Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 01.09.2000

"Wer da von Ausbluten spricht, hat ein Rad ab"

Streit um die von Bautzens Arbeitsamt geförderte Jobsuche in Bayern
 
DRESDEN/BAUTZEN. Lausitzer werden mit Hilfe des Arbeitsamtes Bautzen nach Bayern abgeworben und bekommen für den Umzug auch noch 5 000 Mark. Die Region blute aus, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle. Abgeordnete und Regierung verteidigen das Arbeitsamt.
Acht Lausitzer haben Arbeitsverträge in Freising unterschrieben, vierzig andere absolvieren in den nächsten Wochen einen Trainingskurs. Das ist die bisherige Erfolgsbilanz einer Aktion des Arbeitsamtes Bautzen, die es so noch nirgends gegeben hat. Mitte Juli veranstaltete man zusammen mit dem Arbeitsamt Freising eine Stellen-Börse in Bautzen. 1 200 Lausitzer wollten damals einen Job in München. Manuela Schewel von der Avon Cosmetics, einem Unternehmen bei Freising mit 1 500 Mitarbeitern, war von diesem Ansturm überwältigt. Ein ähnlicher Versuch im eigenen Arbeitsamt war erfolglos geblieben. "Wir würden gern zehn Leute einstellen", sagt sie. Die ersten drei beginnen am Montag ihren achtwöchigen Trainingskurs. Doch Karl Nolle, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, würde die Aktion am liebsten zurückdrehen. Durch die gezielte Abwerbung blutet die Lausitz aus, wird zur Region ohne Perspektive, kritisiert er das Arbeitsamt. Marco Schiemann, CDU-Landtagsabgeordneter aus Bautzen, hält Nolles Vorwurf für unverschämt. "Wir müssen den Leuten doch wenigstens diese Chance geben, wenn wir schon hier nicht genug Arbeit haben." Sein Parteifreund Heinz Eggert, zuhause im Dreiländereck, schlägt in dieselbe Kerbe: "Man kann nicht noch die beschimpfen, die sich kümmern." Und Ingrid Mattern, Lausitzer Landtagsabgeordnete der PDS, dreht den Spieß um: "Wir freuen uns über jeden, der irgendwo Arbeit findet." Als zweiten Gedanken fügen alle an, dass es freilich besser wäre, wenn es die Jobs in der Lausitz gäbe. "Ist der Herr Nolle nicht selbst Unternehmer in Dresden?", fragt Staatssekretär Wolfgang Vehse, im Wirtschaftsministerium zuständig für solche ökonomisch schwache Regionen wie die Lausitz. "Wir suchen händeringend nach Investoren und wir würden ihn unterstützen." Die Lausitz ist anders als Dresden noch immer Höchstfördergebiet. Investoren kommen trotzdem nicht. Toyota bei Kamenz und zwei Call-Center in Bautzen und Görlitz, dazu einige kleinere Ansiedlungen - das reicht nicht einmal, um die anderswo Entlassenen aufzufangen. 19,8 Prozent Arbeitslosigkeit im Juli - das ist ein trauriger Spitzenplatz in Deutschland. Gerade mal 50 von 66 000 arbeitslosen Lausitzern werden sich in den nächsten Wochen bei München auf ihren neuen Job vorbereiten. Kommentar des Staatssekretärs: "Wer da vom Ausbluten der Region spricht, der hat doch ein Rad ab."
(von Frank Treue)

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