Neues Deutschland, 16.07.2015
SYRIZA: Rücktritt, Fehler, Reinheit
Mehrheit im SYRIZA-ZK gegen das Gipfel-Ergebnis
Von Vincent Körner
Als Nadia Valavani am Mittwoch ihren Rücktritt als Vize-Finanzministerin erklärte, lag die Abstimmung über das erste Gesetzespaket, das die Gläubiger zur Auflage für ein neues Kreditprogramm machen, noch ein paar Stunden voraus. Nur ein paar Stunden zuvor hatte Premier Alexis Tsipras in einem Fernsehinterview noch einmal ausführlich erklärt, warum er in Brüssel der Einigung zugestimmt hatte. Eben jener Einigung, wegen der seine SYRIZA-Genossin Valavani mit den Worten zurücktrat: Sie werde nicht zustimmen, »und ich denke, man kann nicht in der Regierung bleiben, wenn man dagegen stimmt«.
Es wurde am Mittwoch vor der Parlamentssitzung erwartet, dass auch etwa 30 Abgeordnete des linken SYRIZA-Flügels gegen das Gesetzespaket stimmen. Dieses beinhaltet: die Anhebung der Mehrwertsteuer für Gastronomie von 13 auf 23 Prozent, höhere Abgaben auf Betriebsgewinne, die sollen von 26 auf 29 Prozent steigen, sowie eine von fünf auf 13 Prozent steigende Luxussteuer. Auch sollen Einkommen von mehr als 500 000 Euro stärker belastet werden. Es handelt sich nur um einen ersten Schritt, ein zweiter Teil soll bis Mittwoch kommender Woche verabschiedet werden.
Die Kritik auf dem linken Flügel von SYRIZA richtet sich freilich nicht gegen Steuererhöhungen für Reiche oder Unternehmen, sondern gegen den Gesamtcharakter der Brüsseler Einigung, die als Diktat und Ergebnis einer Erpressung angesehen wird. Am Mittwoch sprachen sich 109 Mitglieder des Führungszirkels von SYRIZA gegen die Vereinbarung mit den Gläubigern aus - das Zentralkomitee zählt insgesamt 201 Mitglieder. Eine Mehrheit hat sich also hinter ein Nein gestellt und zudem eine Dringlichkeitssitzung des Gremiums verlangt.
Am Vorabend hatte Premier Alexis Tsipras noch seinen Kurs verteidigt. Er »übernehme die Verantwortung für alle Fehler, die ich möglicherweise gemacht habe. Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken«, sagte der Ministerpräsident im Interview mit dem Sender ERT1. Es gebe in diesen Zeiten keinen Raum für »ideologische Reinheit«. Tsipras erklärte zugleich, »dass ich nicht vor der Verantwortung davonlaufe. Ich will keine Neuwahlen.« Als völlig ausgeschlossen darf man einen solchen Schritt aber auch nicht betrachten. Nach dem Abschluss des parlamentarischen Verfahrens über die von den Gläubigern verlangten Gesetzespakete »werde ich sehen, wie es weitergeht«. Er werde aber »niemandem mit dem Messer am Hals drohen«.
Mancher wird das auch als Antwort auf den Druck verstanden haben, den einige Gläubiger gegen SYRIZA gemacht haben, allen voran Deutschland. Aus Athener Regierungskreisen war sogar davon die Rede, Tsipras sei in Brüssel einem »mentalen Waterboarding« unterzogen worden. Und so überraschte es nicht, dass der Premier seine Kritik am deutschen Finanzminister wiederholte: »Dieses Europa gehört nicht Herrn Schäuble.«