Sächsische Zeitung, 27.04.2000
Das Bürgerbüro als Sparbüchse
"Raffiniert unübersichtlich": Kostenpauschalen für Abgeordnete
Über Geld spricht man nicht - dieses Sprichwort gilt auch in der Politik, vor allem dort aber völlig zu Unrecht. In einer Serie bringt die SZ Licht in das Dunkel der Parlaments- und Parteienfinanzierung. Heute: Büro- und Fahrtkostenpauschalen.
Das Messingschild am Haus Nr. 10 in der Dresdner Rähnitzgasse liest sich wie eine Prominententafel. Ein Europaabgeordneter ist darauf verewigt, zwei Bundestagsabgeordnete, der Landtagspräsident und fünf weitere CDU-Abgeordnete. Alle sollen - so verheißt es zumindest das Schild - in dem Haus ein Bürgerbüro haben. Doch in Wirklichkeit ist es bei manchen "nur ein Tisch und ein Briefkasten", erzählt ein Eingeweihter. Was freilich auch schon übertrieben ist, denn selbst ein Briefkasten muss für bis zu drei Mieter herhalten. Immerhin: Alle Abgeordneten bezahlen pünktlich ihre Miete. 20 Mark pro Quadratmeter - für die Lage in Nähe der Königstraße alles andere als überteuert. Die Mietverträge sind ein Deal zu beiderseitigem Nutzen. Die Abgeordneten bekommen ihr Wahlkreisbüro zu erträglichen Konditionen, der Vermieter hat auf Jahre hin gesicherte Einnahmen. Und vor allem bleibt alles in der Familie: Das Haus gehört einem Verein, der für die CDU und in ihrem Auftrag treuhänderisch tätig ist. In 25 Jahren sollen alle Schulden getilgt sein. Dann habe die CDU eine "langfristige Grundlage", sagt der Landtagsabgeordnete und Vereinschef Andreas Lämmel. Neutrale Beobachter würden es eher indirekte Parteienfinanzierung nennen. Denn das Geld, das die Abgeordneten als Miete zahlen, kommt vom Steuerzahler. 2 160 Mark erhält jedes Landtagsmitglied pro Monat als (steuerfreie) allgemeine Kostenpauschale "insbesondere für die Betreuung des Wahlkreises, Bürokosten, Porto und Telefon sowie sonstige Auslagen". Manche Abgeordnete wie Marko Schiemann (CDU) aus Bautzen kommen mit dem Geld nach eigenem Bekunden nicht aus: "Meistens muss ich zusetzen." Andere dürften dabei weniger Schwierigkeiten haben. Etwa ein Dutzend Parlamentarier - darunter Hans Heinz Lehner (CDU), Ulrike Brettschneider (PDS) und
Karl Nolle (SPD) - hat das Wahlkreis- bzw. Bürgerbüro im eigenen Haus bzw. in der eigenen Firma eingerichtet. "Warum sollte ich dafür Miete zahlen, wenn im Haus genügend Platz ist?" fragt der Annaberger Abgeordnete Hartmut Götzel (CDU). Die Frage müsste wohl besser lauten: Warum erhalten solche Abgeordnete trotzdem die volle Büropauschale? In der CDU-Fraktion wurde deshalb darüber nachgedacht, die Pauschale wenigstens um 300 Mark für all jene Kollegen zu kürzen, die gar kein Büro haben. Doch der Plan wurde schnell wieder fallen gelassen: Nach Stand der Dinge hätte die Kürzung allein den CDU-Abgeordneten Kurt Biedenkopf getroffen. Sinn von Kostenpauschalen ist, dass die Verwendung nicht nachgewiesen werden muss. Die Abgeordneten haben sich damit ein einzigartiges Privileg verschafft; für viele kommt es, so der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim, einem steuerfreien Zweiteinkommen gleich. Das trifft nicht nur auf die Büro-Pauschale zu, sondern auch auf die so genannte Fahrtkostenpauschale. 1 200 Mark monatlich und steuerfrei erhält jeder für Mehraufwendungen am Sitz des Landtages und bei Reisen in Ausübung des Mandats - egal ob man viel reist oder gerade im Urlaub ist. Lediglich Abgeordneten mit Dienstwagen sowie Ministern wird die Pauschale um 400 bzw. 600 Mark gekürzt. In anderen Bundesländern ist diese Pauschale je nach Entfernung zwischen Wohnort und Sitz des Landtages gestaffelt; ein System, das es zu Beginn auch in Sachsen gab. Doch dann hatten die Abgeordneten eine bessere Idee: Gleiches Geld für alle und zusätzlich 52 Pfennige für jeden gefahrenen Kilometer zu Sitzungen im Landtag.
In Hessen zählen nur Belege
Diese Verführung war für manche Abgeordnete einfach zu groß. Bekannt wurde der Fall von Hans Jürgen Richter (SPD), der bei seinen Fahrten zum Landtag regelmäßig auch den Umweg übers Bürgerbüro abrechnete. Pro Fahrt machte das rund 15 Mark aus, unterm Strich ein Zusatzeinkommen von mehreren tausend Mark. Eine daraufhin angeordnete Tiefenkontrolle brachte weitere rund zehn Schummler zutage. Weil sie das Geld freiwillig zurückzahlten, blieben ihre Namen unter der Decke. Richter bezahlte seine Irrfahrten mit einem schlechten Listenplatz und damit letztlich mit dem Verlust seines Mandats. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft wurde eingestellt, weil dem Abgeordneten eine vorsätzliche Straftat nicht nachzuweisen war. Für Richter war das ein Frei-, für den Landtag ein Schuldspruch: Die Ermittler bescheinigten damit faktisch, dass die Regelungen im Abgeordnetengesetz selbst für Abgeordnete nicht ganz verständlich sind. Eine Tatsache, die nicht nur für Sachsen gilt und offenbar System hat. "Raffiniert unübersichtlich" nannte der einstige Staatsrechtslehrer Hans Heinrich Rupp einmal das System der Politikerbezüge. Zwar mehren sich auch in Sachsens Landtag inzwischen die Stimmen, die das System der Aufwandsentschädigungen reformieren wollen. Zu einer Änderung kam es - wie in fast allen anderen Bundesländern - bisher aber nicht. Eine Ausnahme macht nur Hessen: Dort werden mit fast 11 600 Mark zwar die meisten Diäten gezahlt. Dafür gibt es aber nur 950 Mark Kostenpauschale und die Möglichkeit, höhere Aufwendungen gegen Einzelnachweis abzurechnen. Rupp: "Das ist offener und glaubwürdiger." Die vorangegangenen Folgen erschienen am 13. und 20. April. Lesen Sie nächste Woche: Warum mehr als ein Drittel aller Abgeordneten Zuschläge kassiert.
(von Steffen Klameth)
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(KOMMENTAR von Karl Nolle. Bedauerlicherweise ist hier wieder einmal schlecht recherchiert und ungefragt Halbheiten aufgeschrieben worden. Nolle hat seine Bürgerbüroräume gemietet)