spiegel online, 21:00 Uhr, 14.01.2015
Dresden: Der rätselhafte Tod des Khaled I. aus Eritrea
Die Ermittler sind sich sicher: Khaled I. wurde in Dresden in der Nacht auf Dienstag erstochen. Wer tötete den Asylbewerber aus Eritrea? Politiker warnen vor zu schnellen Schuldzuweisungen.
Die Spur von Khaled I., 20, verliert sich am Montag gegen 20 Uhr. Um diese Zeit, erinnern sich Mitbewohner, habe er sein Zimmer in der Johannes-Paul-Thilmann-Straße in Dresden verlassen. Er habe einkaufen gehen wollen. Es sind genau 140 Meter vom Hauseingang bis zum Discounter über die Straße. Ein Fußweg von zwei Minuten. Khaled I., der den langen Weg von Eritrea nach Deutschland unbeschadet überstanden hatte, kehrte nicht zurück.
Am nächsten Morgen fand ihn ein Sozialarbeiter am Hintereingang des Hauses im Stadtteil Leubnitz-Neuostra. Blut war an Hals und Schulter zu sehen, auf einem kleinen Plattenweg eine Blutlache, so berichten es Mitbewohner von Khaled I., die hinuntergeeilt waren, als sie vom schrecklichen Fund erfuhren. Der junge Mann war wohl bereits seit Stunden tot.
Zunächst schloss die Polizei ein Fremdverschulden aus, am Mittwoch ergab die Obduktion: der Mann wurde mit mehreren Messerstichen in Hals und Brust getötet. Laut Staatsanwaltschaft waren die Stichverletzungen zunächst "nicht ohne Weiteres zu erkennen". Die Mordkommission ermittelt wegen Verdachts des Totschlags gegen unbekannt.
Hat niemand etwas gehört?
Khaled I. lebte mit sieben anderen Eritreern in einer Vierzimmerwohnung. Die Nachbarn sind vorwiegend Deutsche, der Ausländeranteil in Leubnitz-Neuostra ist gering: 2012 lag er bei 1,2 Prozent. Hunderte Fenster gehen in den Hinterhof, in dem Khaled I. am Dienstagmorgen in seinem Blut lag. Von manchen Balkonen wehen Deutschlandfahnen.
Hat niemand gesehen, was in der Nacht auf Dienstag oder am frühen Dienstagmorgen geschah? Hat niemand etwas gehört? Von Anwohnern, die Hinweise geben können, ist bisher nichts bekannt. Allerdings sind die Beamten auch noch nicht sicher, ob der Fundort der Leiche auch der Tatort war.
So ist der Fall bislang ein Rätsel. Nach Angaben der Mitbewohner verließ Khaled I. die Wohnung um 20 Uhr. Zu dieser Zeit schließt aber der Netto-Markt, zu dem er offenbar wollte. Zudem ist der Hinterausgang, wo man ihn fand, nicht der kürzeste Weg zum Discounter. Man müsste den gesamten Block umrunden.
Die Freunde von Khaled I. waren sich von Anfang an sicher, dass sein Tod kein Unfall war. Unwohl hätten sie sich gefühlt in der Stadt, in ihrem Viertel, sagen sie. Sie seien auf der Straße angestarrt worden, hätten sich oft bedroht gefühlt.
Mahnwache für Khaled I.
Es ist dieser Verdacht, der nun in vielen Kommentaren in den sozialen Netzwerken aufkeimt: War es eine fremdenfeindliche Tat? Politiker der Linken und der SPD warnen zu Recht vor vorschnellen Schuldzuweisungen. Es müsse Besonnenheit herrschen. Doch die ist in Dresden derzeit fern: Die Stimmung wird mit jedem Pegida-Aufmarsch und jeder Gegendemonstration aufgeheizter, der Druck auf die Polizei ist nun enorm.
Am Nachmittag gab es eine Mahnwache für Khaled I. am Dresdner Jorge-Gomondai-Platz. Er ist nach einem Mann aus Mosambik benannt, der 1991 in Dresden von Rechtsextremisten verfolgt worden und bei einem Sturz aus der Straßenbahn ums Leben gekommen war. Der Trauerzug marschierte vor das Albertinum auf der schicken Altstadtseite Dresdens. Dort, im Lichthof, gab Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu dieser Zeit seinen Neujahrsempfang. Motto: "Aus aller Welt - zu Hause in Sachsen".
Von Steffen Winter, Dresden