Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland, 27.01.2020

Kurt Biedenkopf: Noch einmal kurz König

 
KURT BIEDENKOPF ERFUHR SPÄT SEINEN POLITISCHEN TRIUMPH, DER ABGANG WAR WENIGER TRIUMPHAL

Michael Bartsch, Dresden

18 Jahre nach seinem wenig ruhmvollen Abgang als Ministerpräsident spricht heute in Sachsen kaum noch jemand von »König Kurt«. Auch Pegida oder die AfD rufen bei aller Anfälligkeit für Autokraten keineswegs nach einem Biedenkopf. Sie werden es allein schon deshalb nicht tun, weil der ehemalige Landesvater im CDU-Landtagswahlkampf 2019 die Sachsen warnte, »sich aus der Ländergemeinschaft auszuschließen«, wenn sie die AfD wählten. Eine deutliche Kehrtwende, hatte er doch während seiner Amtszeit als Ministerpräsident den Mythos vom sächsischen Alleskönner genährt, ja »seinem« Volk 2001 sogar »Immunität gegen Rechtsextremismus« bescheinigt.

Als stille Eminenz gilt das einstige Sachsen-Idol aber immer noch. Zumindest bei einigen Journalisten, auch wenn andere meinen, man müsse Kurt Biedenkopf inzwischen vor sich selbst schützen. Fans hat der Landesgroßvater nach wie vor. Zu seinem 90. Geburtstag am 28. Januar musste die veranstaltende Adenauer-Stiftung den Festakt vom Dresdner Albertinum wegen des großen Andrangs in die Frauenkirche verlegen. Auch Kanzlerin Angela Merkel drängt es wie vor zehn Jahren zur persönlichen Gratulation. Damit es nicht so sehr nach Personenkult aussieht, wird Biedenkopfs 90 ins Jubeljahr 30 der Nachwendezeitrechnung eingebettet.

Alle Äußerungen der vergangenen Jahre lassen spüren, wie sehr er um seine Theoreme und um sein Lebenswerk kämpft. Früh erwarb er sich einen Ruf als »Querdenker«. Mit seinem unverwechselbaren schelmischen Lächeln argumentierte, ja dozierte das blitzgescheite »Biedenköpfchen« oft unwiderstehlich. Der Jurist und Ökonom, der in Deutschland und in den USA studiert hatte, stieg akademisch, wirtschaftlich und politisch schnell auf. An der Ruhr-Universität Bochum wurde er mit 37 Jahren jüngster Universitätsrektor Deutschlands, just zur Zeit der 1968-er Studentenrevolte. Dann Geschäftsführer bei Henkel, mit 43 CDU-Generalsekretär.

Für den Politiker, der 1984 gar als EU-Kommissionspräsident im Gespräch war, begannen Ende der 1970-er die Turbulenzen. Das Zerwürfnis mit Helmut Kohl, die verlorene Wahl gegen Johannes Rau und das Ende des CDU-Vorsitzes in Nordrhein-Westfalen - sein Stern war schon im Fallen, als ihn 1990 der Ruf einiger Bürgerbewegter nach Sachsen ereilte. Da war er nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter.

Die Sachsen, die den ersten Ministerpräsidenten wie ihren König verehrten, verschafften ihm dann für zwölf Jahre Genugtuung. Vor allem der Mythos vom Sachsen als eines ostdeutschen Musterländles trotz Deindustrialisierung und belastender Umbrüche weckte das Gefühl eines zweiten Goldenen Zeitalters, nach dem des frühen 18. Jahrhunderts unter Kurfürst August dem Starken. Mit taktischem Geschick, aber auch mit Streicheleinheiten für die Sachsen hat Biedenkopf es geschafft, Symbolfigur ihrer Hoffnungen, aber auch ihres Stolzes zu werden. Allerdings trug dieser ehrfürchtige Blick nach oben nicht viel zur Entwicklung eines demokratischen Selbstbewusstseins bei.

Mit dem Aufkommen der NPD und autoritärer Einstellungen in der Bevölkerung kam nach Biedenkopfs wenig schmeichelhaftem Abgang 2002 die Quittung. Mehrere Affären wurden ihm zum Verhängnis, die den Vorwurf von Vetternwirtschaft und persönlicher Vorteilnahme laut werden ließen. Wirtschaftslobbyismus, persönliche Eitelkeiten, innerparteiliche Kritik, ein wenig auch die Rolle seiner handfesten, aber innig geliebten zweiten Frau Ingrid als »Landesmutter« trugen zum Rücktritt bei.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle stocherte mit sicherem Jagdinstinkt im System Biedenkopf herum.

Diesen mit 72 Jahren unter Druck erfolgten Rückzug als Ministerpräsident hat Kurt Biedenkopf bis heute nicht verkraftet.

Geblieben sind seine Lieblingsthemen, zum Beispiel Europa. In die Sackgasse führten jedoch die von ihm propagierte Privatisierung staatlicher Aufgaben, die kapitalgedeckte Rentenversorgung, die Leuchtturmpolitik zulasten ländlicher Räume. Ein bisschen stänkert auch der greise Ex-König noch. »Der Westen hat sich aus dem Osten alles geholt, was nicht niet- und nagelfest war«, rutschte es ihm im Wahlkampf 2019 heraus.

Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132002.noch-einmal-kurz-koenig.html

Karl Nolle im Webseitentest
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