Karl Nolle, MdL

welt.de, 10.02.2015

McKinsey-Studie: Das große Märchen von der globalen Verschuldung

 
Kaum etwas macht den Deutschen mehr Angst als eine unkontrollierte Verschuldung. Doch diese Hysterie ist unangebracht: Nie waren sie so vermögend wie heute. Das wirkliche Problem ist ein ganz anderes.
Von Thomas Straubhaar

"Sicherheit" ist der Deutschen größte Sorge. Sie steht bei Frauen und Männern im Osten wie im Westen seit Jahren ganz oben in der Rangliste der wichtigsten Themen

Link: http://www.gfk-compact.de/index.php?article_id=323&clang=0 

– so auch 2015. Verständlich, dass sich deshalb die meisten Bundesbürger ernsthafte Gedanken zur aktuellen Verschuldungssituation hierzulande, in Europa und weltweit machen.

Befürchtet wird von vielen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Menschheit an ihren Schulden ersticken und daran zugrunde gehen wird. Doch diese Angst ist völlig unnötig. Denn es gibt keine weltweite Verschuldung!

Bei allem Respekt vor den Autoren ist und bleibt es Polemik, vor einer "weltweiten Verschuldung" zu warnen, wie es eine neue McKinsey-Studie tut Link: http://www.welt.de/137129840  – oder gar davon, dass "die Welt bankrott" geht, wie es ein Spiegel-Titel (32/2011) schon vor einigen Jahren suggerierte. Weder ist die Weltwirtschaft überschuldet, noch kann sie Pleite gehen.

Denn global gesehen ergibt sich immer ein Verschuldungssaldo von Null. An jedem Kreditgeschäft sind zwei Akteure beteiligt, ein Gläubiger und ein Schuldner. Forderungen des einen und Verbindlichkeiten des anderen heben sich gegenseitig auf. Weltweit ist die Höhe von Schulden und Guthaben identisch. Sie entsprechen deckungsgleich den beiden Seiten derselben Medaille.

Schulden entstehen nicht im luftleeren Raum

Daher ist es Unsinn, davon zu sprechen, dass die "weltweite Verschuldung seit der Finanzkrise um 57 Billionen Dollar gestiegen" ist und heute mit 199 Billionen Dollar einen neuen Rekordstand erreicht hat

Link: http://www.mckinsey.de/weltweite-verschuldung 
 
Denn im gleichen Zeitraum müssen auch die Forderungen gestiegen sein – und das Geldvermögen heute brutto 199 Billionen Dollar betragen. Nichts anderes als ein globaler Saldo von Null ist die Realität, weil Schulden nicht im luftleeren Raum entstehen. Sie brauchen Gläubiger.

Ebenso einseitig ist es, bei der Verschuldung nur monetäre Forderungen und Verbindlichkeiten zu betrachten. Vermögen ist weit mehr als der Saldo von Debitoren und Kreditoren. Es beinhaltet alle Anlagegüter – wie Gebäude, Wohnungen, Maschinen, Geräte, Fahrzeuge und vieles mehr.

Gerade der so kritisch beäugte Staat besitzt Sachvermögen wie die Infrastruktur, Versorgungsnetze, öffentliche Einrichtungen, Land, Wälder und Seen. Des Weiteren hat die öffentliche Hand Beteiligungen an Staatsbetrieben wie der Bahn, der Post oder der Telekom.

Noch nie waren die Deutschen so reich wie heute

Die gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz veranschaulicht, wie unberechtigt die deutschen Verschuldungsängste sind: Sie weist zum Jahresende 2013 ein Volksvermögen von 12,6 Billionen Euro aus – ein neuer Rekord  -  Link:

http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statistiken/sektorale_und
_gesamtwirtschaftliche_vermoegensbilanzen.pdf? blob=publicationFile

.

Gegenüber dem Ausland bestand eine Nettogläubigersituation (Forderungen minus Verbindlichkeiten) von 876 Milliarden Euro – mehr als jemals zuvor in diesem Jahrhundert.

Die privaten Haushalte besitzen ein Reinvermögen von 9,7 Billionen Euro. Dazu kommen noch Gebrauchsgegenstände wie Autos, Möbel oder Elektrogeräte im Wert von rund einer Billion Euro – auch das sind historische Spitzenwerte.



Noch nie waren die Deutschen so vermögend wie heute.

Gegenüber dem letzten Vorkrisenjahr (2007) hatte die Bevölkerung Ende 2013 ein um etwa ein Fünftel höheres Reinvermögen.

Selbst der Staat weist ein Reinvermögen von rund einer Viertel Billion Euro aus. Es liegt jedoch 2013 etwas tiefer (rund 12 Prozent) als vor der Finanzmarktkrise und deutlich (rund 40 Prozent) unter dem Niveau zur Jahrhundertwende.

Allerdings wird für den Staat das Fremdkapital immer wichtiger. Sein Anteil lag 1999 noch bei etwas über 70 Prozent, 2013 bereits bei rund 90 Prozent.

Probleme entstehen erst in der Zukunft

Noch ist in Deutschland das Volksvermögen weit größer als die Schulden. Die Volkswirtschaft besitzt insgesamt mehr Forderungen als Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Der Staat hat ein Reinvermögen. Wie bitte, lässt sich bei solchen Fakten eine Schuldenhysterie rechtfertigen? Offenbar nicht auf der Grundlage der gesamtwirtschaftlichen Vermögensstatistik.

Richtig ist, dass mit Verschuldungsfragen auch Verteilungswirkungen verknüpft sind. Schuldner und Gläubiger sitzen zwar oft im selben Boot, aber meist nicht auf dem gleichen Deck. Die einen schuften im Maschinenraum, die anderen genießen ihre Luxuskabinen.

Aber beide sind sie eben auch untrennbar miteinander verbunden. Sobald der Kredit ausbezahlt ist, können die Gläubiger nur noch hoffen, dass Zinszahlungen und Tilgung verabredungsgemäß geleistet werden.

Manchmal jedoch liegen Epochen zwischen Aus- und Rückzahlung
 
Link: http://www.welt.de/137074192 .

Man vereinbart heute einen Kredit, dessen Tilgung erst Generationen später erfolgt. So entstehen die Probleme der Staatsverschuldung nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.

Verteilungswirkungen sind relevant

Wenn der Staat in der laufenden Periode mehr ausgibt als einnimmt und deshalb einen Kredit braucht, muss er dafür später seine Einnahmen erhöhen, um Zinsen und Tilgung finanzieren zu können.

Entweder fordert er zusätzliche Steuern oder er nimmt weitere Kredite auf. Letzteres kann einen Schneeballeffekt auslösen, der in einer sich selbst verstärkenden Schuldenspirale endet, wie sie diejenigen kennen, die selbst in die Schuldenfalle getappt sind. Beides schränkt die Handlungsspielräume künftiger Generationen ein.

Macht und Ohnmacht von Schuldnern und Gläubigern im Laufe der Zeit sind die Themen, die analysiert und verstanden werden sollten. Sie haben aber nichts mit einer Perspektive zu tun, die nur Finanzkrisen und unberechenbare Marktausschläge im Auge hat und dafür mit einer weltweiten Verschuldungshysterie den Blick schärfen will.

Vielmehr geht es um die Verteilungswirkungen der Verschuldung innerhalb und zwischen den Generationen. Darum müssen wir uns Sorgen machen.

Thomas Straubhaar ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg. Bis Ende August 2014 war er Direktor und Sprecher der Geschäftsführung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Seit September 2013 ist der gebürtige Schweizer Fellow der Transatlantic Academy in Washington, D. C., wo er sich oft aufhält. Er schreibt für die "Welt" in regelmäßigen Abständen Kolumnen zu aktuellen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen.

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