spiegel online, 17:08 Uhr, 16.06.2015
Gescheiterte Verhandlungen - Griechische Regierung fühlt sich für linke Politik bestraft
Nach dem öffentlichen Zerwürfnis mit Brüssel beginnen die Griechen zu begreifen, dass sie mit weiteren Zugeständnissen kaum noch rechnen können. Jetzt sucht die Syriza-Regierung den Schuldigen für die Misere - bei den Gläubigern.
Beratungen mit der Opposition, Krisenrunden der regierenden Syriza-Partei hinter verschlossenen Türen und wütende Ausfälle gegen die Gläubiger - in Athen wächst die Angst vor der drohenden Staatspleite. Das laufende Hilfsprogramm, auf dessen Basis das Land auf kurzfristige Zahlungen von rund 7,2 Milliarden Euro hofft, läuft Ende des Monats aus.
Zeitungen, Fernsehen und Radio kennen denn auch derzeit kein anderes Thema. Spekulationen über eine Verhängung von Kapitalverkehrskontrollen und einen Austritt aus der Eurozone machen die Runde. Noch mehr Sparmaßnahmen - die Rede ist von 5,6 Milliarden Euro zusätzlichen Einsparungen - werden gefordert. "Sonst fliegen wir raus", erklärt der Moderator eines Fernsehsenders am Dienstag. Und auf den Straßen begegnet man kaum noch unbesorgten Menschen.
Am Vormittag lud Premier Alexis Tsipras die Chefs der proeuropäischen Partei To Potami, Stavros Theodorakis, und der Sozialisten (Pasok), Fofi Gennimata, in seinen Regierungssitz ein, um sie für seine Position zu gewinnen.
Doch seine Hoffnung, die Reihen gegen Brüssel im eigenen Land zu schließen, zerschlugen sich schnell. Theodorakis erklärte anschließend, seine Partei werde ein Abkommen mit den Gläubigern über weitere Sparmaßnahmen unterstützen. Griechenland stehe am Scheideweg. Der eine Weg sei "schwierig", der andere ohne Einigung führe "zur Katastrophe".
Auch die Pasok-Chefin Gennimata äußerte sich zurückhaltend. "Es ist eine kritische Stunde. Der Bruch mit den Gläubigern ist keine Lösung", sagte sie. Tsipras müsse jetzt handeln.
Umso energischer teilen der Premier und seine Regierungsmannschaft gegen alle aus, die sie für die Zuspitzung der Situation verantwortlich machen. Der IWF trage eine "kriminelle Verantwortung für die heutige Lage", sagte Tsipras bei einer Rede vor seiner Parlamentsfraktion am Dienstag in Athen. Sein Land habe die Grenzen dessen erreicht, was es ertragen könne. "Wir sind bereit, mit unseren Partnern (...) für eine Lösung zu arbeiten", sagte er. Die Lösung könne aber nicht die Fortsetzung der Sparpolitik sein.
Er habe viele seiner Wahlversprechen zurückgenommen, um damit den Gläubigern entgegenzukommen, fügte der Premier hinzu. Doch Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds forderten immer noch härtere Maßnahmen. Nach Ansicht Tsipras' stehen politische Gründe hinter diesem Verhalten. Viele Regierungen wollten in Europa keine linke Politik dulden.
Finanzminister Gianis Varoufakis sekundierte Tsipras: Die Vorschläge aus Athen seien bereits "hart und unmenschlich", sagte er SPIEGEL ONLINE. Seine Regierung werde das Reformprogramm nur umsetzen, "wenn Europa einer Umschuldung, Investitionen und einem Ende der Liquiditätskrise zustimmt". Die Verantwortung liege nun bei den Gläubigern. "Fragen Sie Frau Merkel, ob es diese Woche eine Vereinbarung geben wird", sagte Varoufakis.
Während einer Veranstaltung auf Kreta legte Varoufakis am Dienstag noch einmal nach. Die von den Gläubigern Griechenlands geforderten Sparmaßnahmen kämen einer Erniedrigung der Griechen gleich. Die Gläubiger forderten Griechenland "mit Sadismus" auf, diejenigen Bürger finanziell zu belasten, die bereits schwer von der Krise getroffen seien.
Anhänger der radikalen Linken rufen derweil im Internet zu Kundgebungen in ganz Griechenland auf. Ihr Motto: "Wir reißen die Austerität nieder".
Dabei will die große Mehrheit der Griechen im Euroland bleiben, wie eine vom Athener Fernsehsender Mega veröffentlichte, repräsentative Umfrage zeigt. Danach sprachen sich 69,7 Prozent der Befragten für den Verbleib in der Eurozone aus, auch wenn dies mit harten Sparmaßnahmen verbunden sein würde. Im Januar allerdings hatten sich noch 80 Prozent für den Euro ausgesprochen.
Ihre letzte Hoffnung knüpfen die griechischen Europaanhänger jetzt an eine weitere Verhandlungsrunde in allerletzter Minute. Wie die "Financial Times" in ihrer Online-Ausgabe und die "Süddeutsche Zeitung" berichten, denkt man in Brüssel über einen Sondergipfel der Euro-Regierungschefs am kommenden Wochenende nach, sollte es auf dem vorherigen Treffen der Finanzminister am Donnerstag zu keiner Einigung kommen.
Zusammengefasst: Bei Griechenlands Bevölkerung wächst die Angst vor dem endgültigen Bruch mit den Gläubigern und dem daraus folgenden Staatsbankrott. Weitere Zugeständnisse lehnt die Regierung Tsipras trotzdem ab - und sieht die Schuld bei IWF, EZB und den Euro-Partnern.
Von Michael Kröger
Mitarbeit: Giorgos Christides, Björn Hengst. Mit Material von dpa, Reuters, und AFP