Karl Nolle, MdL

welt.de, 6:26 Uhr, 27.12.2014

Gegen die Idiotisierung des Abendlandes

 
Sie wollen sich nicht als medial verbreitete Kulisse der Fremdenhasser vor ihrer Tür missbrauchen lassen: Wie die Musiktheater in Dresden und München so klug wie knapp Zeichen gegen die Angst vor den Fremden setzen Von Manuel Brug

Das Volk geht auf die Straße. Um für oder gegen etwas zu demonstrieren. Das hat selbst in Deutschland Tradition, wo Revolutionen meist gescheitert sind. Wer seine Meinung ausstellt, was durch die Verfassung gewährleistet ist, der möchte dies natürlich an symbolischer, prominenter Stelle tun, auf jeden Fall aber an einem Ort, an dem man Aufmerksamkeit erregt und der für die – hoffentlich – strömenden Massen ein gutes Auffangbecken ist.

Die mehr als 17.000 Dresdner Pegida-Sympathisanten hatten sich dafür am Montag vor Weihnachten den Theaterplatz mit der Semperoper ausgesucht, ganz so, als käme man wirklich aus der gutbürgerlichen Mitte und motze jetzt ein wenig in seiner guten Stube. In München wiederum wussten die 12.000 Gegendemonstranten mit ihrem "Aufstand der Anständigen" auf dem sicher nicht zufällig gewählten Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater ein deutliches Zeichen zu setzen.

Beide Manifestationen waren vor allem Kundgebungen, es ging nicht um den solidarischen Zug, der durch seine Länge besticht, sondern um das gemeinsam erlebte Wort und das kollektive Singen wie Zuhören. Und man wollte sich nicht an die Peripherie der Stadt abdrängen lassen. Also suchte man deren schönsten Freiraum. Opernhäuser als gebaute Zeugnisse eines feudalen, aber mehr noch bürgerlichen Zeitalters waren und sind (auch wenn das zu bröckeln beginnt) von jeher die schönsten Zacken in der Stadtkrone, mit eminentem Wiedererkennungswert. Hier feiert sich der Citoyen, hier will er sehen und gesehen werden. Dem Wutbürger geht das nicht anders. In Brüssel wurde sogar einmal in der Oper eine Revolution losgetreten: 1830 ging das Volk nach einer Aufführung von Aubers "Die Stumme von Portici", wo der Aufstand neapolitanischer Fischer gegen die spanischen Bourbonen thematisiert wird, auf die Barrikaden gegen den niederländischen König Wilhelm I. und tat so den ersten Schritt in die belgische Unabhängigkeit. So viel zivilen Ungehorsam erwartet keiner von denen, die jetzt hinter Mauern und Fenstern den Massen vor ihrem Theater zuschauten. Aber die sonst vor allem als Brauereiwerbung-Silhouette oder TV-Opernball-Kulisse gebrauchte Semperoper wie auch die Bayerische Staatsoper, vor der sich Münchens Reiche und Schöne inszenieren, reagierten durchaus. Schließlich arbeitet an beiden Häusern eine Belegschaft aus vielen Nationen.

In Dresden gab sich an dem gegenwärtig führerlosen Haus nur der an dieser Situation nicht ganz unschuldige Staatskapellenchef Christian Thielemann dezidiert neutral: in der "Dresdner Morgenpost" warnte er davor, die Pegida-Demonstranten vorschnell zu verurteilen. "Pegida ist ein Sammelbecken für die Unzufriedenen in der Gesellschaft", ließ er sich zitieren. Die Opernleitung aber handelte und hatte während der Pegida-Kundgebung die Gebäudebeleuchtung ausschalten lassen, um nicht prominent in Bild und Film festgehalten zu werden.

Außerdem hingen an den vier Fahnenmasten, an denen sonst für die aktuellen Vorstellungen geworben wird, Banner mit den mahnenden Worten

"Augen auf", "Herzen auf", "Türen auf" und "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Pegida-Gegner warfen zudem mit Beamern Parolen wie

"Refugees welcome"

auf die gewölbte Rustika-Fassade.

In München hatte man ebenfalls geflaggt.

"Bayerische Staatsoper für Humanität, Respekt und Vielfalt"

stand dort auf drei Bannern zwischen den acht korinthischen Säulen des monumentalen Eingangsportikus. Noch weiter war nebenan Martin Kušej, der Kärntner Intendant des Residenztheaters, gegangen. Er, der selbst der slowenischen Minderheit im österreichischen Bundesland angehört, verkündete auf einem weißen Tuch drastisch:

"Regida – Residenztheater gegen die Idiotisierung des Abendlandes".

Am besten freilich wenden sich die Kunstinstitutionen mit ihrem eigentlichen Auftrag gegen ungebetene Gäste vor ihrer Tür. Der Spielplan sollte sprechen. Am Residenztheater aber steht gegenwärtig ausgerechnet die "Reise ans Ende der Nacht" an, Frank Castorfs stundenlange Auseinandersetzung mit dem Nazifreund Céline. Die Bayerische Staatsoper spielt hingegen das Ballettmärchen "Paquita" und "Carmen", die beide immerhin die "Zigeuner"-Ausgrenzung des 19. Jahrhunderts ein wenig anreißen. Besser hat es da – zufällig – die Semperoper getroffen. Dort war gerade Premiere von Engelbert Humperdincks "Königskindern". Darin geht ein Liebespaar an Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit gar nicht märchenhaft zugrunde.

Karl Nolle im Webseitentest
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