Süddeutsche Zeitung, 07.03.2015
SPD in der großen Koalition - Eine Partei sucht Streit
◾Eine Studie bescheinigt der SPD ein gravierendes Image-Problem, obwohl sie zentrale Anliegen durchgesetzt hat. Sie werde als schwach und zu kompromissbereit wahrgenommen.
◾Die Meinungsforscher raten der Partei, stärker auf familien- und arbeitsmarktpolitische Themen zu setzen und die Auseinandersetzung mit der Union zu suchen.
◾Jüngste Unstimmigkeiten in der Koalition könnten darauf hindeuten, dass sich die SPD die Ergebnisse der Studie zu Herzen nimmt.
Von Christoph Hickmann
Auch nach einem Jahr Regierungsarbeit in der großen Koalition hat die SPD ein gravierendes Imageproblem. Obwohl sie zentrale Anliegen durchgesetzt hat, gelingt es der SPD deshalb nicht, über ihre Kernklientel hinaus Wähler aus der Gruppe der Beschäftigten zwischen 25 und 45 Jahren zurückzugewinnen.
Das ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichten Studie des Instituts TNS Infratest, deren Ergebnisse der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Der Untersuchung wird an der Parteispitze erhebliche Bedeutung zugemessen. Ihre Schlussfolgerungen könnten in der nächsten Zeit Einfluss auf die Politik der SPD und damit auf das bereits belastete Klima in der Koalition haben.
Zentrale Ergebnisse der von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie wurden im Februar unter dem Titel "Die arbeitende Mitte in Ost- und Westdeutschland" bei der Klausur des Parteivorstands in interner Sitzung vorgestellt. Sie zogen dort hinter verschlossenen Türen eine ungefähr zweieinhalbstündige Debatte nach sich.
Markenkern der Sozialdemokraten ist "beschädigt"
Tatsächlich sind die Ergebnisse teilweise wenig ermutigend für die SPD. Zwar heißt es im Fazit der Präsentation: "Die SPD ist im Hinblick auf ihre politischen Inhalte prinzipiell gut aufgestellt, ihre Politikansätze stoßen auf Akzeptanz und bieten teilweise sogar Abgrenzungsmöglichkeiten zur Union." Allerdings heißt es daran anschließend, das "Imageproblem" der SPD verhindere, "dass man sich mit ihr über die Parteigrenzen hinweg auseinandersetzt, dass ihre Inhalte rezipiert werden und man sich vorstellen kann, sie zu wählen".
Während die Union einen "sehr konsistenten Markenkern" habe und es "in außerordentlicher Weise" verstehe, ihren "Leitwert" Sicherheit mit Leben zu füllen, sei der Markenkern der Sozialdemokraten "nach wie vor beschädigt". Als Gründe werden folgende Punkte genannt: "Hartz IV, keine erkennbare Zielgruppenpolitik, zu wenig erkennbares wertegeleitetes Handeln, gefühltes Desinteresse der SPD an der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Mitte, keine Antworten auf ihre Erwartungen an Leistungsgerechtigkeit".
Schwesig und Maas zur Frauenquote
SPD vermittelt "Eindruck von Schwäche"
In der Präsentation wird darüber hinaus zwischen "SPD-affinen" und "Unions-affinen" Personen differenziert. Demnach haben die Sozialdemokraten in den Augen der "SPD-affinen" Personen zwar durchaus einen "überzeugenden Markenkern", vermittelten aber "den Eindruck von Schwäche", grenzten sich "zu wenig von der Union ab", träten "zu wenig entschlossen für ihre Positionen ein" und machten "zu viele Kompromisse". Die SPD handelt aus ihrer Sicht "zu sehr strategisch, zu wenig aus Überzeugung", hat "wenig Raum für Profilierung in der großen Koalition" und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) "personell nicht genug entgegenzusetzen". Aus Sicht der Unions-Affinen wiederum ist nicht zu erkennen, "für wen die SPD eigentlich Politik macht".
Die Verunsicherung in der SPD ist groß, weil sie in Meinungsumfragen bei Werten um 25 Prozent stagniert, obwohl sie sozialdemokratische Prestigeprojekte wie den Mindestlohn oder die Rente mit 63 durchgesetzt hat. Am Freitag beschloss der Bundestag mit der Frauenquote ein weiteres Anliegen, gegen das sich weite Teile der Union lange gewehrt hatten.
"SPD muss Konflikte mit der Union eingehen"
Zuletzt hatten Vertreter der SPD-Spitze angekündigt, sich stärker auf die sogenannte arbeitende Mitte konzentrieren zu wollen. In diesem Zusammenhang arbeitete das Institut TNS Infratest für die Studie mit sogenannten Fokusgruppen und befragte im November 53 Personen zwischen 25 und 45 Jahren, quotiert nach Geschlecht, Alter, Bildung, Parteipräferenz und Tätigkeit. Es geht um Beschäftigte in Hamburg, Essen, Nürnberg und Cottbus.
Die Studie dürfte nun Folgen für die Regierungsarbeit haben. Im Fazit der Präsentation heißt es: "Die SPD muss wieder zu sich selbst finden, aus dem Herzen heraus und nicht wegen schlechter Umfragewerte Politik machen. Sie muss vor allem wieder erkennbar werden, auch wenn dies bedeutet, dass sie - wo nötig - Konflikte mit der Union eingehen muss."
Vermehrte Auseinandersetzungen in der Koalition
Die SPD müsse zeigen, dass sie die "Lebenswelten" der 25- bis 45-Jährigen kenne, und ihnen "Anerkennung geben für ihre Arbeits- und Familienleistung". Entscheidend seien die "Familien- und Arbeitsmarktpolitik". Hier müsse die SPD "langfristige Orientierung bieten" und könne "mit neuen Politikansätzen unter Beweis stellen, dass Politik Einfluss nehmen kann und wer die Adressaten ihrer Politik sind".
Erst vor wenigen Tagen hatte sich SPD-Familienministerin Manuela Schwesig im Konflikt mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um familienpolitische Leistungen pointiert öffentlich geäußert und Rückendeckung von Parteichef Sigmar Gabriel bekommen. Auch beim Thema Einwanderungsgesetz versuchen die Sozialdemokraten, sich von der Union abzusetzen. Außerdem kritisiert die SPD den Vorschlag der Union, den Solidaritätszuschlag von 2020 an abzuschmelzen.