tageszeitung - taz, 11.03.2015
Reparationen an Griechenland - Pfändung deutschen Eigentums
Deutschland weigert sich, für von der Wehrmacht begangene Massaker in Griechenland zu zahlen. In Athen prüft man Wege, die Forderungen durchzusetzen.
ATHEN/BERLIN dpa/rtr | Griechenland droht im Streit mit Deutschland um Reparationen für den Zweiten Weltkrieg offen mit der Beschlagnahme deutschen Eigentums. Justizminister Nikos Paraskevopoulos erklärte sich am Mittwoch bereit, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, sollte es zu keiner Einigung mit Berlin über die Reparationsforderungen kommen. Die Bundesregierung lehnt jede Zahlung strikt ab und hat wiederholt erklärt, das Reparationsthema sei juristisch abschließend geklärt.
„Ich beabsichtige, die Erlaubnis zu geben“, sagte Paraskevopoulos im griechischen Fernsehen. Die endgültige Entscheidung werde jedoch die Regierung unter Premier Alexis Tsipras treffen, hieß es.
Der höchste Griechische Gerichtshof (Areopag) hatte im Jahre 2000 geurteilt, Griechenland dürfe deutsches Eigentum für Entschädigungen der Hinterbliebenen des Massakers von Distomo pfänden. In dem mittelgriechischen Ort hatte die Wehrmacht im Jahre 1944 ein Massaker mit 218 Opfern verübt. Vor dem Urteil hatte ein Landgericht in der Provinzstadt Livadeia den Hinterbliebenen der Opfer 28 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen.
Eine Pfändung des traditionsreichen Goethe Instituts wurde damals vom Justizminister gestoppt. Er berief sich auf einen Artikel des griechischen Strafrechts, wonach der Justizminister die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen aufhalten kann, die die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden könnten.
Alle Parteien beteiligt
Das Thema Reparationen belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten. Am Dienstag hatte das griechische Parlament beschlossen, erneut Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg an Berlin zu prüfen. Dazu wurde ein Ausschuss aller Parteien einberufen. Die Debatte wurde vom Parlamentsfernsehen übertragen.
„Damit ehren wir alle Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nazismus (...) sowie des griechischen Widerstandes“, sagte Ministerpräsident Alexis Tsipras. „Wir vergessen nicht, dass das deutsche Volk auch unter den Nazis gelitten hat“, fügte der griechische Premier hinzu.
Tsipras erinnerte daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg „zurecht“ mit einem Schuldenschnitt geholfen worden sei, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Seitdem sperrten sich die deutschen Regierungen aber mit „juristischen Tricks“, um nicht mit Athen über Reparationen zu reden, sagte er.
Der Oberste Griechische Gerichtshof prüft zurzeit, wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden können. Er stützt sich dabei auf eine erste griechische Studie, die seit Anfang März 2013 vorliegt und als streng geheim eingestuft wird. Die Athener Zeitung To Vima hat die Studie jedoch am vergangenen Sonntag veröffentlicht. Die Gesamtansprüche werden darin auf 269 bis 332 Milliarden Euro taxiert.
Zwangsanleihen der Besatzungsmacht
Bei dem Entschädigungsstreit geht es nicht nur um die Opfer der Wehrmachtsmassaker, sondern auch um Zwangsanleinen aus der Nazizeit. Die Bundestagsabgeordnete Annette Groth (Linkspartei) machte am Mittwoch klar, dass sie in der Frage eine andere Position vertritt, als die Bundesregierung. „Die Forderungen der griechischen Regierung sind berechtigt“, sagte die Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe im Bundestag.
„Die Bundesregierung sollte mit Griechenland eine Lösung finden, wie die elf Milliarden Euro heute beglichen werden können.“ Dies sei die Zahl gewesen, die die frühere griechische Regierung des Christdemokraten Antonis Samaras als ausstehende Forderung einer von der deutschen Besatzungsmacht 1942 erhobenen Zwangsanleihe errechnet habe.
„Es ist eine moralische Verpflichtung Deutschlands, das Geld zu zahlen, selbst wenn es völkerrechtlich dazu verschiedene Meinungen gibt“, sagte Groth. „Ich finde des Vorschlag des griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis richtig, dass das Geld verwendet werden sollte, um in Griechenland eine Förderbank nach Vorbild der KfW aufzubauen“, sagte die Linkspartei-Politikerin.
In Deutschland gebe es nur eine sehr mangelhafte Aufarbeitung der Besatzungszeit in Griechenland und des dabei angerichteten Unrechts. „Es ist verwerflich, dass die Bundesregierung damit nichts zu tun haben will.“ Das Geld würde Griechenland heute sehr helfen, seine wirtschaftlichen und humanitären Probleme zu bewältigen. Die EU und Deutschland sollten unabhängig von der Reparationsfrage zudem darüber reden, wie man Griechenland bei der Versorgung Hunderttausender nicht-europäischer Flüchtlinge helfen könne, die das Land aufnehmen müsse.