DNN, 16.01.2002
Gong - und Ring frei zur letzten Runde für Kurt Biedenkopf
Heute soll Rücktrittstermin offiziell genannt werden
DRESDEN. In der Dresdner Polit-Szene liegen die Nerven blank. Heute will Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) endgültig den Zeitplan seines Rückzugs präsentieren, und prompt überschlugen sich die Ereignisse:
Karl Nolle (SPD) gegen Biedenkopf, neue Umfragewerte zu Gunsten des Ministerpräsidenten, Unruhe um eine CDU-Zukunftskommission und eine Attacke von Datenschützer Thomas Giesen. Die CDU-Landtagsfraktion befindet sich in Aufregung, das Rätselraten um die Biedenkopf-Nachfolge geht weiter.
Da ist zum einen die Zukunftskommission. Am Wochenende präsentierte CDU-Chef Georg Milbradt diese Idee auf einer Landesvorstandssitzung in Oberwiesenthal. Tenor: Die Nach-Wende-Zeit ist vorbei, neue Themen braucht die CDU. Als Chef des Gremiums schlug er Kultusminister Matthias Rößler vor - allemal ein Mann mit Ambitionen, aber ungeliebt in der Fraktion.
Entsprechend kam die Retourkutsche. Mit diesem Vorschlag, hieß es gestern aus der CDU, habe sich Milbradt "keine Freunde gemacht". Nicht wenige befürchten, dass Rößler erneut nach dem Fraktionsvorsitz greift, falls Fritz Hähle geht - diesmal mit Rückendeckung von Biedenkopf-Widersacher Milbradt. Der aber braucht die Stimmen in der Fraktion, wenn er Nachfolger von Biedenkopf werden will. Ergebnis: Die Zukunftskommission wurde vertagt, die Unruhe aber ist geblieben.
Gravierender ist Giesen. Gestern wurde bekannt, dass Sachsens oberster Datenschützer Biedenkopfs Staatskanzlei bereits am 9. Januar eine desolate Aktenführung bescheinigt hatte. Doch nicht nur das: Laut Giesen hat der Regierungschef den Kontrollauftrag des Parlaments nicht ernst genug genommen. Grund ist jener Brief von Paunsdorf-Investor Heinz Barth, den dieser am 29. Juni 1993 an Biedenkopf geschrieben hatte. Thema waren Einzelheiten zum Paunsdorf-Deal, doch in der Staatskanzlei ist das Schriftstück verschwunden.
Brisant wird die Angelegenheit durch einen Vermerk, laut Giesen handschriftlich von Biedenkopf persönlich. Der befindet sich in den Akten und belegt nach Ansicht des Datenschützers: Biedenkopf habe nicht nur vom Brief selbst gewusst, sondern auch von dessen Verschwinden. Damit sei es "für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss unmöglich, die volle Wahrheit aufzuklären", meint Giesen. Laut SPD-Mann Nolle nährt das einen weiteren bösen Verdacht: dass der Barth-Brief "möglicherweise in der Staatskanzlei versenkt" wurde, um die direkte Verbindung Barth-Biedenkopf "zu kaschieren". Die Staatskanzlei hat dies stets dementiert. Darüber hinaus hat Nolle den Regierungschef gestern erneut angezeigt - wegen des Verdachts der Untreue im Fall Paunsdorf.
Bleibt die Umfrage. Die hat die Staatskanzlei in Auftrag gegeben und demonstriert, dass Biedenkopfs Ansehen weiter erheblich ist. 64 Prozent der Sachsen sind mit seiner Politik zufrieden. Biedenkopf befinde sich "kurz vor der Papstwerdung", sagte ein Christdemokrat gestern. Der Regierungschef werde diese Tatsache heute in der Fraktion wirkungsvoll zu nutzen wissen - schließlich hänge er immer noch an seinem Milbradt-Verhinderungskandidaten Thomas de Maizire.
Auch die Landespressekonferenz (LPK), die Vereinigung der landespolitischen Journalisten, muss vor Biedenkopfs Offenbarung zu Hochform auflaufen. Wenn die CDU-Fraktion heute Vormittag über die Zeit bis zur möglichen Nachfolgerwahl am 17.April (DNNberichtete) informiert ist, will Biedenkopf vor die Presse treten. Mit großem Interesse wird gerechnet, Ausweiskontrollen sind organisiert. Weil niemand weiß, wann die CDU-Sitzung zu Ende ist, lässt die LPK zu diesem Zeitpunkt einen Gong durch die Flure und Büros des Landtags tönen. Dann geht es los.
(Sven Heitkamp und Jürgen Kochinke)