FAKTuell - die Online-Zeitung, 05.12.2001
Die Biedenkopfpapiere: Raub-Bau Ost
Kurt Biedenkopf hat einen Freund
Vielleicht sogar mehr. Auf jeden Fall einen, der Heinz Barth heißt und das Paunsdorf-Center in Leipzig aufgebaut hat. In dieses Center sind dann später Sachsens Behörden eingezogen.
Für einen Freundschaftspreis von 24,57 Mark pro Quadratmeter. Das ist lange her. Nicht ganz so lang zurück liegen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in diesem Fall, unter anderem wegen des Verdachts der Untreue sowie Korruption.
Noch weniger lang ist es her, dass sich die PDS durchgesetzt und einen Untersuchungsausschuss zum Paunsdorf-Center ins Leben gerufen hat. Aktuell kümmert sich SPD-MdL
Karl Nolle um Biedenkopfs Intimfreundschaften und deren Kosten für Sachsen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft allerdings bereits eingestellt.
Warum, das ergibt sich aus deren Berichten und Schlussfolgerungen nicht.
Eine Frage, die FAKTuell auch Kurt Biedenkopf gern gestellt hätte – leider hat er aufgrund seines großen Engagements für den Freistaat bisher keinen freien Termin für ein Interview gefunden.
Als Staatsanwältin Kessler im März 2000 von einem Kollegen aus Leipzig gefragt wurde, ob die Vorermittlungen im Fall des Behördenzentrums Paunsdorf fortgesetzt werden sollten, wimmelte sie ab. Der Inhalt des Artikels in der LVZ (LeipzigerVolksZeitung), so die Begründung, sei „zu dünn“. Sie habe sich mit Generalstaatsanwalt Schwalm abgestimmt, dass es für eine Fortsetzung keinen Anlass gebe.
Als der Kollege hartnäckig blieb und auf die drohende Verjährung hinwies – immerhin stammte der Fall aus dem Jahr 1993 – ließ sie sich anfangs umstimmen. Ihr Auftrag: Durchsuchung oder Beschuldigtenvernehmung, um die Verjährung zu unterbrechen. Sehr schnell schwenkte sie allerdings um. Der Grund: Ihr Kollege aus Leipzig machte sie darauf aufmerksam, was das bedeutete.
Konkret: Den Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf als Beschuldigten zu erfassen, ihn zu vernehmen und/oder bei ihm zu durchsuchen.
Die Reaktion der Staatsanwältin glich einem Zurückzucken. In einem entsprechenden Vermerk ihres Kollegen heißt es: Sie habe Abstand von ihrem Vorschlag genommen und ihm mitgeteilt, dass keine Maßnahmen erforderlich seien. Er solle gar nichts unternehmen, stattdessen „alles so lassen, wie es ist“.
Bereits im Herbst 1997 wollte die Staatsanwaltschaft Leipzig das Sächsische Finanzministerium durchsuchen. Das hatte es abgelehnt, diverse Verwaltungsakten herauszugeben. Am 2. 12. 97 nun hatten die Ermittler keinerlei derartige Ambitionen mehr. Stattdessen teilte man dem Landeskriminalamt mit, dass weitere Bemühungen, die Akten zu erhalten, nicht erfolgen würden und dass man bezüglich des Behördenzentrums Leipzig Paunsdorf seitens der Generalstaatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht sehe. Das LKA war raus aus den Ermittlungen, die diversen Akten gingen an die Staatsanwaltschaft zurück.
An dieser Stelle wunderte man sich beim LKA offenbar doch etwas. In einem Bericht vom 2. Oktober 1998 an das Innenministerium bezeichnen die LKA-Ermittler die Verfügung der Staatsanwaltschaft als inhaltlich und rechtlich nicht nachvollziehbar. So werde ausgeführt, „dass Pflichtverletzungen von Amtsträgern vorliegen, dass, zumindest in Teilen, auch ein Schaden entstanden ist und dass ein Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt vorhanden sei.“
Gleichzeitig aber – so staunt der Ermittler – stelle die Verfügung fest, dass es am Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat mangele, da keinerlei Vorsatz zu erkennen sei. Sein Fazit: „Diese Ableitung kann schwer nachvollzogen werden, weil nach hiesigem Erkenntnisstand weder die Verwaltungsakten des SMF (Finanzministerium, Anm. d. Red.) einer Auswertung unterzogen, noch die beteiligten Personen gehört wurden.“
Kurt Biedenkopf im Februar dieses Jahres vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss:
„Ich würde heute genau so entscheiden wie Anfang der 90er Jahre. Sachsen ist durch mein Engagement keinerlei Schaden entstanden.“
Das sah das Landeskriminalamt Sachsen zumindest in einem Sachstandsbericht vom November 1997 noch ganz anders. Feststellung der vierköpfigen Ermittlergruppe: Es habe kostengünstigere Alternativen für das Behördenzentrum Pausdorfcenter gegeben, die aber offensichtlich nicht berücksichtigt wurden. Damit sei die sächsische Haushaltsordnung verletzt worden.
Der Abschluss von Mietverträgen mit diesen Eckwerten erscheint als für den Freistaat ungünstig.
Es wurden mehr Flächen angemietet, als Raumbedarf gemeldet worden war – ca. 3.215 Quadratmeter.
In mehreren Fällen wurde der Raumbedarf erst nach Anmietung ermittelt.
Mögliche Aufmassdifferenzen wurden im Mietvertrag nicht limitiert.
Die Folge: Für ungewollte Mietfläche (ca. 6409 Quadratmeter) fallen pro Jahr 1,87 Millionen Mark mehr an. Es gab keine Regelung hinsichtlich Standardausstattungsgrad und nutzerspezifischen Einbauten. Allein diese kosteten den Staat 33 Millionen Mark mehr.
Der Entscheidung zur Anmietung ging keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung voraus.
Fazit: Es erscheine wenig plausibel, dass Beamte des höheren Dienstes mit langjähriger Erfahrung aus Unkenntnis Entscheidungen „zugunsten des Investors und zu Ungunsten des Freistaates treffen, ohne dafür einen Vorteil in Aussicht gehabt oder erhalten zu haben“.
Zumindest in einem Fall glaubten die Ermittler einen konkreten Anhaltspunkt gefunden zu haben.
Ein Beamter gab seine Laufbahn auf und wechselte zu einem neuen Arbeitsgeber – dem Investor des BHZ Grimma. Am Ende des Berichtes schlagen die Ermittler konkrete Schritte vor, unter anderem Durchsuchungen bei acht Personen sowie bei involvierten Banken.
Auch die Oberfinanzdirektion Chemnitz widerspricht Biedenkopfs Vorstellung von Schaden oder Nutzen für den Freistaat – allerdings bereits ein paar Jahre vor seiner Aussage, nämlich im Januar 1996. In einem Bericht über die Geschäftsprüfung beim Staatlichen Liegenschaftsamt Leipzig meinen die Prüfer: „Nicht festzustellen ist auch, aus welchen Gründen die Standortentscheidung zugunsten von Paunsdorf getroffen worden ist.“
Bis Juni 93 finde sich in der Akte keine Begründung dafür. Erst nachdem die Oberfinanzdirektion einen Bericht anforderte, fand man darin einige „spärliche Angaben, die insgesamt allerdings widersprüchlich sind“.
Hier stoßen die Prüfer auf Lügen, im Bericht als „nicht zutreffende Äußerungen“ bezeichnet. Der Amtsvorsteher habe gegen die Verwaltungsvorschriften verstoßen und Grundsätze der zentralen Liegenschaftsverwaltung missachtet. Und weiter: „Durch fehlende Einflussnahme des Sächsischen Liegenschaftsamtes und die unwidersprochene Hinnahme der Direktverhandlung zwischen Investor und künftigem Nutzer wurde gegen den Grundsatz der zentralen Behördenunterbringung verstoßen. Derartige Verhandlungen hätten unterbunden werden müssen.“
Die Frage, die die Prüfer der Oberfinanzdirektion Chemnitz 1996 stellten, „aus welchen Gründen die Standortentscheidung zugunsten von Paunsdorf getroffen worden ist“, beantwortete in diesem Jahr der ehemalige Abteilungsleiter des Finanzministeriums Michael Muster. Vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss erklärte er, Biedenkopf habe sich zwischen Juni und November 1993 mehrfach bei ihm persönlich für den Abschluss von Mietverträgen eingesetzt. Unter anderem habe er ihn zwei bis dreimal persönlich angerufen und im Oktober 1993 persönlich in die Staatskanzlei einbestellt und darauf gedrungen, noch ausstehende Mietverträge zum Abschluss zu bringen.
Dass sich Biedenkopf so um die Sicherheit des Investors sorgte begründete er vor dem Untersuchungsausschuss in diesem Jahr mit seiner generellen politischen Verantwortung für den Aufbau im Land. „Das ist völlig normal. Die Tatsache, dass wir befreundet sind, hat zu einer etwas größeren Kommunikation geführt als das sonst der Fall ist.“ Das sei aber auch der einzige Unterschied.
Das muss die Generalstaatsanwaltschaft, an ihrer Spitze Jörg Schwalm, schon im Dezember 1997 genauso gesehen haben. Die hatte trotz eines Sachstandberichtes kein strafbares Verhalten der Personen erkennen können. Etwas, was man den Ermittlern kaum vorwerfen kann, wenn man sich einen Bericht des Landeskriminalamtes genauer ansieht. Darin heißt es: „Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des Sachstandberichtes sei jedoch, so die Aussagen der Staatsanwaltschaft Leipzig, durch die Generalstaatsanwaltschaft nicht erfolgt.“
(Monika Berger-Lenz)
LINK: Hier sind die Biedenkopf-Dokumente !!!