Karl Nolle, MdL

SAX Dresdner Stadtmagazin Nr. 4/2015, 01.04.2015

25 Jahre SAX - Zum Geburtstag viel Glück!

 
Ein Jubiläumstext, der sich nicht entscheiden kann, ob er Laudatio oder Essay sein will. Also ist er beides.

Ich wurde vom Chefredakteur dieses Magazins gefragt, ob ich was zum 25-jährigen Jubiläum machen möchte. Das kam einigermaßen überraschend, denn ich weiß nicht viel über die Anfänge dieses ersten Dresdner Stadtmagazins. Ich zog im Spätsommer des Jahres 2002 fürs Studium nach Dresden, in eine Stadt, von der ich nur wusste, dass sie viel schöner ist, als die, in der ich geboren wurde, und dass sie ernsthafte Hochwasser-schutzprobleme hat. Zu diesem Zeitpunkt gab es das SAX-Magazin schon zwölf Jahre, und ich war noch weit davon entfernt, es kennenzulernen. Das qualifiziert nicht gerade für so einen Jubiläumsartikel. Aber ich habe ein generelles Problem mit dem Neinsagen. Außerdem ist es meine Chance, für ein Jubiläum mal nicht nur nach hinten zu schauen.

Na gut, ganz ohne Rückblick geht es nicht. Im März 1990 erscheint die erste Ausgabe des »SAX - Das Dresdner Journal«. Vier Wochen früher dran ist nur »August- Das starke Stadtmagazin«. Das aber schwächelt schnell und verschwindet wieder. Das SAX-Magazin dagegen legt erst einmal eine Nummer 0 auf, mit bescheidenen 15 Seiten. Als Gratisausgabe zum Testen. Auf dem Cover das Schwarzweißfoto einer herunterge kommenen Hausfassade. Unten drunter steht: »Dresden Gestern Morgen - Wahlen. Neustadt. Elb-Kultur.« Und tatsächlich geht es seitenweise um die Zukunft der Stadt, besonders eben um die der total kaputten Neustadt, die trotz aller Ruinen von einer architektonisch und gesellschaftlich schöneren Zeit erzählt. Übermäßig ansprechend umgesetzt ist das alles nicht, dafür sehr informativ. Immer wieder Bleiwüsten. So nennt man es, wenn viel mehr Text als Bild auf einer Seite steht, weil die Menschen ungeduldig sind und angeblich immer weniger gern lange Artikel lesen. In den 1990ern hat man offensichtlich noch Zeit. Bei den Adressen am Schluss des Magazins finden sich auch die Anschriften aller Parteien. Ganz kurz nach dem Verschwinden der Deutschen Demokratischen Republik gibt es 23 verschiedene, die Dresden mit-gestalten wollen. Im Terminal, unter den Rubriken »Musik live« oder »Disco« steht da noch überschaubar wenig. Dafür ist die Liste des Fernsehprogramms sehr lang.

Diese allererste Ausgabe des Stadtmagazins muss Interesse an so einem Meinungsmedium geweckt haben. Die offiziell erste, die Aprilausgabe, hat dann nämlich schon 35 Seiten und ein buntes Cover. Sie kostet 3,30 Mark,
was im Laufe des Jahres - mit der Währungsunion - nach unten korrigiert wird. Ab Mai kommt die bunte Zigarettenwerbung ins immer noch recht schwarzweiße Heft. Nicht zuletzt durch personellen Höchstleistungssport in Sachen Vertrieb und Kundenakquise (ein ehemaliger Redakteur redet bei den verradelten Kilometern von »Training für die Tour de France«) entwickelt sich das SAX-Magazin Stück für Stück zu einem alternativen Stadtmagazin, das auch gelesen wird. Es wird zum Informationsmedium für »Dennoch-Artisten, Journalisten, Künstler, Arbeiter«, für jenen Teil der Dresdner Bürger also, die das Heft auch herausbringen. Und das in einer Zeit, in der der ostdeutsche Markt gerade von bunten Blättern überschwemmt wird. Die SAX-Mannschaft will den Leserfokus auf der grauen Stadt halten, obwohl sich gerade die goldene Welt vor ihnen geöffnet hat.

Mithilfe der "SOAK-Druck- und Verlags GmbH" von Christel und Karl Nolle und des Verlages "Moderne Zeiten Medien GmbH" beide aus Hannover, auch deren Mittel und Kontakte nutzend, stürzen sie sich in das Abenteuer SAX. Sie hoffen auf die Bereitschaft »von möglichst vielen Menschen, ihrer Gesellschaft wach und kritisch auf der Spur zu bleiben (...)

» Demokratie ist undenkbar ohne die Querköpfe «

Überlassen wir sie den Machthabern jeder Coleur ... damit haben wir genug schlimme Erfahrung«. Das stammt aus dem ersten Editorial, geschrieben vom SAX-Gründungsmitglied Bernhard Theilmann und dem Hannoveraner Flex-Chefredakteur Klaus Gürtler.

        

        
       Mit diesen fünf Dresdnern begann Anfang 1990 das Abenteuer SAX:
               Peter Chemnitz, Uwe Stuhrberg, Bernhard Theilmann, Alexander
               Lange und Bernd Lorenz.

In den folgenden Ausgaben werden die Chancen direkter Demokratie und sächsischer Verfassungsentwürfe diskutiert. Es wird nach denen gesucht, die kurz vor der Wende noch die Knüppel über Demonstranten schwangen, und es werden rechte Vereinigungen angeprangert, die unbehelligt durch Dresden laufen dürfen, weil das Rathaus an der Demonstrationsanfrage einer »Initiative Deutschland« nichts merkwürdig findet. Der Wunsch nach Aufklärung dringt durch fast jede Zeile. Auch Kurioses steht drin: Bei der ersten sächsischen Landtagswahl werden 452.000 Quadratmeter Papier verbraucht. Auf drei Magazinseiten stellen sich die Minister der BRN mit ihren skurrilen Regierungsbereichen vor. Selbst ein Interview mit Campino, heute erfolgsgesättigter Sänger der Toten Hosen, die zum ersten Mal in Dresden auftreten, wird zu einem interessanten, gesellschaftlich relevanten Gespräch. Im Jahr 1990 ist alles politisch und spannend, weil ein ganzes Land seinen Zusammenbruch verarbeiten muss und gleichzeitig von einer besseren Zeit träumt. Die Macher der SAX schreiben einfach mit und haben lange Erfolg damit. Irgendwann, so um das Jahr 2001, verkaufen sie 15.000 Exemplare einer Ausgabe, davon 2.500 im Abo. In dieser Zeit hat das SAX-Magazin oft mehr als 120 Seiten.

Nun also: 25 Jahre SAX. 301 Ausgaben. 301-mal querkopfgesteuerte Gesellschafts- und Politikbeobachtung. Oder etwa nicht? Wenn man sich heute das mittlerweile 52 bis 60 Seiten starke Heft durchliest, ist die kritische Auseinandersetzung mit der Lokalpolitik und mit Dresden als Gesellschaftsform gar nicht mehr so leicht zu finden. Das ist nicht nur im Magazin so, sondern auch in der Stadt drum herum. Die Parteien sind aus dem Infoteil verschwunden, wie sie aus dem Alltag der Menschen verschwunden sind. Die Unterhaltung hat übernommen. Und weil sich die Gesellschaft zu amüsieren versucht und ihr gesellschaftliches Unbehagen mit
allen möglichen Kulturveranstaltungen bepflastert, merkt sie gar nicht, dass um sie herum trotzdem etwas passiert. Nur eben nicht mehr so unübersehbar wie Anfang der 1990er. In der aktuellen Politik geht es oft um den längeren Atem. Seit zweieinhalb Jahrzehnten ziehen Dresdner Politiker und Politikerinnen an zwei- verschiedenen Enden eines Seils die Stadt zentimeterweise mal in die eine und mal in die andere Richtung. Dass da noch viel Zeit bleibt, um loszulassen und echte Politik zu betreiben, glauben nicht mehr so viele Dresdner, das zeigt deren seit fahren nachlassende Wahlbeteiligung. Und sie glauben auch nicht mehr daran, dass einige wenige für viele passende Entscheidungen treffen können.

Ein bisschen ist das, im Jahr 2015, auch mit dem Journalismus so. Längst gibt es viele von den bunten Westmagazinen und Zeitungen nicht mehr, und die übriggebliebenen Dresdner Lokalpressungen bangen vermutlich nicht zu Unrecht um ihre Existenz. Ersetzt hat sie ein unfassbar großes und unfassbar kostenloses Meinungs- und Bildungsportal. Das Internet bietet für alles und jeden eine Antwort. Genauer gesagt, bietet es eine Auswahlmöglichkeit an Antworten und darüber hinaus gleich noch eine Menge neuer Fragen, an denen sich Interessierte von Link zu Link immer tiefer hineinhangeln können in etwas, das man das gesamte Wissen der Menschheit nennen könnte. Sie akzeptieren die Begleitumstände einer solchen Recherche, zum Beispiel die Tatsache, dass auch der größte Depp sein gefühltes Wissen in ihre Wahrheit einfließen lassen kann. Der Meinungs-und Themenpluralismus einiger Magazine und Zeitungen ist unendlich vielen Meinungen und Themen gewichen. Durch die Erweiterung ums Internet ist jede Wahrheit nur eine Wahrheit für ganz wenige geworden. Auf der Suche nach einer echteren Wahrheit kann ein Stadtmagazin vielen keine ausreichenden Antworten mehr geben. Vielleicht stellt deshalb das SAX-Magazin diese großen gesellschaftspolitischen Fragen nicht mehr so oft und widmet sich stattdessen noch etwas mehr der Kunst, der Literatur, dem Film und der Musik.

Das funktioniert sogar ganz -gut bei denen, die zum SAX-Stammpublikum gehören. Heute kaufen immer noch bis zu 8.000 Menschen das SAX-Magazin, 2.200 davon haben es abonniert und bis zu 27.000 Menschen lesen das Heft jeden Monat. Die allermeisten tun das, weil es in der Familie, bei Freunden oder\ Bekannten rumliegt (diese Zahlen sind ganz frisch, sie stammen direkt vom Chefredakteur). Doch wenn auch Nachwachsende mit dem Magazin etwas anfangen sollen, dann muss es wieder mehr individuelle, umfassend recherchierte Geschichten aus Dresden erzählen. Es muss wieder zum Lesemagazin werden. Für spannende Geschichten braucht man gerade gar nicht so tief reinzustechen, denn die Widersprüche dieser Stadtgesellschaft liegen ja offen da, für Dresden und die ganze Welt sichtbar. Das, was da seit Ende letzten Jahres auf der Straße passiert, ist spannend, schmerzhaft, hoffnungsvoll und desillusionierend zugleich. Eine Mischung, die den ehemaligen DDR-Bürgern bekannt vorkommen sollte, die ja 1989 nur ahnen konnten, was jetzt mit ihnen passiert, und einfach mal auf das Beste hofften.

Jetzt ist wieder so ein bisschen Aufbruchsstimmung. Auch, weil einige finden, dass das mit dem Besten nicht so gut geklappt hat. Die Bürger Dresdens politisieren sich, indem sie sich nun noch einmal ganz neu überlegen müssen, was für sie eigentlich wichtig und was richtig ist an dieser Mitmach-Staatsform, in der sie seit 25 Jahren leben. Einige kritisieren gelegentlich die neoliberalen Auswüchse, die meisten dürften es sich jedoch gemütlich eingerichtet haben in dem hübschen Bild, das sie sich von Dresden gemalt haben, um mal ein Kunstgleichnis zu bemühen in einer Kunststadt. Dieses Bild muss nun nicht gleich ganz neu gemalt werden. Aber vielleicht sollte einmal der Firnis abgenommen 'werden, um die Schadstellen auszubessern. Die Frage, wer das Bild der Stadt Dresden malen darf, warum es überhaupt nur von einer Gruppe gemalt werden sollte und was die Gruppen voneinander unterscheidet oder eint - all das zu erörtern und zu einem gesellschaftlich umsetzbaren Ergebnis zu bringen, all das ist gelebte Stadtpolitik. Es ist die Art von Politik, die die 1990er so aufregend gemacht haben muss. Auf einmal können wieder alle mitreden und ihre Meinung äußern, auch die, die immer wieder behaupten, sie könnten genau das eben nicht. Wenn ein etwas müde gewordenes Stadtmagazin von seiner Stadt etwas lernen kann, dann hat es jetzt die Chance seines Lebens.

JULIANE HANKA

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: