Sächsische Zeitung, 09.07.2001
40 bis 60 Millionen Mark Zuschläge im Rathaus
Vogelwiese eröffnet / Landtagsabgeordneter Karl Nolle neuer Schützenkönig
Karl Nolle mit historischer Armbrust beim
traditionellen Vogelschießen - 600 Jahre
Geschichte in Dresden.
DRESDEN. Dresdens Vogelwiese lädt wieder zum Besuch ein. Nach mehr als 50 Jahren nahm gestern beim Vogelschießen wieder ein Oberbürgermeister teil, wenn auch nur ein designierter. Die SZ fragte beim Ratsherren-Schießen die Politiker, womit sie in diesem Sommer den Vogel abschießen wollen.
Dresdens Schausteller feiern die 555. Vogelwiese. "Seit 150 Jahren gibt es die Tradition des Vogelschießens. In den 20er und 30er Jahren war die Vogelwiese viel bedeutender als das Münchner Oktoberfest", sagt Uwe Steffen, Präsident der Privilegierten Scheibenschützen Gesellschaft zu Dresden und Mitorganisator des Ratsherrenschießens. Froh begrüßt er Ingolf Roßberg (FDP), den künftigen Oberbürgermeister. "1933 nahm zuletzt ein OB am Vogelschießen teil", sagt Steffen. Aus der Riege der Bürgermeister kam nur Ordnungsdezernent Bernd Ihme (CDU).
Als einziger Landtagspolitiker schoss
Karl Nolle (SPD) auf den hölzernen Vogel. Das Glück war ihm hold, er wurde Schützenkönig. "Das wird mich nun einige Fässer Bier kosten. Am 17. Juli lade ich um 19 Uhr alle ins Steak-Haus auf der Vogelwiese ein", kündigt er an.
Lieber noch würde Nolle Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) in den "wohlverdienten Ruhestand" schicken. "Aber ohne dass der Freistaat dafür weitere Dienstleistungen erbringt", sagt er, der die Mauscheleien um den Biedenkopf-Wohnsitz veröffentlicht hatte. Er setze jetzt auf die Ermittlungen des Generalstaatsanwaltes und hoffe zudem, dass die CDU schnell einen Nachfolger auswählt. Auf die Frage, ob er nachhelfen wolle, zeigt Nolle nur ein breites Grinsen.
Auf zwei Hochzeiten tanzt in diesem Monat Ingolf Roßberg. In Wuppertal will er seine Arbeit ordentlich übergeben, nach Dresden reist er jedes Wochenende, um die neuen Aufgaben als Oberbürgermeister vorzubereiten. Im Wahlkampf hat er versprochen, ein Bürgermeister zum Anfassen zu sein. Ob Museumsnacht oder Schützenfest, nun lässt er kaum ein Ereignis aus. Musik zur Entspannung - am liebsten von Johann Strauß - muss über fehlenden Schlaf hinweg helfen.
Kürzungen in der Kultur rückgängig machen
"Zu meinen ersten Amtshandlungen wird es gehören, die elfprozentige Kürzung im Kulturbereich rückgängig zu machen", sagt er. Für die dazu nötigen 300 000 Mark (153 390 Euro) sollte die Stadt auf ein paar Gutachten verzichten. Kräftig sparen will Roßberg an den Personalkosten. "40 bis 60 Millionen Mark zahlt das Rathaus jährlich an Sondervergünstigungen. Hier liegen die Reserven für meine Wahlversprechen", sagt er. Nicht einmal der Gesamtpersonalrat sei über diese großzügigen Gaben informiert gewesen. Am übernächsten Wochenende will sich Roßberg mit den Personalvertretern treffen. Den Entwurf einer Dienstvereinbarung mit Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen habe er schon übergeben. "Wir brauchen ein Personalentwicklungskonzept, denn in den nächsten sieben Jahren verlässt etwa ein Drittel aller Mitarbeiter altersbedingt das Rathaus", sagt er.
Über seine künftige Mannschaft will er sich vor Amtsantritt nicht äußern. Karl Geiselbrecht wolle er aber als Büroleiter behalten, Peter Teichmann zu seinem persönlichen Referenten ernennen. Zudem sucht er einen neuen Pressesprecher. Für die Bürgermeisterposten wünscht er sich in erster Linie Fachleute. "Am liebsten nach dem Wuppertaler Modell: Pro Fraktion einen."
Auf einen heißen Sommer und Herbst bereitet sich die CDU-Fraktion vor. "Wir wollen eine schlagkräftige Stadtregierung mit stabilen Mehrheiten", sagt Jürgen Eckoldt. Namen nennt er nicht, auch nicht zum neuen CDU-Kreisvorstand, der im Oktober gewählt wird.
Andreas Naumann von der PDS möchte ebenso wie Eva Jähnigen von den Grünen, dass die Rathausstruktur überprüft wird. Beide fordern ein eigenständiges Umweltdezernat. "Auch der Denkmalschutz braucht ein Amt", sagt Naumann. Als Verwaltungschef wünscht er sich Karl Geiselbrecht. "Sport, Jugend, Schulen und Kommunalwirtschaft müssen ordentlich zugeordnet werden", sagt Jähnigen.
"Nach der OB-Wahl kommen völlig neue Töne von der CDU. Plötzlich ist sie für einen EU-Beauftragten. 1999 hatte sie unseren Vorschlag dazu abgelehnt", sagt Siegfried Gäbel (SPD). Nun will die SPD den Vogel abschießen und alle alten Vorlagen nochmals auf die Tagesordnung bringen.
(Bettina Klemm)