Sächsische Zeitung, 29.12.2001
Gefühlskarussell
Sächsisch betrachtet von Andreas Novak
ZUM Jahresende fahren die Gefühle Achterbahn. Weihnachtliche Besinnlichkeit ringt mit dem Ärger über lästige Verwandtenbesuche, die Freude auf, das kommende Jahr wird überschattet von, der Erinnerung an unschöne Seiten des bald vergangenen. Auch der Überschwang guter Vorsätze für das neue Jahr wird gedämpft von Schuldgefühlen: Welchen Vorsatz hat man jemals wirklich gehalten?
KEIN Wunder, dass bei diesem Gefühlskarussell selbst den härtesten Kämpfern an der Politfront das Herz weich wird. So veröffentlichte der Vorsitzende der PDS Landtagsfraktion, Peter Porsch, eine mit Bibel-Zitaten überladene Presse-Erklärung; in denen er "christlichabendliche Werte" beschwört. Parteifreunde fürchteten bereits, Porsch wolle nicht sächsischer, sondern bayerischer Ministerpräsident werden. Ob Porsch seine christdemokratische Ader auch in der Tagespolitik auslebt, darf indes bezweifelt werden.
EBENSO unwahrscheinlich ist die Wandlung des SPD-Oberenthüllers
Karl Nolle von der Kampfwalze zum pausbäckigen Friedensengel. Trotz dem: könnte man meinen, Nolle wäre bereits im Anfangsstadium. Auch der Biedenkopf-Jäger erlag der besinnlichen Stimmung und schlug in einer weihnachtlichen Gruß-SMS per Handy glockenzarte Töne an. Freunde und Journalisten bekamen am Weihnachtstag ein Stefan-Zweig-Zitat als Gruß aufs Funktelefon: "Es muss einer den Frieden beginnen, wie einer den Krieg."
GERN wird das Jahresende aber auch böswillig missbraucht, als Anlass für Rückblicke nämlich: Politiker und Lobbyisten loben sich selbst und tadeln die anderen. Eine wohltuende Ausnahme. ist da der CDU-Kreisverband Sächsische Schweiz. Man wolle gar nicht erst versuchen, Weihnachtsfest und Silvester als Erfolg der CDU zu verkaufen, beginnt eine Art Nicht-Pressemitteilung zum Jahresende: Vielmehr wolle man jahreszeitliche Grüße loswerden. Statt der üblichen Bitte um Abdruck endet das Schreiben mit "Wir bitten ausnahmsweise nicht um Veröffentlichung an geeigneter Stelle." So viel Bescheidenheit muss einfach belohnt werden: Wir veröffentlichen auch ohne Bitte. Wir hoffen, dass die Zurückhaltung in Sachen Eigenlob anhält und auf andere Politiker ausstrahlt.