BILD AM SONNTAG, 10.02.2018
Hochgejubelt und davongejagt
So einsam ist Schulz nach dem Rücktritt. Am Tag vor seinem Sturz gab er noch ein Interview ++ Er war so stolz auf den GroKo-Deal
24 Stunden vor seinem Sturz sitzt Martin Schulz gut gelaunt am Besprechungstisch im Büro des Parteivorsitzenden. Es ist Donnerstagmittag, wir sind zum Interview verabredet. Schulz wirkt entspannt und heiter. Er hat offenbar wirklich keine Ahnung, dass Genossen gerade an seinem politischen Ende arbeiten.
Nach dem 38-Stunden-Verhandlungsmarathon mit der Union hat er letzte Nacht tief geschlafen. So tief, dass er nicht gemerkt hat, wie er sich Zug im Rücken geholt hat. Aber selbst das verdirbt ihm die Laune nicht. Er wird ja jetzt Außenminister. Denkt er zumindest.
Schulz fühlt sich absolut sicher. Lächelnd erzählt er von den Koalitionsverhandlungen: „Wir sind kein Nonnenkloster, aber wie die Union miteinander umgeht, da kann man schon Mitleid bekommen.“ Ein Satz, über den er 24 Stunden später wohl nur noch den Kopf schütteln würde.
Von Wehmut, weil er den SPD-Vorsitz an Andrea Nahles abgeben muss, ist in den knapp zwei Stunden nichts zu spüren. Er kann zwar immer noch nicht so richtig erklären, warum Andrea Nahles die Richtige und er, der einst mit 100-Prozent gewählte Parteichef, der Falsche ist. Mehr als die Attribute „jünger“ und „Frau“ fallen ihm zu Frau Nahles nicht wirklich ein.
Schulz betont, dass der Koalitionsvertrag „unter meiner Führung“ ausgehandelt wurde. Und er benutzt mehrfach das Wort „stolz“. Er ist stolz auf sich, stolz auf den Koalitionsvertrag, stolz auf die Ministeriumsverteilung.
Es sei sein Vier-Augen-Gespräch mit CSU-Chef Horst Seehofer (68) gewesen, das den Ausschlag für die Einigung gegeben habe. Ein bisschen wirkt es so, als wolle Schulz sich selbst loben, weil es ihm die Genossen zu wenig machen.
Mit Nachdruck erklärt er, warum der Posten des Außenministers Martin Schulz gehöre. Er könne die europapolitische Wende nun einmal am besten umsetzen.
Auch besser als Amtsinhaber Sigmar Gabriel? Mit Mimik und Körpersprache sagt Schulz ja, mit Worten bleibt er diplomatisch: Das werde die Zeit zeigen.
Am Mittwochmorgen, als die Ministeriumsverteilung fest stand, gab es ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Schulz und Gabriel. Der Parteivorsitzende machte seinem alten Freund klar, dass der nächste Außenminister Schulz und nicht Gabriel heißen wird.
Im März 2017 wurde Schulz mit 100 Prozent zum SPD-Chef gewählt, Sigmar Gabriel jubelte mit ihm.
Gabriel reagierte gereizt, reklamierte den Posten für sich. In der SPD wird der Dialog so wiedergegeben: Gabriel: „Du bist mir den Außenminister schuldig. Ich habe dich zum Kanzlerkandidaten gemacht.“ Schulz: „Du hast mich doch nur vorgeschoben, um nicht selbst die Niederlage einzufahren.“
Beim Interview am Donnerstag wird deutlich, dass Gabriel längst vom Freund zum Feind mutiert ist. Es ist der Teil des Gesprächs, in dem Schulz sehr angespannt ist und zweimal höhnisch lacht, als der Name Sigmar Gabriel fällt.
Dabei weiß Schulz zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass die übelste Attacke seines alten Freundes erst noch kommen wird.
Fröhlich verlässt Schulz am Donnerstag gegen 13.30 Uhr mit seinem kleinen Fliegerkoffer die Parteizentrale. Den großen Koffer lässt er oben im Vorsitzenden-Apartment im 6. Stock des Willy-Brandt-Hauses zurück. Er will ja bis zum Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag im Amt bleiben.
Schulz fährt zum Flughafen, er will nach Hause, ein paar Tage in Würselen ausspannen. Als er in NRW angekommen ist, meldet die Funke-Mediengruppe, dass Gabriel Schulz frontal attackiert, ihm „Wortbruch“ vorwirft. Der Noch-Außenminister benutzt sogar seine fünfjährige Tochter Marie zum Schlag gegen Schulz. Marie hätte ihm gesagt: „Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“