Süddeutsche Zeitung / Wirtschaft/Personalien, 02.01.2002
Querdenker mit Visionen
Der SPD-Politiker Karl Nolle sitzt in Sachsen zwischen allen Stühlen
Karl Nolle muss nicht lange grübeln, um sich an seinen ersten Zwischenruf im Parlament zu erinnern. „Halbe Redezeit – doppelte Intelligenz“ habe er als Neuparlamentarier dem Landtagspräsidenten zugerufen als der auf der konstituierenden Sitzung des sächsischen Landtages die Redezeiten für die Fraktionen verteilte. Das war im Oktober 1999, kurz nachdem die SPD eine verheerende Wahlniederlage in Sachsen erlitten hatte und nur noch als „Zehn-Prozent-Partei“ in den Landtag eingezogen war. Es ist nicht verbürgt, dass Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) mit einem Lächeln Nolles Zwischenruf kommentiert haben soll. „Wird er wohl haben“, glaubt Karl Nolle. „Er hat mich doch damals kaum gekannt.“
„König Kurt“ lächelt nicht mehr
Inzwischen lächelt „König Kurt“ längst nicht mehr. Mit penetranten Nachfragen zu Putzfrauen, Wach- und Küchenpersonal, oder zum kostengünstigen Wohnen des Ministerpräsidenten im Gästehaus des Freistaates, hat der Neuparlamentarier von der SPD die Causa Biedenkopf ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Auch sitzt Nolle nun im Untersuchungsausschuss, der sich mit Biedenkopfs Rolle beim Bau eines Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf beschäftigt.
Nolle contra Biedenkopf – ein langer Fight, mit Höhen und Tiefen für beide Seiten. Doch das Ende kündigt sich nun an, seit die einst so beratungsresistente Nummer eins in Sachsen Fehler eingesteht und sich auch öffentlich Gedanken über einen vorzeitigen Rückzug macht. Nolle hält sich das zugute. Zumal die öffentliche Meinung in seinem Falle ziemlich eindeutig urteilt. Für die Sachsen ist der zwei Zentner schwere Sozi:
Biedenkopfs „dickstes Problem."
Wer aber ist Nolle wirklich? Auf sechs Seiten verbreitet der 55- Jährige via Internet (www.karl-nolle.de) seinen Lebenslauf. Nach der Lektüre ahnt man zumindest, dass der gebürtige Niedersachse als Politiker und auch als Unternehmer eine bewegte Vergangenheit gehabt haben muss. Mit gehöriger sozialdemokratischer Erbmasse versehen ist er bereits mit 18 der SPD beigetreten. 23 Jahre später flog er wieder raus, weil Nolle Mitte der achtziger Jahre in Niedersachsen das erreichen wollte, was sein Genosse Schröder zwölf Jahre danach bundesweit vollzog – eine Koalition mit den Grünen.
Zusammen mit Schröder hatte Nolle 1973 auch seine erste GmbH gegründet. Drei Jahre später trennten sich die beiden wieder und Nolle lässt offen, warum. Fest steht nur, auch politisch passten die beiden bald nicht mehr zusammen – der linke Stadtindianer und der künftige Genosse der Bosse.
Noch zweimal sind die Beiden danach aufeinander getroffen. Zuerst 1998 in Berlin, als Schröder auf Wahlkampftour war und Nolle sich daraufhin entschloss, wieder in die SPD einzutreten. Reichlich zwei Jahre später machte der Kanzler dann während seiner ersten Reise durch die neuen Bundesländer auch beim Druckerei-Besitzer in Dresden- Striesen Station. Schröder, erzählt Nolle, habe auf seiner Terrasse eine Cohiba geraucht und sich von ihm den Osten erklären lassen. Heute zweifelt Nolle daran, dass ihn Schröder damals verstanden hat.
Nolle und der Osten
Gleich nach der Wende hat er in Dresden ein Stadtmagazin gegründet, sich als Unternehmensberater betätigt und schließlich von der Treuhand die heruntergekommene Striesener Offset-Druckerei erworben: 30 Leute mit 25 000 DM Umsatz und 75 000 DM Lohnkosten im Monat. Was folgte war ein mühevoller Weg, der aber letztlich dazu führte, dass Nolle nun einem Druck- und Verlagshaus vorsteht, das hinsichtlich technischer Ausrüstung und fachlichem Know-how zu den europaweit besten mittelständischen Unternehmen gehört, die die Branche zu bieten hat. Rund 25 Millionen DM und zehn Jahre harte Arbeit hat Nolle dafür investiert. Schon im Mai 1995 hatte er seine gut gehende Firma in Hannover verkauft und war mit seiner Frau ohne Rückfahrschein nach Dresden gezogen.
Diese Entscheidung habe er nie bereut, behauptet Nolle steif und fest. Seine persönliche Bilanz aber fällt zwiespältig aus. Auch in Dresden hat er versucht, als politischer Linker der bessere Unternehmer zu sein. Über die Hälfte seiner jetzt 60 Mitarbeiter sind über ein spezielles Beteiligungsmodell Miteigentümer des Druckhauses geworden. Nolle zahlt Tariflohn und dringt als Chef des Verbandes der Druckindustrie für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen darauf, dass sich die Drucker nicht mit Dumpingpreisen gegenseitig kaputt machen. Mit mäßigem Erfolg. Denn „wirtschaftlich gesehen“, so Nolle, stehe den Betrieben „das Wasser bis zum Hals“.
Beteiligung für Mitarbeiter
Der Druckerei-Chef verschweigt nicht, dass auch sein technisch hochgerüstetes Haus nun Schwierigkeiten hat, rentabel zu wirtschaften. „Die Umsätze steigen, die Renditen fallen. Wir haben 2001 gerade noch eine schwarze Null geschrieben.“ Ein ganzes Bündel von Vorschlägen hat Nolle auf den Tisch gelegt, um den mörderischen Überlebenskampf zu beenden. Öffentliche Aufträge will er an Mindestlöhne binden. Staatliche Lohnsubventionen sollen mehr Beschäftigung schaffen. Über mehr Mitarbeiterbeteiligungen soll dringend benötigtes Eigentum im Osten entstehen. Schließlich fordert er Eigenkapitalhilfen von der öffentlichen Hand und ein stärkeres Engagement der Banken für den Mittelstand. Aber gerade die wollen heute von Nolles Plänen kaum noch etwas wissen. Er habe das schon persönlich zu spüren bekommen, sagt Nolle. Weil Banker konservativ seien und mit den politischen Aktivitäten ihres Kunden nur „schwer leben“ könnten, fassten ihn die Institute nun mit „spitzen Fingern“ an. Und Nolle schwant, dass der politische Querdenker Gefahr läuft, dem quer denkenden Unternehmer den Boden unter den Füßen weg zu ziehen.
(von Steffen Uhlmann)