Dresdner Neueste Nachrichten, Seite 4, 03.05.2017
"Sachsensumpf "-Prozess: Ging es um Rache und Akten-Manipulation?
Generalstaatsanwalt wirft beiden Angeklagten diverse Vergehen vor/Verteidigung sieht kein Fehlverhalten
DRESDEN. Die Dresdner Justiz hat sich reichlich viel Zeit gelassen: Gestern fand in der Landeshauptstadt der Prozessauftakt zu jenem Drama statt, das unter dem Stichwort "Sachsensumpf" bundesweit für Furore gesorgt hat. Aktuell angeklagt sind eine ehemalige Mitarbeiterin beim sächsischen Verfassungsschutz sowie ein Kriminalist aus Leipzig, beide Spezialisten im Bereich Organisierte Kriminalität (OK). Der eigentliche Fall aber liegt weit zurück: Exakt zehn Jahre ist es her, als erste Veröffentlichungen in LVZ/DNN und zeitgleich im "Spiegel" Ermittler, Politik und Öffentlichkeit in Wallung brachten. Schließlich ging es dabei um kriminelle Netzwerke vor allem in Leipzig, um unsaubere Immobilien-Deals, ein Kinderbordell sowie darin verstrickte . ranghohe Juristen. Zusätzlich Fallhöhe erhielt das Ganze durch die Tatsache, dass all dies auf Geheimakten des Verfassungsschutzes basierte - eine prickelnde Gemengelage.
So nahm die Affäre schnell ihren Lauf. Von sizilianischen Verhältnissen war die Rede, der damalige Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) hielt seine berühmtberüchtigte "Mafia-Rede" im sächsischen Landtag. Monatelang schaute Ex-Regierungschef Georg Milbradt (CDU) zu - um dann brachial gegenzuhalten. Folge: Ab Sommer 2007 moderierten frisch installierte Führungskräfte im Innenministerium und beim Verfassungsschutz die Affäre ab. Von da an ging es kaum mehr um die mögliche Verstrickung hoher Beamter, sondern um jene, die das Ganze ins Rollen gebracht hatten: Journalisten unter anderem, vor allem aber der Leipziger OK-Kriminalist Georg W. und die Referatsleiterin beim Verfassungsschutz, Simone H. - eben jene, die jetzt vor Gericht stehen.
Ihnen wirft die Generalstaatsanwaltschaft Verfolgung Unschuldiger vor. Simone H. habe Gerüchte aufgebauscht und "Akten bewusst manipuliert". Georg W. wiederum habe als vermeintlicher Kronzeuge von Simone H. ebenfalls unsauber agiert, unter anderem sei Rache sein Motiv. Und beide hätten überdies vor dem U-Ausschuss des Landtags "wahrheitswidrige" Angaben gemacht. Das deckt sich im Kern mit der Lesart, die die neu sortierten Hausleitungen von Innenministerium und Verfassungsschutz bereits im Sommer 2007 im Sinne Milbradts vertreten hatten. Darüber hinaus waren externe Prüfer ebenfalls vor Jahren zu dem Schluss gekommen, die Akten der Geheimdienstler seien aufgebauscht. Dabei allerdings prüften die Externen im Auftrag der Staatsregierung höchst selbst. Auch die Ermittlungen der Staatsanwälte hatten nichts zu Tage gefördert. Nun also der Prozessauftakt vor dem Landgericht Dresden: Beachtlich daran ist nicht nur, dass die Affäre selbst zehn Jahre her ist; auch die Anklageerhebung gegen Simone H. und Georg W. liegt weit zurück, stammt noch aus dem Jahr 2010. Offiziell hat das Gericht unter anderem auf die Überlastung der Mitarbeiter als Grund für die Verzögerung verwiesen. Unabhängig davon aber ist klar, dass der Vorsitzende Richter, Joachim Kubista, keinen einfachen Job hat. Denn vermint ist das Gelände, schließlich hat sich nicht nur die Politik beim Reizthema gern eingemischt, auch die Justiz selbst ist betroffen. So galt ein noch heute tätiger Justizbeamter als Schlüsselfigur der Affäre.
Nicht weniger als 25 Prozesstage sind eingeplant. Am Ende allerdings dürfte alles auf die verzwickte Frage hinauslaufen, ob das sogenannte Trennungsgebot von Ermittlungsbehörden und Geheimdienst auch vom Gericht so anerkannt wird. Dahinter steht der Grundsatz, dass der Verfassungsschutz eben nicht Teil der Strafverfolgung ist. Als Inlands-Geheimdienst ist er nicht mit Polizei oder Staatsanwaltschaft zu vergleichen, sondern agiert mit anderen Mitteln und zu einem anderen Zweck - verdeckte Beschaffung von Informationen eben. Erst wenn ein handfester Anfangsverdacht besteht, reichen die Geheimen ihre Erkenntnisse an die Strafverfolger weiter.
Die Folgen liegen auf der Hand. Nach dieser Lesart kann ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes schon aus prinzipiellen Gründen nicht wegen der Verfolgung Unschuldiger belangt werden. Und genau das ist die Argumention des Verteidigers von Simone H., Thomas Giesen, Sachsens ehemaligem obersten Datenschützer. Die Generalstaatsanwaltschaft freilich teilt seine Einschätzung nicht, meint vielmehr, dass die 58-jährige H. sehr wohl Erkenntnisse zu kriminellen Netzwerken zu einem strafrechtlichen Anfangsverdacht verdichtet habe. Und eben das stelle den Tatbestand der Verfolgung Unschuldiger dar.
Das eigentliche inhaltliche Thema aber ist von all dem nicht berührt. Denn im Kern geht es bei der Affäre eben auch um die Frage, ob es neben dem Leipziger Kriminalisten Georg W. noch weitere Quellen für das Akten-Konvolut der Verfassungsschützer gibt. In früheren Sitzungen des U-Ausschusses zum "Sachsensumpf" war von neuen, unabhängig von einander existierenden Info-Gebern die Rede. Namen allerdings sind bisher nicht bekannt. Und sollte diese These überhaupt stimmen, ruhen sie im Panzerschrank der Verfassungsschützer - und dürften dort auch bleiben.
JÜRGEN KOCHINKE