäre der mit einer Politik, die es wirklich ernst meint mit der »neuen Kooperation«, die das Versprechen auch wahrmacht, die Fenster der Demokratie aufzustoßen und so Lust auf neue, selbstbestimmte Beteiligung der Menschen macht, die den Anspruch nicht vergisst, dass Rot-Rot-Grün mehr können muss, als bloß den Status quo besser zu verwalten.

Thüringen sei »eines von den schwierigen Bundesländern«, hat Rainald Grebe einmal augenzwinkernd gesungen. Daran hat sich am Freitag ernsthaft betrachtet noch nichts geändert. Aber mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident kann eine neue Etappe linker Politik beginnen. Diese wird nicht nur den in Thüringen direkt Beteiligten viel abverlangen. Auch und gerade die Linkspartei, in der das Mitregieren umstritten ist, kann einen neuen »Geist von Erfurt« gebrauchen - eine Haltung, die Widersprüche nicht deckelt, die Lust auf neue Fragen hat, die in der Meinungsverschiedenheit einen Antreiber für bessere Gedanken sieht, die die eigenen Begrenzungen offensiv politisiert und die offen ist gegenüber einer Gesellschaft, in der linke Veränderung derzeit nicht ganz oben auf der Liste der Wünsche vieler Bürger steht.

Von Tom Strohschneider

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: