Karl Nolle, MdL

LINKS ! - März 2015 - Zeitschrift der Landtagsfraktion DIE LINKE Sachsen, 03.03.2015

Nolle: "Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus"

 
„Links!“ sprach mit dem langjährigen SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle.

Herr Nolle: Im Spätsommer haben sie sich aus dem Sächsischen Landtag verabschiedet. Ein Abgang mit Wehmut?
Nein, keineswegs. Ich hatte nie die Absicht Berufspolitiker zu werden, obwohl ich ein durch und durch politischer Mensch bin. Ich komme seit meinem Urgroßvater aus einem ursozialdemokratischen und antifaschistischen Elternhaus. Den Demokratischen Sozialismus habe ich schon mit der Muttermilch aufgesogen.

Sie gehörten dem Parlament 15 Jahre lang an. Welche Veränderungen konnten Sie beobachten, etwa im Blick auf die Debattenkultur und dem Verhältnis zwischen den Fraktionen?
Ja, 15 Jahre Parlamentsarbeit sind genug und irgendwann muss man mit dem Aufhören auch mal anfangen. Als ich 1999 SPD Abgeordneter wurde, gab es unter König Kurt und seinem Hofstaat eine königlich sächsische Hofopposition und eine königlich sächsische Hofberichterstattung. Ich habe damals dazu beigetragen, wie es der grüne MdL Johannes Lichdi einmal sagte, überhaupt so etwas wie eine Anmutung dessen, dass eine Opposition in Sachsen möglich ist, in die sächsische Öffentlichkeit getragen zu haben und ich war damals der einzige Unternehmer im Landtag.
Amtsmissbrauch und politische Korruption der Mächtigen im Land zum Thema zu machen galt anfangs auch bei manchen Teilen der Opposition als unpolitisch. Recherchieren, Fragen stellen, investigativen Journalismus fördern und ein landesweit bekannter offener Briefkasten, das war mein Ding. Klartext ohne Wischiwaschi trifft natürlich bei den Anderen nicht auf Gegenliebe. Einmal kam der CDU-Fraktionsvorsitzende Fritz Hähle mit seinem Weltbild völlig durcheinander. Er sprach von der SPD Fraktion und ihrem „extremistischen Abgeordneten Karl Nolle“. Das war es dann:  Nolle als extremistischer Demokrat.

Gelegentlich wird vermutet, Landespolitik werde auch in Sachsen zunehmend von einer Generation gestaltet, die außerhalb der Politik kein eigenständiges (Erwerbs)Leben mehr vorweisen könne,  Konnten Sie solche Entwicklungen beobachten?
Das Parlament muß ein Spiegelbild der beruflichen und Lebenserfahrungen der Menschen sein. Nur in Ausnahmefällen sollten dort Abgeordnete sitzen, die in ihrem Leben noch keinen Euro zum Bruttosozialprodukt beigetragen haben oder die politisch nicht allein über die Straße kommen. Leider sind Landtagsfraktionen mit ihren Millionenpersonaletats auch gigantische Geld getriebene Jobbörsen für Abgeordnete und Mitarbeiter. Fraktions- und Parteivorstände verfügen so über wirksame „Integrationsinstrumente“. Das ist bei Regierungsfraktionen noch krasser. Sie verteilen Ministerial- und Ministerposten und produzieren Beamte auf Lebenszeit. Warum sollen die, die in solchen Genuss kommen, die Hand beißen, die sie füttert? Das führt immer wieder zu schwer aufzulösender gegenseitiger Abhängigkeit.

Ihnen wird nachgesagt, für den Sturz zweier Ministerpräsidenten maßgeblich verantwortlich zu sein. Auch Stanislaw Tillich haben Sie 2009, nach der ersten SPD-Regierungsbeteiligung, mit Ihrem Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ zu dessen DDR-Vorleben in Bedrängnis gebracht. Welche Bezeichnung trifft auf sie am besten zu – „Chef-Aufklärer“, „Korruptionsjäger“, „politischer Großwildjäger?
Man hat mir manche Ehrentitel gegeben. Am schönsten finde ich mit Anspielung auf mein Gewicht: „Biedenkopfs und Milbradts dickstes Problem“.

Ihre Anfänge als Druckereiunternehmer unternahmen Sie in den 1970er Jahren gemeinsam mit Gerhard Schröder. Nach 1990 bauten Sie in Sachsen ein Druckhaus auf, das zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden Insolvenz anmelden musste. Auslöser waren Vorwürfe des Subventionsbetruges, die kurz vor der Buchveröffentlichung lanciert wurden. Das Ermittlungsverfahren gegen Sie wurde 2010 eingestellt. Sehen Sie sich als Opfer einer Kampagne?
Nach zwei vergeblichen Versuchen meine Immunität aufzuheben, wurde das Ermittlungsverfahren ohne Schuldspruch 2010, nach 18 Monaten, eingestellt. Und dann stellte 2011 das Finanzgericht Leipzig fest, dass ich mich korrekt verhalten hatte. Natürlich gab es eine sehr wirksame Kampagne zu meiner Rufschädigung. Dass man mich politisch aufs Korn nimmt war zu erwarten, besonders infam war jedoch die bewusste Inhaftungsnahme unserer 75 Mitarbeiter.

Beim “Sachsensumpf“ Untersuchungsausschuss bilanzierten Sie, in Sachsen würden Menschen, die ins Visier der Herrschenden geraten, „verfolgt, an den Pranger gestellt, traumatisiert, physisch und psychisch zerstört, dienstunfähig krank oder in den vorzeitigen Ruhestand befördert und inflationär mit Ermittlungsverfahren überzogen.“ Welche Rolle spielt die seit 25 Jahren herrschende CDU?
Meine Abrechnungs- und Abschlussrede zum Sachsensumpf ist auf meiner Seite www.karl-nolle.de les- und hörbar. Unser Land ist doch seit 1990 vom Hausmeister bis zum Ministerialdirigenten mit einem Gesangbuch durchorganisiert. Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus. Hier steht der Rechtsstaat immer noch auf dünnen Beinen. Sachsen ist bis heute in jeder Hinsicht das Eigentum einer Partei geblieben und die Union ist weiter fest im Kokon ihrer Selbstherrlichkeit und Machtversessenheit eingeschnürt.

Ihre Partei, die SPD, ist zum zweiten Mal in der jüngsten Geschichte an einer CDU-geführten Regierung beteiligt sein. Sie haben damals das erste schwarz-rote Kabinett als Abgeordneter begleitet. Was sollten die Sozialdemokraten aus diesen Erfahrungen lernen?
Aufpassen, daß man nicht zum nützlichen Idioten wird, Achtgeben, dass man nicht in der zweiten Reihe der Regierungslimousine im Kindersitz landet, beruhigt mit CDU-Schnuller. Egal wie groß der kleine Koalitionspartner ist, er ist immer Zünglein an der Waage. Der CDU sollten drei Erkenntnisse vermittelt werden: dass Demokratie auch dann stattfindet, wenn die Union nicht die Mehrheit hat, dass Koalition hin oder her, das Parlament die Regierung zu kontrollieren hat und nicht zuletzt, dass Demokratie die Mehrheitsfrage stellt, nicht die Wahrheitsfrage.

(Nolle kommentiert auch mit Rosa Luxemburg)

S e b s t t ä u s c h u n g

“Anstatt auf Schritt und Tritt den Massen zu zeigen, wie erbärmlich, wie geringfügig das ist, was ihr errungen habt, habt ihr euch logisch gezwungen, diese Lappalien ins Große zu ziehen und uns in übertriebener Weise als etwas ganz Wichtiges, als große Errungenschaft hinzustellen.“

Rosa Luxemburg

Die Opposition hat  den Koalitionsvertrag von CDU und SPD als wenig visionär kritisiert.  Kommt der Freistaat mit diesem Fahrplan voran?
Im Sinne der CDU bestimmt. Für die SPD bin ich skeptisch. Wir müssen doch niemanden beweisen, dass wir rechnen, schreiben und lesen können. Nun gut, die SPD hat sich entschieden der CDU beim Regieren zu helfen. Das zahlt sich beim nächsten Gang an die Wahlurne nur dann aus, wenn sie in der Lage ist, Begeisterung im Lande für das zu erzeugen, was ihre Politik grundlegend von der der CDU unterscheidet. Das ist ihre Hauptaufgabe. Die Wähler fragen sich doch jedes Mal „wofür brauchen wir die SPD, wenn ihr zu den zentralen Fragen offenbar nichts anderes einfällt als der CDU“.

InThüringen am es zum ersten rot-rot-grünen Regierungsbündnis mit einem Regierungschef der LINKEN. Ist ein solches Bündnis auch in Sachsen möglich? 
Wenn sich in Thüringen erst einmal die von der CDU über die Linke geblasenen Schwefelschwaden verzogen haben, wird sich zeigen, dass ein rot rot-grünes Regierungsbündnis durchaus rechnen, lesen und schreiben und sogar mit Messer und Gabel essen kann. Das sind Schritte zur Normalität. Dem Traum von einer grundlegend anderen, gerechteren Gesellschaftsordnung sind wir damit noch nicht näher. Und in Sachsen sind wir aus vielen Gründen selbst von einem solchen Bündnis weit entfernt, da fehlen m. E. auf allen Seiten zwei Dinge: Wille und Fähigkeit.

Es wird oft beklagt, dass das Interesse an der Sächsischen Landespolitik zurückgeht. Was empfehlen Sie, um das demokratische Leben zum Blühen zu bringen?
Das hat viel zu tun, mit der Wahrnehmung zunehmender sozialer Ungerechtigkeit: bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, mit zunehmender Perspektivlosigkeit und Armut, mit Kinder- und Altersarmut in Sachsen, aber auch zwischen Regionen und Stadtvierteln.
Bei der Landtagswahl 2014 mit einer jammervollen Wahlbeteiligung von 49 % entfielen z.B. in Dresdner Wahlkreisen auf das ärmere Prohlis-Süd ganze 39,2 %. Im reicheren Loschwitz/Wachwitz gingen dagegen 58,8 % zur Wahl.- eine krasse Differenz von bis zu 35 % Wahlbeteiligung zwischen den armen und reichen Stadtteilen. Das gilt entsprechend auch für Leipzig und Chemnitz. Das muss uns doch Beine machen.
 
Die Fragen stellte Kevin Reißig

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: