spiegel online, 04:57 Uhr, 09.11.2015
Pegida, AfD und Co. - Das wird man ja wohl noch verschweigen dürfen
Ein Kommentar von Janko Tietz
Regelmäßig provozieren Figuren vom rechten Rand mit kruden Parolen. Regelmäßig gerät das Land danach in Wallung. Warum eigentlich? Weil sie eine öffentliche Präsenz haben, die ihrer Bedeutung so gar nicht gerecht wird.
Wissen Sie, wie kalkulierte Provokation geht? Die geht so: Pegida-Gründer Lutz Bachmann hat die geistige Reife und den Intellekt eines Adolf Hitler. Und dessen Frisur hat er auch.
Uhi! Aufregung! SPIEGEL ONLINE vergleicht Bachmann mit Hitler! Andere Medien berichten. Rechtsanwälte verschicken "presserechtliche Informationsschreiben" oder gar Unterlassungen. Eine Empörungswelle wäre losgetreten, zumindest bei "besorgten Bürgern", wir, die "Lügenpresse", machte ihrem schlechten Ruf wieder alle Ehre.
Nichts anderes machen "Politiker" und Pappnasen wie Bachmann, Höcke, Festerling, Pretzell, Pirinçci, Gauland, Petry allenthalben: Sie provozieren. Woche für Woche. Da mal den Begriff "KZ" über den Theaterplatz geschleudert, dort mal das Wort "Schusswaffe", hier mal pauschal von "Islamisten als Vergewaltiger" fabuliert, da vom "Sieg", den Pegida davontragen werde. Sieg gegen wen eigentlich?
Immer wieder halten uns diese Figuren ihre Stöckchen hin - und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn es an diesem Montagabend bei der Pegida-Demo in Dresden nicht wieder einen kleinen schicken Eklat geben würde. Es ist immerhin der 9. November - ein schicksalhaftes Datum für die Deutschen.
Warum berichten wir so regelmäßig über diese Giftmischer?
Etablierte Politiker reagieren dann bestimmt, wie sie immer reagieren: Reflexhaft "verurteilen" und "verabscheuen" sie in routiniert verschickten Pressemitteilungen das Gesagte. Muss man darauf reagieren? Es entsteht der Eindruck, diese Menschen um Bachmann und Co. bestimmen den Diskurs in diesem Land. Dabei ist es eine absolute Minderheit, welche die Deutungshoheit zum Thema Flüchtlinge für sich beansprucht.
In den Medien gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Über Selbstmörder berichtet man in der Regel nicht. Weil man damit nur Nachahmer animieren würde. Warum aber berichten wir so regelmäßig über diese Giftmischer und ihre Schlachtrufe? Sie freuen sich über die PR und vor allem über jene, die durch die mediale Präsenz erst auf ihre Giftmischer-Kurse aufmerksam werden. Auf den Kundgebungen werden viele angestachelt zu Gewalt, zu der sie zuvor gar nicht imstande gewesen wären.
Natürlich müssen wir berichten, wenn es zu Ausschreitungen kommt, wenn Jagd auf Menschen gemacht wird, wenn Flüchtlingsheime brennen. Aber müssen wir die wirren Ideen der Rechten transportieren? Ihre Ideologie? Ihre Thesen?
Wir müssen selbstverständlich auch über Rechtsextremismus und über das Phänomen Pegida berichten, es analysieren und in den Kontext stellen. Nur müssen wir eben nicht jede Parole und jede neue verbale Provokation nachrichtlich abbilden.
Die Deutschen sind kein Volk von Wirtshaus-Schlägern
Mein Kollege Markus Feldenkirchen beklagte jüngst in einem Kommentar eine "Wirtshausschlägereistimmung" in Deutschland und fragte "Was ist nur aus diesem Land geworden?" Ich glaube, dieses Land ist gar nicht so viel anders, als jenes, über das wir uns 2006 zur Fußball-WM alle so gefreut haben. Zupackend, weltoffen, interessiert, fröhlich, gut gelaunt.
Wohl kaum sonst würden die fast 800.000 Flüchtlinge, die in diesem Jahr bereits zu uns gekommen sind, so pragmatisch versorgt - bei allen Schwierigkeiten, die es dabei gibt. Wohl kaum sonst hätte Machtpolitikerin Angela Merkel so beherzt Partei für sie ergriffen, wenn sie nicht ein Klima der Aufgeschlossenheit unter der Bevölkerung wahrnehmen würde. Die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer, Beamten auf Behörden, Polizisten und Kommunalpolitiker stellen das ja Tag für Tag unter Beweis. Ihnen sollte alle Aufmerksamkeit gehören.
Die Deutschen sind kein Volk von Wirtshausschlägern, sie igeln sich nicht ein, sie wollen nicht mehrheitlich ein ausländerfreies Deutschland, wie uns der rechte Rand glauben machen will. Während rechtsnationale Parteien in Nachbarländern wie der Schweiz, Polen oder Frankreich mittlerweile ein Drittel aller Wähler erreichen, krebst bei uns die AfD zwischen fünf und acht Prozent umher. Ergo: Mehr als 90 Prozent der Deutschen wollen mit diesen Leuten nichts zu tun haben.
Noch müssen wir uns nicht sorgen, wenn die Partei in Umfragen mal einen Prozentpunkt hinzugewinnt. Noch ist sie weit entfernt davon, in diesem Land etwas zu sagen zu haben - sie tut aber so, als hätte sie das längst. Der rechte Rand ist da, aber er ist eben nur ein Rand. Man wird ihn nicht in die Bedeutungslosigkeit ignorieren können, aber man muss ihn auch nicht zentral in die Mitte stellen, indem man jede Schwachsinnigkeit weiterverbreitet.
Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Umfang der Berichterstattung über die Umtriebe von NPD, Hogesa, AfD, Pegida der Zahl ihrer Anhänger entspräche. Die Präsenz in den Medien würde zusammenschrumpfen wie ein missratenes Soufflé.
Im besten Fall stünde Bachmann in einem Jahr allein auf seiner Lkw-Pritsche auf dem Theaterplatz in Dresden und spräche zu sich selbst.