DNN/LVZ, 29.05.2015
"Viele Fehler, fragwürdige Personalien und nun ein Neuanfang" - 25 Jahre SPD Sachsen
25 Jahre SPD in Sachsen: Der Gründungsvorsitzende Michael Lersow blickt zurück
Dresden. Die Sachsen-SPD feiert heute in Dresden mit einem Festakt, an dem auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) teilnimmt, ihr 25-jähriges Bestehen. Der Gründungsvorsitzende der Partei im Freistaat, Michael Lersow (68), erinnert sich vorab an den hoffnungsvollen Aufbruch und enttäuschende Wendungen seiner Partei. Er wird heute die Festrede halten.
Sie waren vor 25 Jahren mit großen Hoffnungen in die Politik gegangen. Wie sehen Sie die Zeit seither im Rückblick?
Das große Ganze sehe ich als gelungen an: Die Veränderung der Gesellschaft zu Freiheit, Demokratie und demokratischer Teilhabe ist erfüllt. Und auch wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, ist die materielle Situation der Menschen insgesamt besser als früher. Leider liegt aber bei der staatlichen Umsetzung einiges im Argen. Was mir zunehmend negativ auffällt, ist, dass sich Politik zum Beruf gewandelt hat - es werden vielfach nur noch jobsichernde Maßnahmen betrieben.
Das ist ein harter Vorwurf.
Die Devise lautet doch: Hauptsache nichts unternehmen, was den Job in der Politik gefährdet. Es greift eine schlimme Versorgungsmentalität um sich. Damit geht einher, dass Verwaltungsstrukturen eine immer schlechtere Rolle spielen, alles andere als bürgernah sind. Das führt in der Bevölkerung zum Unmut, der in der Aussage gipfelt: Die da oben machen sowieso, was sie wollen. Niemand muss sich wundern, wenn sich immer weniger Menschen mit der Demokratie identifizieren, gerade dies wollten wir ja ändern.
Haben Sie deshalb vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Mandate auf zwei Legislaturen zu beschränken?
Ja, aber diesen Vorschlag wird kein Politiker ernsthaft aufgreifen. Politiker von heute sind weit schlechter ausgebildet, als früher - weil die Karriere schon in jungen Jahren in der Partei beginnt, der Kontakt zur Außenwelt häufig fehlt. Und, man darf nicht vergessen: Ein ausscheidender "normaler" Politiker hat es auf dem Arbeitsmarkt unter diesen Voraussetzungen sehr schwer, muss sich weit hinten anstellen. Da organisiert man sich die Versorgung lieber selbst und betreibt Politik als Beruf, wo sie eigentlich Berufung sein sollte.
Das klingt verbittert - haben Sie die Intrigen der neunziger Jahre so sehr verletzt?
Ach, diese Zeit liegt lange hinter mir. Verbittert war ich nicht, doch ich wollte Abstand gewinnen, denn die Auseinandersetzungen haben sich damals nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Familie ausgewirkt. Verständnislos ist eine zutreffende Beschreibung, ich will aber nicht klagen, denn die Ergebnisse sind Bestätigung genug. Unter meiner Führung erreichten wir 1990 das bislang beste Ergebnis bei einer Landtagswahl: Die 19 Prozent von damals sind bis heute unerreicht. In den folgenden Jahren wurden zu viele Fehler begangen und teils fragwürdige Personalentscheidungen getroffen, sodass meine Partei zeitweise einen Mitleid erregenden Eindruck machte. Von diesen Erschütterungen hat sie sich bis heute nicht vollends erholt. Mit Martin Dulig könnte der Neuanfang nun funktionieren. Zumindest hat er nicht immer neues Öl ins Feuer gegossen, sondern klug die Brandherde gelöscht, und er macht in der Regierung eine gute Figur.
Unter Ihrer Führung kam es 1990 auch zu der überraschenden Kandidatur von Anke Fuchs auf SPD-Listenplatz 1. Würden Sie heute sagen, dass dies nicht unbedingt eine Idealbesetzung gewesen ist?
Anke Fuchs hat sich wirklich in den Landtagswahlkampf hineingekniet - doch wie sie inthronisiert wurde, das lässt mich noch heute mit dem Kopf schütteln. Aber wir waren fremdfinanziert, hatten ganz schlechte Karten, uns gegen die damalige SPD-Führung mit Oskar Lafontaine zu wehren. Um es kurz zu machen: Wir hatten in Sachsen bereits im Juli 1990 eine Wahlliste demokratisch aufgestellt - aber Oskar Lafontaine setzte Anke Fuchs im Nachhinein durch. Und nach der Wahl war sie so schnell wieder weg, wie sie gekommen war. Dieses negative Beispiel innerparteilicher Demokratie hat der jungen sächsischen SPD lange angehangen.
Die SPD wurde aber nicht zur Zehn-Prozent-Partei, weil Anke Fuchs das Weite suchte.
Ganz sicher nicht, doch dies war ein verhängnisvoller Baustein in der Entwicklung der Sozialdemokratie in Sachsen. Die Wahlniederlagen der letzten beiden Jahrzehnte resultieren in erster Linie aus eigenem Verschulden: Die Themen waren häufig nicht an den Menschen orientiert, die Breite hat insgesamt gefehlt. Die SPD war immer die Partei der Arbeit, des sozialen und ökologischen Ausgleichs. Dazu gehört auch, dass man sich kümmert, die Sorgen der Menschen ernst nimmt. Stattdessen wurden Versprechen gemacht und nicht gehalten. Sprücheklopfer werden nun mal nicht gewählt. Mit Martin Dulig und einigen jungen anderen Sozialdemokraten ändert sich das nun. Dazu muss man allerdings Kurs halten.
Im Einheitsjahr 1990 hat die ehemalige Blockpartei CDU die neu gegründete SPD deutlich hinter sich gelassen. Wie sehr hat Sie diese Niederlage damals erschüttert?
Natürlich war ich enttäuscht, konnte die Menschen und deren Entscheidung nur schwer nachvollziehen. Doch ich muss auch sagen: Die CDU hat sich damals, und auch in den folgenden Jahren, unverschämt gegenüber der SPD verhalten. Heute sollte sich die SPD viel deutlicher verbitten, sich von einer ehemaligen systemtragenden Blockpartei wie der CDU für bestimmte Koalitionsentscheidungen maßregeln zu lassen. Stattdessen sollte die CDU offen und ehrlich zu ihrer Mitverantwortung am Funktionieren des DDR-Staates stehen und nicht nur auf die SED beziehungsweise die Linkspartei zeigen. Doch diejenigen, die es früher schon gewohnt waren, ganz nahe bei der Macht zu sein, drängten auch nach der Wende schnell wieder in deren Nähe. Mit einer Aufarbeitung hat das nichts zu tun.
Interview: Andreas Debski
Zur Person - Michael Lersow
Michael Lersow wurde im Jahr 1946 in Stralsund geboren. Wegen Republikflucht und "staatsgefährdender Hetze" musste er die Erweiterte Oberschule verlassen und wurde zu acht Monaten Haft verurteilt. Nach einem langen Umweg konnte Lersow im Jahr 1984 an der TU Bergakademie Freiberg promovieren. Er ist bis heute einer der führenden Experten für die Sicherung radioaktiver Abfälle.
Im Herbst 1989 kam der Wissenschaftler in die Politik, um die DDR von innen zu verändern. In der neu gegründeten SDP stieg der pragmatische Lersow rasch auf und wurde am 26. Mai 1990 in Sachsen zum ersten Landesvorsitzenden der Partei gewählt. Nach internen Auseinandersetzungen mit der Gruppe um Karl-Heinz Kunckel zog er sich 1994 aus der Politik zurück.
Danach arbeitete Lersow im Sanierungsbergbau der Lausitzer und Mitteldeutschen Braunkohlengebiete. Ab 2005 war er bei der Wismut GmbH für die Sanierung und Sicherung der Hinterlassenschaften des Uranerzbergbaus verantwortlich. Der Familienvater und vierfache Opa lebt im erzgebirgischen Breitenbrunn, ist Mitglied, Funktionär und Fan des FC Erzgebirge Aue. Als Rentner erstellt er weiterhin geotechnische Gutachten und Studien. Lersow ist bis heute SPD-Mitglied.
ski