SAX Dresdner Stadtmagazin Nr. 6/2015, 01.06.2015
Privat geht vor Katastrophe - Dresdner Wahlkampfgetöse gegen Rot-Rot-Grün
DER KONFLIKT UM »MARINA GARDEN« AM PIESCHENER HAFEN DIENT VOR ALLEM DEM WAHLKAMPF GEGEN ROT-ROT-GRÜN
War da mal was? Genauer: War da mal nichts, zumindest kein Radweg? Wären zum großartigen Solidaritätspicknick mit der armen Wohnwohltäterin Regine Töberich am 16. Mai nicht Leute und Lautsprecher und Leitabsperrungen gewesen, man hätte die Stelle suchen müssen, wo noch eine Woche zuvor eine Lücke von rund 50 Metern Länge gähnte. Weil Töberich auf ihrem frisch erworbenen Grund nicht so bauen darf, wie sie es sich vorstellt, ließ sie den darüber hinwegführenden öffentlichen Radweg demonstrativ wegrupfen. Wem fiele da nicht der beliebte Slogan aus der DDR-Planwirtschaft
»Privat geht vor Katastrophe!« ein?
Die sich ausgebremst fühlende Erbauerin von Luxuskasernen sieht darin einen Akt der Notwehr gegenüber dem Rat und der Verwaltung der Stadt. Deren vermeintlicher Rechtsbruch rechtfertigt allemal den eigenen. Dass sich die meist mit »Frau Toberich« titulierte Investorin beim Wegbaggern verzielte und städtische Flure ankratzte, brachte die Provinzposse auch überregional in die Schlagzeilen. Bei der schnellen Reparatur durch die Stadt ist nur der neue Asphalt ein bisschen grober geraten, so, wie das Debattenklima um die Hafencity und »Marina Garden« am Pieschener Elbufer auch.
Denn in der Sache ist angesichts der nicht immer durchsichtigen Faktenlage noch nichts repariert. Zunächst lohnt ein Blick in den vom Berliner Büro Machleidt + Partner 2009 erarbeiteten Masterplan für das Entwicklungsgebiet Leipziger Vorstadt. Der 2010 im Stadtrat beschlossene Plan konstatiert noch eine geringe Baunachfrage, es ging gerade erst los mit dem Dresdner Immobilienhype. Der Masterplan sieht eine hochwertige Bebauung »am Wasser« vor. Aus heutiger Sicht besonders aufschlussreich sind aber auch Passagen, die von einer »Kulturspange« vom Alten Schlachthof bis an die Elbe sprechen. Auch das Wort »Freiraum« wird ungewöhnlich oft gebraucht. Der »Freiraum Elbtal«, der später im ehemaligen Fabrikgelände zwischen Puschkin Platz und Radweg nistete, hat es zu wörtlich genommen.
Stadtentwicklung versus Superrendite
Denn in diesen fünf Jahren hat sich gerade am Pieschener Hafen einiges getan. Die Künstler vom Freiraum-Verein pachteten von den Erben des Holzindustriellen Grumbt für wenig Geld das inzwischen begehrte Gelände, auf dem unter anderem einst die legendären Melkus-Rennwagen der DDR zusammengeschraubt wurden. Vor allem aber begannen Mieten und Immobilienpreise in Dresden unaufhaltsam zu klettern, sicher begünstigt durch die Flucht in Sachwerte wegen der Weltfinanzkrise.
Schon länger hatte Regine Töberich ein Auge auf das Pieschener Elbufer geworfen. Inzwischen kann man in einer solchen Lage mit Luxuskasernen richtig fette Kohle machen. Sie kaufte am 2. Mai 2014 das Grundstück von der Erbengemeinschaft, um hier die noble Siedlung »Marina Garden« zu errichten. Dem »Freiraum Elbtal e.V.« war schon zuvor gekündigt worden. Das Ansinnen, bis zum Baubeginn die Brache nutzen zu dürfen, lehnte Töberich, die sich doch »das friedliche Miteinander aller Dresdner« wünscht, ebenso ab wie jede direkte Begegnung mit dem Verein. Im Januar dieses Jahres erfolgte die Zwangsräumung. Danach ließ die edle Frau Töberich den Radlader anrollen und alles in Stücke schlagen, was noch als Unterschlupf hätte dienen können. »Es sieht aus wie nach dem Krieg«, kommentiert Linken-Stadträtin und Freiraum-Sprecherin Jacqueline Muth.
Mit dem Kauf 2014 begannen die Ungereimtheiten und Zwiespältigkeiten, von denen auch Stadtrat und Verwaltung nicht freizusprechen sind. Vier Monate hatte die Stadt ihr Vorkaufsrecht geprüft und verworfen. Warum? CDU und FDP hätten blockiert, behauptet der Linke Tilo Kießling. Es dauerte jedenfalls bis zum April dieses Jahres, ehe Töberich als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen wurde. Nun empört sie sich vor allem über einen rot-rot-grünen Stadtratsbeschluss vom 7. Mai, der den 2012 modifizierten Masterplan 357 erheblich revidiert. Von vorgesehenen 22.000 Quadratmetern Wohnfläche sollen nur 4.000 bleiben. Dafür kehren die Auflagen wieder zu den Gedanken des ursprünglichen Plans zurück und verlangen jetzt mehr Park und Freiraum. Das schmälert die Renditeerwartungen gewaltig. Doch auch ein Investor darf auf seinem Grund nicht bauen, was er will. Paragraf 34 des Baugesetzbuches beispielsweise verlangt städtebauliche Verträglichkeit und eine Harmonisierung mit der Umgebung. Hinzu kommt, dass der Hochwasserschutz mit der letzten Flut von 2013 eine neue Bedeutung gewonnen hat. Zwei Jahre ,soll wegen entsprechender Planungen das ganze Marina-Garden-Projekt erst einmal auf Eis liegen.
Stadt und Töberichs Gesellschaft »Dresden-Bau« werfen sich nun gegenseitig Rechtsbruch vor. Hinsichtlich des Radweges hat es die Stadt aber auch versäumt, die öffentlichen Nutzungsrechte klar zu fixieren. Wer schon einmal mit Regine Töberich verhandeln musste, weiß allerdings auch, dass er es mit einer eisernen Lady zu tun hat. Von Konzilianz und Kompromissbereitschaft wird nun gerade nicht berichtet, ein Anwalt ist immer dabei. Ein Stil, an den man sich im Osten nach 1990 erst gewöhnen musste. Letztlich durchgesetzt hat sie sich aber nicht, resignierte beispielsweise beim Projekt um das frühere Hochhaus der Verkehrsbetriebe am Albertplatz.
Durchsichtiges Wahlkampfgetöse
Man darf getrost prophezeien, dass es nach der Oberbürgermeisterwahl wieder still um die Affäre Töberich werden wird. Sie eignet sich prima zur Stimmungsmache gegen Rot-Rot-Grün, Leute, die sie selbst auch als
»Gesocks« bezeichnet. Das »Solidaritätspicknick« am Tatort demonstrierte die eigentliche Absicht augenscheinlich. Schon die eindringliche Behaup-tung des CDU-Landtagsabgeordneten Patrick Schreiber, es handele sich nicht um eine politische Veranstaltung, erregte Verdacht. Andere Investoren, die sich vielleicht ebenfalls von der Stadt ausgebremst fühlten, fanden sich jedenfalls nicht zu Solidaritätsbekundungen ein. Unter den etwa 100 Besuchern, darunter die knappe Hälfte Töberich-Kritiker, zeigte sich vielmehr eine bemerkenswerte Allianz von CDU, FDP, NPD-Stadtrat Hartmut Krien, AfD-OB-Kandidat Stefan Vogel, Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling und in deren Gefolge beispielsweise Rechtsaußen Siegfried Däbritz. Wie bei Pegida redeten aus dem »Volk« vorwiegend ältere Herren, solche, die aus dem bedingungslosen Kniefall vor Investoren in den Neunzigern nichts gelernt zu haben schienen, als die Stadt mit viertklassiger Architektur zugemüllt und die Chance auf anspruchsvolle Stadtentwicklung vergeben wurde.
Es sprach freilich auch Rechtsanwalt Jürgen Wolf im Namen einer Gruppe Pieschener Bürger, der eindringlich auf die Gentrifizierungsprozesse im Stadtteil hinwies. Töberichs Projekt liefe gegen die Interessen der von Vertreibung bedrohten weniger betuchten Pieschener. Die Angesprochene rechtfertigte sich mit der krausen Behauptung, die Aufsteiger, die sich ihre Eigentumswohnungen leisten könnten, machten ja Wohnungen im mittleren Segment frei. Wer sich beim Picknick nicht auf eine Seite schlagen wollte, dem blieb wie stets die angespaßte »Partei«. Deren Fazit: Zu viel Inhalt, zu wenig Alkohol, zu wenig Taschentücher für schluchzende Rentner. Und mangelnde Solidarität mit den Reichen.
MICHAEL BARTSCH