zeit..de, 07:25 Uhr, 11.12.2014
CIA Folter: Das Grauen unterschätzt
Es wird schon nicht so schlimm sein – das dachten Hamburger Richter über die Verhörmethoden der CIA – und verwerteten Folteraussagen als Beweise. Was für ein Irrtum! von Jochen Bittner
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Jochen Bittner, 41, ist Politik-Redakteur der ZEIT. | © Jakob Börner
Wahrscheinlich ahnten die Richter des Oberlandesgerichts Hamburg nicht annähernd, was tatsächlich mit zwei wichtigen Zeugen geschah, die sie gerne in ihrem Terrorismusverfahren angehört hätten. Die Hamburger hatten ab dem Jahr 2002 den Fall von Mounir al-Motassadeq zu verhandeln, einem Mitglied der Hamburger Al-Kaida-Zelle, welche die Anschläge vom 11. September 2001 plante.
Um Genaueres über die Rolle des Angeklagten herauszufinden, würden die Richter gerne zwei Gefangene vorladen, die sich damals in der Obhut der CIA befanden: Den mutmaßlichen Chefplaner der 9/11-Attentate, Khalid Sheikh Mohammed, und Ramzi Binalshibh, der als Logistiker der Hamburger Terrorzelle gilt. Doch die Vereinigten Staaten lehnen das Rechtshilfeersuchen aus Deutschland ab. Sie bieten dem Gericht lediglich Zusammenfassungen von Aussagen an, die Scheich Mohammed und Binalshibh gemacht hätten.
Warum die CIA die beiden lieber für sich behielt und wie genau solche Aussagen damals zustande kamen, das wissen wir seit Dienstag erschütternd detailliert. Es steht in dem 500-Seiten starken Bericht über die Foltermethoden der CIA, den der US-Senat jetzt veröffentlichte.
Eine Woche Schlafentzug
Khalid Sheikh Mohammed "schrie und drehte sich", als er zum vierten Mal innerhalb von 14 Stunden ans Waterboard gefesselt wurde, hält der Report fest. Waterboarding bedeutet, durch Beinahe-Ersticken einen nahenden Ertrinkungstod zu simulieren. "KSM übergab sich während und nach der Prozedur." Der Gefangene schluckte so viel Wasser, dass die CIA-Vernehmer notierten, sein Oberkörper sei "einigermaßen gebläht, und er scheidet Wasser aus, wenn man darauf drückt." Zuvor war Mohammed ein rektaler Einlauf verabreicht worden, weil dies helfe, so ein CIA-Mitarbeiter, den "Kopf klar zu kriegen". Ein Offizier schlägt vor, angesichts des bedrohlichen Elektrolytverlusts solle man für Waterboardings in Zukunft vielleicht besser Salzlösung verwenden.
Scheich Mohammed war den "erweiterten Verhörtechniken" des amerikanischen Geheimdienstes am intensivsten von allen Gefangenen ausgesetzt. Nach seiner Festnahme im März 2003 in Pakistan wurde er laut Senatsbericht mindestens 178 Mal dem Waterboarding unterzogen. "Ab dem Abend des 18. März 2003 begann für KSM eine Periode von Schlafentzug, zumeist in stehender Position, die siebeneinhalb Tage lang andauern sollte, über etwa 180 Stunden", so der Report. Die Geheimdienstler glauben, der Pakistaner habe Informationen über einen geplanten Anschlag mit einem "nuklearen Koffer". Die hatte er aber nicht, schlussfolgert der Senatsbericht. Stattdessen fing Mohammed irgendwann an, Phantasiegeschichten über Anschläge zu erzählen, nur damit die Quälereien nachließen. Diese Geschichten führten dazu, dass zwei Unschuldige ebenfalls in CIA-Haft landeten.
Bereits ein halbes Jahr zuvor war in Pakistan Ramzi Binalshibh festgenommen worden, der zweite Wunschzeuge der Hamburger Richter. Die CIA-Zentrale ist der Ansicht, mit ihm einen ranghohen Al-Kaida-Mann ergriffen zu haben, der "wahrscheinlich wichtige Informationen über bevorstehende Angriffe" besitzt. Auch das war eine Fehleinschätzung, wie sich später herausstellen sollte.
Später, das bedeute in diesem Fall nach 34 Tagen Folter. Ein CIA-Verhörteam erstellte einen eigenen "Verhörplan" für Binalshibh. "Dieser Plan wurde zu einer Schablone" für weitere Verhöre, so der Senatsbericht. Folgendermaßen lief er ab: Um eine "Sinnes-Entsetzung" (sensory dislocation) zu bewirken, wurde Binalshibh im Gesicht und auf dem Kopf rasiert, in einen weißen Raum mit hellem Licht gebracht, wo er lautem Lärm ausgesetzt wurde, und zwar "unbekleidet (…) bei unkomfortabel kühlen Temperaturen". Seine Hände und Füße wurden gefesselt, die Arme nach oben über den Kopf gezogen, allerdings nicht so weit, dass sie das Gewicht von den Beinen genommen hätten.
All das geschah ohne den anfänglichen Versuch, Binalshibhs Kooperationsbereitschaft in einem Gespräch auszuloten.
Es folgten ununterbrochene Verhöre, Wahrnehmungs- und Schlafentzug über mehr als 72 Stunden, eine "Flüssigkeitsdiät", das Festhalten des Kopfes während der Befragung, Schläge auf den Oberkörper und Waterboarding. Nachdem Binalshibh dies mehrere Tage über sich hatte ergehen lassen, kabelten seine Peiniger an die CIA-Zentrale, der Gefangene sei kooperativ und habe ihrer Einschätzung nach keine Kenntnisse über bevorstehende Attentate.
Hamburg verwertet die Aussagen
Die CIA-Zentrale meldete zurück: "Wir denken, Binalshibh (…) kann uns helfen, großangelegte Attacken innerhalb der Vereinigten Staaten zu verhindern, und wir wollen unser Äußerstes tun, um (diese Informationen, d. Red.) so schnell wie möglich zu bekommen. Viel Glück." Die Vernehmer setzen die beschriebenen Methoden daraufhin etwa drei Wochen lang fort. Binalshibh lieferte keine Informationen über Anschläge. Aber seine Psyche war gebrochen. Ein CIA-Psychologe attestiert ihm später Symptome wie Visionen, Paranoia, Schlaflosigkeit und Selbstverletzungsversuche. Nach zweieinhalb Jahren Isolationshaft wird Binalshibh im September nach Guantánamo geflogen und unter Psychopharmaka gesetzt. Im dortigen Gefangenenlager sitzt er bis heute, ebenso wie Khalid Scheich Mohammed.
In Hamburg überlegen die Richter während all dem, wie sie mit den Zusammenfassungen der Aussagen umgehen sollen. Das Verfahren zieht sich hin, geht an den Bundesgerichtshof, der es an das Oberlandesgericht zurückverweist. Im Jahr 2007 fällt das endgültige Urteil. In ihm heißt es, einer Verwertung der Aussagen von Sheikh Mohammed und Binalshibhs stehe nichts entgegen.
Ein Beweisverwertungsverbot für Zeugenaussagen komme "nur in Fällen besonders gewichtiger Menschenrechtsverletzungen" in Betracht. Dazu, so die Richter, "zählt die Versagung eines geordneten Gerichtsverfahrens sowie die Nichtgewährung von Freiheit und Außenkontakten, jedenfalls nach dem hier anzunehmenden bisherigen Zeitraum von etwa drei Jahren (…) noch nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die amerikanische Rechtsordnung eine solche Behandlung der Al-Kaida-Mitglieder offenbar zulässt."
Die Richter irrten gleich zwei Mal. Sie unterschätzen das Grauen, dem die Gefangenen ausgeliefert waren. Und sie vertrauten auf die Rechtseinschätzung, die sich die US-Regierung für solche Verhöre vom Justizministerium maßschneidern ließ. Nein, die amerikanische Verfassung ließ und lässt solche Behandlungen keineswegs zu. Zugelassen haben sie George W. Bush, seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, der damalige Justizminister und der CIA-Chef.
Barack Obama hat mit der Veröffentlichung des Berichts einen richtigen Schritt getan. Aber wenn es dem US-Präsidenten, wie er selbst sagt, darum geht, amerikanische Werte wiederherzustellen, dann gibt es nur einen konsequenten zweiten Schritt. Die Verantwortlichen von damals müssen vor Gericht.