ARD Tagesthemen, 27.01.2015
Pegida-Demonstranten in Dresden - ganz ehrlich - da ist mir dann wirklich schlecht geworden ...
... Pegida-Demonstranten in Dresden, die sich aufregen über die vielen Ausländer in Deutschland - ganz ehrlich - da ist mir dann wirklich schlecht geworden ...
Kommentar von Anja Reschke, NDR
"Auschwitz, Holocaust - ich kann's nicht mehr hören, es muss doch mal Schluss sein!" - Oh, diese Sätze hört man wieder oft zurzeit. Sie kommen immer dann, wenn das Gedenken wieder in den Vordergrund rückt. Die Mehrheit der Deutschen möchte die Geschichte der Judenverfolgung hinter sich lassen, sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. 58 Prozent wollen sogar einen Schlussstrich ziehen.
Ich habe gestern die Dokumentation über Kameraleute der alliierten Truppen gesehen, die gefilmt haben, als die Konzentrationslager befreit wurden, die kamen, als die Schornsteine der Krematorien noch rauchten, die über Berge von Leichen gestiegen sind; Bilder von Skeletten mit ein bisschen Haut darüber, offene Münder, verdrehte Gliedmaßen. Heute sind diese Kameraleute von damals Männer von über 90 Jahren. Als sie erzählt haben, haben sie angefangen zu weinen. Keiner von ihnen kann einen Schlussstrich ziehen, genauso wenig wie die Opfer, die überlebt haben. Es gibt nicht mehr viele von ihnen, aber noch sind sie da - und ihnen schmettern wir entgegen: "Es muss doch mal Schluss sein"? Ausgerechnet wir?
Es gibt keinen Schlussstrich in der Geschichte - in keiner. Klar, lieber erinnern wir uns an Karl den Großen, Bismarck oder die Wiedervereinigung. Aber Auschwitz ist nun mal passiert. Wieso sollten wir ausgerechnet das Kapitel der Judenverfolgung hinter uns lassen? Dieser Teil unserer Geschichte ist in seiner Abartigkeit so einzigartig, dass er gar nicht vergessen werden kann.
Ich bin "dritte Generation". Ich war nicht dabei, und trotzdem habe ich mich geschämt, als ich wieder diese Bilder gesehen habe. Weil es zu meiner Identität als Deutscher gehört, ob ich will oder nicht.
Nach diesem Film konnte ich nicht schlafen, also habe ich umgeschaltet. Und was sehe ich: Pegida-Demonstranten in Dresden, die sich aufregen über die vielen Ausländer in Deutschland. Ganz ehrlich - da ist mir dann wirklich schlecht geworden.