Sächsische Zeitung, 02.01.2015
Mindestlohn ist wichtiger als Maut
Georg Moeritz über die entscheidenste Neuerung zu Neujahr
Wer in den vergangenen Tagen Jahresrückblicke oder politische Kabarett-Sendungen im Fernsehen angeschaut hat, der kann leicht zu einer falschen Einschätzung kommen: Demnach ist die geplante Autobahn-Maut derzeit eine der wichtigsten politischen Weichenstellungen. Über die Maut lässt sich so leicht diskutieren. In Wirklichkeit ist der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro die mit Abstand folgenreichste Neuregelung. Er bringt mit Sicherheit Hunderttausenden Menschen eine Lohnerhöhung, wahrscheinlich aber auch einigen Tausend den Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit.
Der Mindestlohn ist die „Grenze gegen ruinösen
Niedriglohn“ (Martin Dulig)
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hat recht, wenn er den neuen Mindestlohn als „Grenze gegen ruinösen Niedriglohn“ bezeichnet. Schlimm genug, dass in Sachsen sogar in manchen Industriebetrieben eine Vollzeitstelle bisher weniger als 1 500 Euro brutto einbrachte. Doch selbst mit dem neuen Mindestlohn wird diese Summe nicht ganz erreicht, und die Textil-Industrie verlangt weiterhin nach Ausnahmen für die nächsten zwei Jahre.
Einige Ökonomen und Politiker haben die Sorge geäußert, mehrere Zehntausend Arbeitsplätze in Sachsen seien bei 8,50 Euro pro Stunde nicht mehr zu bezahlen und würden in den nächsten Jahren wegfallen. Doch so schlimm wird es nicht kommen. Stattdessen erhöhen viele Bäcker, Friseure und Taxifahrer die Preise und bezahlen ihre Angestellten besser. In diesen Branchen haben viele Menschen seit Jahren keine Lohnerhöhung bekommen, die Chefs verweigerten Tarifverhandlungen. Dass nun einiges teurer wird, ist zu verschmerzen – die Inflationsrate ist insgesamt sehr niedrig.