http://www.noz.de, 07.01.2015
Verräterische Parolen auf Demos - Pegida, die „Lügenpresse“ und die „Volksverräter“
dpa/uwe Osnabrück. Auf den Demonstrationen des Anti-Islam-Bündnisses Pegida skandieren die Teilnehmer immer wieder Begriffe wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“. Doch was steckt hinter Begriffen?
Experten der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erklären die ursprüngliche Bedeutung der Parolen der Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz Pegida. Auch Historiker geben interessante Hinweise zu alten und neuen „Kampfbegriffen“.
Lügenpresse: Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert geläufig, erlebte das Wort um 1940 eine Renaissance. Dahinter standen laut GfdS immer völkische und nationalistische Anliegen, die die staatlich gelenkte „Lügenpresse“ angeblich zu verschleiern versuchte. Aus Sicht der Protestierenden herrscht auch heute keine wirkliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit. Aus ihrer Sicht bestimmen vielmehr Regierung oder System darüber, was veröffentlicht werden darf.
Volksverräter: Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von „Volksverräter“ zielt nach Angaben der Gesellschaft darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an „ihrem“ (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus habe es den Straftatbestand des Hoch- und Landesverrats gegeben. Erst mit dem Wort Volksverrat habe die Straftat aber einen klaren Bezug zur Nationalität erhalten, da mit den bis dahin üblichen Bezeichnungen nicht auf eine völkische oder ethnische Zugehörigkeit Bezug genommen wurde.
Überfremdung: Im Duden bereits 1929 verzeichnet, 1993 Unwort des Jahres. Auch hier gibt es laut GfdS einen klaren Bezug zur Sprache des Nationalsozialismus. So sprach Joseph Goebbels 1933 von „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Heutzutage seien eher andere Gruppen gemeint, das Wort habe sich hartnäckig gehalten.
Abendland: Laut Wörterbuch Grimm ist die Bedeutung „westlich gelegenes Land“, zunächst also rein geografisch und ohne Bezug zu einer bestimmten Nation, Kultur oder Religion. Ideologisch besetzt ist das Wort jedoch nach Angaben der Sprachforscher durch das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das klare antidemokratische Züge aufweist. Spengler sah die abendländische Kultur im Untergang begriffen und hielt die freiheitliche Demokratie für ein (unausweichliches) Stadium zum Niedergang.
„Kampf- und Abgrenzungsparole“
Auch Historiker verweisen darauf, dass der Begriff „Abendland“ stets auch ein Versuch der Abgrenzung gewesen sei. „Das Abendland ist ein Mythos, der vor allem im 17. und 18. Jahrhundert Hochkonjunktur hatte: Er steht für eine Wertegemeinschaft, die griechisch-römische Philosophie mit christlichem Denken verbindet und den Eindruck erweckt, als habe sich die Antike im Christentum vollendet“, sagte der Berliner Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dabei sei die Rede vom Abendland immer eine Kampf- oder Abgrenzungsparole gewesen, die sich - je nach historischer Situation - gegen die orthodoxe Kirche, den Islam oder den Bolschewismus gerichtet habe.
Nach den Worten des Berliner Historikers August Heinrich Winkler tauchte die Vorstellung vom Abendland schon im klassischen Altertum auf: Die Griechen hätten nach den Perserkriegen im 5. Jahrhundert vor Christus mit diesem Begriff ihre eigene Identität gegenüber den „Barbaren“, also den Fremden im Osten, ausdrücken wollen.
Pegida und die Rechtschreibung
Vor Ort auf den Pegida-Demonstrationen geht es indessen argumentativ deutlich schlichter zu. Angeblich geht es den Demonstranten um die Bewahrung der Kultur des „Abendlandes“. In der Praxis hapert es allerdings manchmal schon an der deutschen Rechtschreibung. So müsste das „D“ in dem Satz „Sachsen bleibt Deutsch“ eigentlich klein sein. Auffällig war zuletzt auch, dass bei den Demonstrationen in Dresden, Köln und München neben der Deutschlandfahne vereinzelt auch die von Rechtsextremen entworfene Fahne des „Vierten Reichs“ zu sehen war.
Neben „deutsch“ taucht bei den Aktionen von Pegida und ihren vielen kleineren Ablegern das Wort „Volk“ am häufigsten auf. Das „deutsche Volk“, das ist offenbar der kleinste gemeinsame Nenner. In Städten wie Köln, wo man italienischen Migranten auch dann freundlich auf der Straße begegnet, wenn sie wie 2012 den Sieg über Deutschland im Halbfinale der Fußball-EM feiern, kann man mit solchen Slogans keine Massen um sich scharen. In Dresden, wo die „Völkerfreundschaft“ zwar über Jahrzehnte Teil der DDR-Ideologie, aber keine gelebte Praxis war, ist das anders. „Der Osten war eine homogene Gesellschaft, ob man das nun mag oder nicht“, sagt die frühere Fraktionschefin der Grünen im sächsischen Landtag, Antje Hermenau.
Fundamentalkritik an der politischen Klasse
Allerdings, fremdenfeindliche Ressentiments und Islam-Kritik sind - darauf weisen auch Migrationsforscher hin - nicht die einzige Triebfeder der Pegida-Spaziergänger. Oft ist es Fundamentalkritik an der politischen Klasse, die sie auf die Straße treibt. In der Studie „Fragile Mitte - Feindselige Zustände“ von 2014 identifizierten sich 70 Prozent der Befragten mit dem Satz: „Politiker nehmen sich mehr Rechte heraus als normale Bürger“.
Soziale Abstiegsängste und die Pegida-Proteste
Die These, dass soziale Abstiegsängste hinter den Pegida-Protesten stecken, hält der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Andreas Zick, für abwegig. Er stellt sogar eine „wachsende Zustimmung zu chauvinistischen und nationalorientierten Einstellungen nach der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise“ fest.
Auch die Tatsache, dass die Wiege von Pegida ausgerechnet in Dresden steht, spricht für Zicks Theorie. Denn mit der Zahl der Arbeitslosen stand Dresden im sachsenweiten Vergleich schon immer besser da als andere Städte. In ganz Sachsen hat sich die Arbeitslosenquote in den vergangenen zehn Jahren zudem von 16,9 Prozent auf 8,1 Prozent (November 2014) halbiert. Auch andere ökonomische Daten deuten auf keine besondere „Notlage“ der Elbestadt hin. Ganz im Gegenteil. Dresden ist nach dem Verkauf seiner Wohnungsgesellschaft 2006 de facto schuldenfrei. Die Stadt kann sich parallel teure Kulturprojekte wie den Umbau des Kulturpalastes und eines früheren Kraftwerkes zu einer modernen Spielstätte für die Staatsoperette und das Theater Junge Generation leisten.