Hannoversche Allgemeine (HAZ) Leinezeitung, 24.07.2001
Der Schrecken von Wunstorf wirbelt in Dresden
Karl Nolle, so aggressiv wie er traut sich niemand an Biedenkopf heran. Für die in Sachsen allein regierende CDU ist er das rote Tuch schlechthin.
Lang ist es her in den späten sechsiger und frühen siebziger Jahren, da trieb ein Bürgerschreck im beschaulichen Wunstorf sein Unwesen:
Karl Nolle, engagierter Jungsozialist und politisches Urviech und jemand der Debatten in Gang bringen konnte. Schon sein Vater, Karl Nolle sen. trat gern unerbittlich und fanatisch auf. Für den jungen Karl galt das auch, auch an ihm konnte man sich kräftig reiben.
Viele Jahre sind vergangen, und heute sorgt der inzwischen 56-jährige Nolle bundesweit für Schlagzeilen. Nicht mehr die kapitalistischen Verhältnisse oder der Muff der Nachkriegsära sind seine Gegner, sondern ein prominenter Politiker am Ende seiner Laufbahn - Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Nolle engagiert sich für die SPD und er ist derjenige in Dresden, der Unregelmäßigkeiten über Biedenkopfs Wohnverhältnisse, den Einsatz von Dienstpersonal und Leibwächtern enthüllt. „Ich bin der Staatsfeind Nummer eins in Dresden", sagt er, nicht ohne ironischen Unterton.
In Wunstorf scheint einer von seiner Sorte manchmal zu fehlen. Was hat er in der Auestadt nicht alles in Gang gebracht? Nach einer eher ruhigen Kindheit mit Aktivitäten bei den Flugmodellbauern, nach der mittleren Reife am Hölty-Gymnasium und nach der Bundeswehrzeit auf dem Fliegerhorst erwachte Ende der sechziger Jahre sein politischer Geist. 2.000 Mark hat er sich 1968 vom Vater geliehen, davon eine Druckmaschine gekauft und in der Alten Bahnhofstraße zunächst, später dann in der Hindenburgstraße eine kleine Druckerei aufgebaut.
„SOAK" wie, "Sozialistische Aktion" (die Zeitung des SPD-Exil-Parteivorstandes in Prag 1933) hieß das Unternehmen, kleine Hefte wurden gedruckt und an Juso-Genossen verteilt - denn Nolle war Chef des Juso-Unterbezirks Nienburg/Neustadt. Mitgesellschafter der SOAK GmbH war damals ab 1973 übrigens ein gewisser Gerhard Schröder, heute Kanzler der Bundesrepublik.
Die Jusos unter Nolle verstanden es, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: Nach dem Militärputsch in Chile regten sie 1973 an, die Hindenburgstraße in Salvador-Allende-Straße umzubenennen. Erfolgreich war das nicht (die Abstimmung im Rathaus scheiterte denkbar knapp), aber die Empörung der Kyffhäuser und Geschäftsleute war groß - es wurde viel darüber geschrieben. Unvergesslich ist auch ein Wahlkampfauftritt von Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU)im Stadttheater Wunstorf, 1958 oder 1959. Nolle hatte die Juso-Freunde mobilisiert, damit sie die Veranstaltung ein wenig stören. Er selbst trug eine Sonnenbrille und hatte eines kleinen Jungen auf den Schultern, namens Paul, "Guck mal, Paul, da oben steht der böse Onkel", rief Nolle, und die CDU-Anhängerschar war entsetzt. Wochenlang sorgte der Vorfall in der Stadtpolitik für Gesprächsstoff.
Mitte der siebziger Jahre hat Nolle Wunstorf verlassen, siedelte mit der Druckerei nach Hannover um. Seine Eltern sind inzwischen gestorben, und die Bindungen zu Niedersachsen verblassen. Seit der Wende engagiert sich Nolle, inzwischen wohl Millionär, in der sächsischen Hauptstadt, leitet dort den Unternehmerverband (der Druckindustrie), sitzt für die SPD im Landtag, wirkt als Kunstmäzen, führt sein Geschäft mit 60 Mitarbeitern und mischt die Politik kräftig auf.
So aggressiv wie er traut sich niemand an Biedenkopf heran. Für die in Sachsen allein regierende CDU ist er das rote Tuch schlechthin. Provozieren und Diskussionen anstoßen - das hat der SPD-Mann, der 1986 aus der Partei ausgeschlossen wurde (wegen Unterstützung der Grünen. Wie er sagt) und 1998 wieder eintrat, zweifelsohne in Wunstorf gelernt.
Mag sein, dass sich manche seiner Gegner in Dresden daran erinnern - oder nachgeforscht haben. Seltsamerweise ist nämlich mitten in der City der Elbmetropole an einer Wand ein Grafitti-Spruch zu lesen. Er lautet „Rache für Wunstorf“. Sollte das eine Interpretation von Nolles Wirken sein? Nolle selbst kann sich das nicht erklären, für ihn ist das äußerst rätselhaft. Klar sei jedenfalls, dass ein Kämpfer wie er auf alles gefasst sein müsse, nicht nur auf Anschläge mit Farbe: „Ich gucke jeden Morgen unter mein Auto, ob dort eine Tellermine versteckt ist."
(von Klaus Wallbaum)