Süddeutsche Zeitung, 30.11.2001
"Nein, das ist ausgeschlossen!" Weitere Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten
Neue Dokumente verstärken den Verdacht, dass sich Kurt Biedenkopf allzu intensiv für einen Freund und Großinvestor stark machte
DRESDEN. Sechs Stunden lang hielt der Ministerpräsident an jenem Montagabend im Februar diesen Jahres den penetranten Fragern stand. Sechs Stunden lang ließ Kurt Biedenkopf sich kaum einmal provozieren. In aller Ruhe wies er im Untersuchungsausschuss zur Paunsdorf-Affäre die Vorwürfe zurück, dass er zugunsten seines langjährigen Freundes Heinz Barth und zu Ungunsten des Landes Sachsen bei einer Großinvestition des Bauunternehmers Einfluss genommen habe. Der Kölner Bauunternehmer hat in Paunsdorf bei Leipzig ein Behördenzentrum gebaut.
Biedenkopf soll dem guten Freund – so lautet der Vorwurf der Opposition – 1993 dafür die nötigen staatlichen Mieter verschafft und zudem dem Finanzminister die Miethöhe nach Barths Wünschen diktiert oder zumindest nahe gelegt haben. Gegenüber dem Untersuchungsausschuss wies Biedenkopf die Vorwürfe als beleidigend zurück. Er würde „die Entscheidung genauso wieder treffen“. Es sei seine Pflicht, sich für Investoren einzusetzen. Erschöpft, aber siegesgewiss lächelnd verließ der siebzigjährige Christdemokrat damals den Saal 600 des Landtags und erklärte die Affäre für beendet.
Hat Biedenkopf gelogen?
Das dürfte ein schweres Missverständnis gewesen sein. Jetzt sind Dokumente aufgetaucht, die in drastischem Widerspruch zu seiner damaligen Aussage stehen. Die Papiere stammen pikanterweise aus der Feder seines Freundes Heinz Barth, der selbst vor dem Ausschuss nicht aussagen wird. Barth hat ein Attest vorgelegt, wonach er nicht vernehmungsfähig ist. Er stellte nun aber auf Anforderung Akten zur Verfügung.
Ein Schreiben des Unternehmers vom 29.Juni 1993 an Biedenkopf legt nicht nur für die Opposition den Schluss nahe, dass der Ministerpräsident vor dem Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt hat. Zudem gilt das Schreiben für die Opposition als letzter Beleg dafür, dass Biedenkopf sich die Konditionen für den Bau des Behördenzentrums von seinem Freund regelrecht habe „diktieren lassen“, so der SPD-Obmann im Ausschuss,
Karl Nolle. Die Staatsregierung wirft Nolle vor, dass er diesen und andere Briefe rechtswidrig aus den Unterlagen des Untersuchungsausschusses an Journalisten weitergegeben habe.
Barths Brief schließt eine Lücke in der Chronik der Affäre an einem zentralen Punkt. Der Vorwurf, dass Biedenkopf zugunsten seines Freundes Einfluss genommen hat, rührt vor allem aus einem Vermerk von Biedenkopf vom 1. Juli 1993. In dem Vermerk an den damaligen (und von ihm inzwischen entlassenen) Finanzminister Georg Milbradt hatte der Ministerpräsident detailliert aufgeschrieben, welche Behörden – zum Beispiel der Rechnungshof und das Staatsarchiv – mit wie viel Quadratmetern im noch zu bauenden Behördenzentrum untergebracht werden sollten. Biedenkopf notierte auch, welche Grundlage die Mietverträge haben sollten. Er schrieb dazu, dass der ausgehandelte Mietpreis „nach Aussage des Investors an der untersten Grenze des Machbaren“ liege. Schließlich wünschte der Ministerpräsident eine „alsbaldige Entscheidung“.
Im Ausschuss hatte der SPD-Abgeordnete Nolle Biedenkopf gefragt, ob er diesen Vermerk selbst konzipierte. Biedenkopf antwortete zunächst: „Ich nehme an, dass ich auf die Informationen des zuständigen Hauses zurückgegriffen habe. “ Nolle fasste nach: Ob ein damaliger Abteilungsleiter das Schreiben konzipiert habe. Biedenkopf verneinte. Darauf fragte Nolle, ob Barth das gewesen sei. Der Ministerpräsident antwortete: „Nein, das ist ausgeschlossen.“
Nun ist aber dieses Schreiben von Barth aufgetaucht, in dem er dem Ministerpräsidenten genau zwei Tage vor seinem Vermerk detailliert die Konditionen für die Unterbringung der Behörden auflistet. Wer Barths Brief und Biedenkopfs Vermerk nebeneinander legt, merkt schnell, dass der Ministerpräsident Barths Text fast wortgetreu übernommen hat. Vor allem sachliche Fehler hat er korrigiert und wenige Details bei den Mietkonditionen geändert – und zwar derart, dass Oppositionelle meinen, er habe dies gar noch zu Lasten des Freistaats getan. Der Ministerpräsident verzichtete darauf, den letzten Absatz des Schreibens zu übertragen, in dem Barth kenntnisreich erklärt, welche Ministerialräte eine Anweisung an den in Leipzig zuständigen Amtsleiter erteilen müssten, damit die Mietverträge zügig abgeschlossen würden. „Biedenkopf hat die Öffentlichkeit und das Parlament belogen“, empört sich der Sozialdemokrat Nolle. Biedenkopf spricht dagegen von einer Groteske, er habe niemanden belogen.
Aus Versehen im Mülleimer
Regierungssprecher Michael Sagurna ließ gar verkünden, dass das Schreiben aus der Feder Barths geradezu eine Entlastung sei, „ein weiterer schlagender Beweis“, so Sagurna, „dass der Ministerpräsident sich nicht in Einzelkonditionen eingemischt hat“. Im Gegenteil, der Ministerpräsident habe sich die Informationen von Barth nicht voll zu eigen gemacht, sondern in zwei wichtigen Details Änderungen vorgenommen und die Auffassungen des Investors dem Finanzminister weitergegeben. Dabei habe Biedenkopf aber dem Finanzminister keine Weisung erteilt. Der Ministerpräsident habe sich zudem die Angaben des Investors in Bezug auf die Miethöhe nicht zu eigen gemacht, sondern als dessen Auffassung dargestellt.
Die kühne Vorwärtsverteidigung hat nicht überzeugt, die Opposition will den Ministerpräsidenten noch einmal im Ausschuss hören. Sie fragt zudem, weshalb das Schreiben von Barth nicht ordnungsgemäß von der Staatskanzlei mit den anderen Akten an den Ausschuss weitergegeben wurde. Laut Sagurna existiert dieser Brief in der Staatskanzlei gar nicht, er sei dort nicht bekannt gewesen. Vielleicht, so spekulierte Sagurna auf Nachfrage, habe ihn jemand damals versehentlich in den Mülleimer geworfen.
Weitere Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten
„Nein, das ist ausgeschlossen!“
Neue Dokumente verstärken den Verdacht, dass sich Kurt Biedenkopf allzu intensiv für einen Freund und Großinvestor stark machte
Von Jens Schneider
Sechs Stunden lang hielt der Ministerpräsident an jenem Montagabend im Februar diesen Jahres den penetranten Fragern stand. Sechs Stunden lang ließ Kurt Biedenkopf sich kaum einmal provozieren. In aller Ruhe wies er im Untersuchungsausschuss zur Paunsdorf-Affäre die Vorwürfe zurück, dass er zugunsten seines langjährigen Freundes Heinz Barth und zu Ungunsten des Landes Sachsen bei einer Großinvestition des Bauunternehmers Einfluss genommen habe. Der Kölner Bauunternehmer hat in Paunsdorf bei Leipzig ein Behördenzentrum gebaut.
Biedenkopf soll dem guten Freund – so lautet der Vorwurf der Opposition – 1993 dafür die nötigen staatlichen Mieter verschafft und zudem dem Finanzminister die Miethöhe nach Barths Wünschen diktiert oder zumindest nahe gelegt haben. Gegenüber dem Untersuchungsausschuss wies Biedenkopf die Vorwürfe als beleidigend zurück. Er würde „die Entscheidung genauso wieder treffen“. Es sei seine Pflicht, sich für Investoren einzusetzen. Erschöpft, aber siegesgewiss lächelnd verließ der siebzigjährige Christdemokrat damals den Saal 600 des Landtags und erklärte die Affäre für beendet.
Hat Biedenkopf gelogen?
Das dürfte ein schweres Missverständnis gewesen sein. Jetzt sind Dokumente aufgetaucht, die in drastischem Widerspruch zu seiner damaligen Aussage stehen. Die Papiere stammen pikanterweise aus der Feder seines Freundes Heinz Barth, der selbst vor dem Ausschuss nicht aussagen wird. Barth hat ein Attest vorgelegt, wonach er nicht vernehmungsfähig ist. Er stellte nun aber auf Anforderung Akten zur Verfügung.
Ein Schreiben des Unternehmers vom 29.Juni 1993 an Biedenkopf legt nicht nur für die Opposition den Schluss nahe, dass der Ministerpräsident vor dem
Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt hat. Zudem gilt das Schreiben für die Opposition als letzter Beleg dafür, dass Biedenkopf sich die Konditionen für den Bau des Behördenzentrums von seinem Freund regelrecht habe „diktieren lassen“, so der SPD-Obmann im Ausschuss, Karl Nolle. Die Staatsregierung wirft Nolle vor, dass er diesen und andere Briefe rechtswidrig aus den Unterlagen des Untersuchungsausschusses an Journalisten weitergegeben habe.
Barths Brief schließt eine Lücke in der Chronik der Affäre an einem zentralen Punkt. Der Vorwurf, dass Biedenkopf zugunsten seines Freundes Einfluss genommen hat, rührt vor allem aus einem Vermerk von Biedenkopf vom 1. Juli 1993. In dem Vermerk an den damaligen (und von ihm inzwischen entlassenen) Finanzminister Georg Milbradt hatte der Ministerpräsident detailliert aufgeschrieben, welche Behörden – zum Beispiel der Rechnungshof und das Staatsarchiv – mit wie viel Quadratmetern im noch zu bauenden Behördenzentrum untergebracht werden sollten. Biedenkopf notierte auch, welche Grundlage die Mietverträge haben sollten. Er schrieb dazu, dass der ausgehandelte Mietpreis „nach Aussage des Investors an der untersten Grenze des Machbaren“ liege. Schließlich wünschte der Ministerpräsident eine „alsbaldige Entscheidung“.
Im Ausschuss hatte der SPD-Abgeordnete Nolle Biedenkopf gefragt, ob er diesen Vermerk selbst konzipierte. Biedenkopf antwortete zunächst: „Ich nehme an, dass ich auf die Informationen des zuständigen Hauses zurückgegriffen habe. “ Nolle fasste nach: Ob ein damaliger Abteilungsleiter das Schreiben konzipiert habe. Biedenkopf verneinte. Darauf fragte Nolle, ob Barth das gewesen sei. Der Ministerpräsident antwortete: „Nein, das ist ausgeschlossen.“
Nun ist aber dieses Schreiben von Barth aufgetaucht, in dem er dem Ministerpräsidenten genau zwei Tage vor seinem Vermerk detailliert die Konditionen für die Unterbringung der Behörden auflistet. Wer Barths Brief und Biedenkopfs Vermerk nebeneinander legt, merkt schnell, dass der Ministerpräsident Barths Text fast wortgetreu übernommen hat. Vor allem sachliche Fehler hat er korrigiert und wenige Details bei den Mietkonditionen geändert – und zwar derart, dass Oppositionelle meinen, er habe dies gar noch zu Lasten des Freistaats getan. Der Ministerpräsident verzichtete darauf, den letzten Absatz des Schreibens zu übertragen, in dem Barth kenntnisreich erklärt, welche Ministerialräte eine Anweisung an den in Leipzig zuständigen Amtsleiter erteilen müssten, damit die Mietverträge zügig abgeschlossen würden. „Biedenkopf hat die Öffentlichkeit und das Parlament belogen“, empört sich der Sozialdemokrat Nolle. Biedenkopf spricht dagegen von einer Groteske, er habe niemanden belogen.
Aus Versehen im Mülleimer
Regierungssprecher Michael Sagurna ließ gar verkünden, dass das Schreiben aus der Feder Barths geradezu eine
Entlastung sei, „ein weiterer schlagender Beweis“, so Sagurna, „dass der Ministerpräsident sich nicht in Einzelkonditionen eingemischt hat“. Im Gegenteil,
der Ministerpräsident habe sich die Informationen von Barth nicht voll zu eigen gemacht, sondern in zwei wichtigen Details Änderungen vorgenommen und die Auffassungen des Investors dem Finanzminister weitergegeben. Dabei habe
Biedenkopf aber dem Finanzminister keine Weisung erteilt. Der Ministerpräsident habe sich zudem die Anga-
ben des Investors in Bezug auf die
Miethöhe nicht zu eigen gemacht, sondern als dessen Auffassung dargestellt.
Die kühne Vorwärtsverteidigung hat nicht überzeugt, die Opposition will den Ministerpräsidenten noch einmal im Ausschuss hören. Sie fragt zudem, weshalb das Schreiben von Barth nicht ordnungsgemäß von der Staatskanzlei mit den anderen Akten an den Ausschuss weitergegeben wurde. Laut Sagurna existiert dieser Brief in der Staatskanzlei gar nicht, er sei dort nicht bekannt gewesen. Vielleicht, so spekulierte Sagurna auf Nachfrage, habe ihn jemand damals versehentlich in den Mülleimer geworfen.
(Von Jens Schneider)