Sächsische Zeitung, 19.05.2015
Prozess gegen Ex-Verfassungsschützer wird vorläufig eingestellt
Der Vorwurf: Verrat von Dienstgeheimnissen. Gegen 5.000 Euro will das Amtsgericht den zähen Prozess beenden.
Von Karin Schlottmann
Fast drei Jahre hatte das Amtsgericht Dresden das Verfahren ausgesetzt. Ohne Einblick in die Akten des Verfassungsschutzes zur sogenannten Sachsensumpf-Affäre könne sich der Angeklagte nicht verteidigen, hieß es im Juni 2012. Am Montag nun sollte der Prozess gegen den ehemaligen Verfassungsschützer wegen Geheimnisverrats von vorne beginnen. Als seine unermüdlichen Unterstützer hatten sich auch die früheren Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi (Grüne),
Karl Nolle (SPD), Volker Külow (Linke) sowie der Linke-Parlamentarier Klaus Bartl (Linke) im Saal eingefunden.
Viel zu protestieren oder zu kommentieren gab es für die Polit-Oldies jedoch nicht: Noch vor Verlesung der Anklage zogen sich die Prozessbeteiligten zu einer ausführlichen Beratung hinter verschlossenen Türen zurück. Zunächst besprach sich der Angeklagte mit seinen drei Verteidigern auf dem Gerichtsflur. Anschließend bat Amtsrichter Ulrich Stein den Staatsanwalt, die Anwälte sowie den Angeklagten zu einem Rechtsgespräch. Knapp vier Stunden blieb die Runde unter sich.
Dann verkündete Stein das Ergebnis: Das Verfahren gegen den Ex-Verfassungsschutzbeamten wird gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 5 000 Euro vorläufig eingestellt. Der Betrag geht an zwei gemeinnützige Organisationen. Überweist der Angeklagte die Summe nicht pünktlich zum 30. Juni, wird der Prozess gegen ihn fortgesetzt. Zehn Verhandlungstage plant das Gericht dafür ein – vorsorglich.
Der Angeklagte war Polizist und Mitarbeiter des Referates „Organisierte Kriminalität“ im Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen. Ihm wurde vorgeworfen, einem Buchautor geheime Unterlagen der Behörde über angeblich korruptive Netzwerke in Sachsen übergeben zu haben. Der Autor brachte mit seinen Veröffentlichungen die „Sachsensumpf“-Affäre ins Rollen. Der Landtag bemühte sich mit zwei Untersuchungsausschüssen, der Sache auf den Grund zu gehen. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelte. Zum Schluss gerieten der ehemalige Verfassungsschützer und ein Polizist selbst ins Visier der Justiz.
Bei so vielen Akten, kann man leicht den
Überblick verlieren. Das Amtsgericht ist
diesem Problem aus dem Weg gegangen.
Bei Richter Stein schien die Erleichterung, den zähen Prozess beendet zu haben, am größten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, kommentierte er die Einigung.
Anmerkung:
Die Einstellung des Verfahrens nach §153 a ist ohne jede Schuldfeststellung erfolgt und wird rechtskräftig, wenn bis 30.6.2015 die vereinbarte Zahlung der Geldauflage erfolgt.
Bestandteil der Einigung ist die Zusicherung des Gerichtes, den Anwälten von Michael H., die seit 2,5 Jahren geforderte und bisher verwehrte Akteneinsicht in nachzureichende "geheime" Akten des LfV zu gewähren, die der damalige Präsident des LfV, Boos, bei seiner Zeugenvernehmung im Februar 2012 vor dem Amtsgericht zugesichert hatte.
Der Prozess scheiterte 2012 wegen des Fehlens einiger hundert "geheimer" Aktenstücke, wie die Anwälte von Michael H. anläßlich ihrer damaligen Akteneinsicht dokumentierten. Diese wollte der im Februar 2012 als Zeuge vernommene Präsident des LfV Reinhard Boos dem Gericht nachliefern. Das ist inzwischen 2,5 Jahre her.
Ob die Anwälte diesmal vollständige Akten vorgelegt bekommen, wird man sehen. es steht allerdings jetzt schon fest, daß bisher weder das Amtsgericht Dresden, noch die Anwälte von Michael H. oder der Untersuchungsausschuss zum Sachsensumpf jemals vollständige Akten zur Verfügung hatten.
Diese eklatante Missachtung elementarer Verteidigerrechte, inclusive Aktenmanipulation, die wir auch bei den Sachsensumpfverfahren anderer beschuldigten Verfassungsschutzbeamten feststellen mußten, ist Bestandteil des in Teilen vordemokratischen Rechtsstaats in Sachsen.
Karl Nolle, SPD Obmann in den Untersuchungsausschüssen
zum Sachsensumpf der 4. und 5. Wahlperiode