SPIEGEL ONLINE, UniSPIEGEL, 06.03.2002
Der Professor, die Übung und ein wütender Minister
Von Tobias Reckling
Als Hausaufgabe für seine Studenten entwarf ein Dresdner Juradozent ein "Gesetz zur Wiederherstellung der Achtung vor der Sächsischen Staatsregierung" - und handelte sich damit die Missgunst des Wissenschaftsministers Meyer ein.
Hans Joachim Meyer:
"Kann kommentieren,
was er will."
"Eine Reaktion, wie sie sich ein Satiriker nicht besser hätte ausdenken können" - so wertet der sächsische Landtagsabgeordnete Karl Nolle (SPD) die derzeitige Auseinandersetzung zwischen dem sächsischen Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU) und dem Juraprofessor Jochen Rozek. Dabei hatte Rozek, Dozent für Öffentliches Recht an der Technischen Universität Dresden, überhaupt keine Auseinandersetzung gewollt.
Nur eine thematisch nicht allzu trockene Hausaufgabe wollte er seinen Studenten für die Semesterferien aufgeben. Deshalb erfand er ein "Gesetz zur Wiederherstellung des Respekts vor der Sächsischen Staatsregierung". Ohne zu ahnen, dass daraus ein mittlerer Skandal werden würde, der auch zur Belustigung der heimischen Presse führt. Offenbar scheint die Reizschwelle der sächsischen CDU-Regierung nach einem Jahr voller Skandale um ihren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) sehr niedrig zu sein.
Aus juristischer Sicht war Rozeks Hausaufgabe keineswegs unüblich. Ein Gesetz zu erfinden und dieses von den Studenten als Vorbereitung auf die im kommenden Sommersemester beginnende "Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger" bearbeiten zu lassen - das gehört zum Alltag des Jurastudiums.
Vorlesungssaal Technische
Universität Dresden:
Auch im Jurastudium ist
Platz für Phantasie
Das "Gesetz zur Wiederherstellung der Achtung vor der Sächsischen Staatsregierung (WASSRG)" sollten die Studenten des zweiten Semesters auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen. Das Gesetz sei "aus Anlass einer im Jahre 2001 außerordentlich kritischen Presseberichterstattung über den Lebenswandel und das Amtsgebaren der Sächsischen Staatsregierung" erlassen, wie es im Vorspann der Hausaufgabe hieß.
Aufgabe der Journalisten solle es fortan sein, so Paragraf zwei Absatz eins, "die Tätigkeit der sächsischen Staatsregierung positiv zu würdigen". Solch eine Restriktion der Meinungsfreiheit konnte selbstverständlich auch in der rechtsstaatlichen Fiktion nicht unangefochten bleiben. Der Verleger des (natürlich ebenfalls frei erfundenen) Magazins "Locus", "Berthold Baustein", will laut Aufgabenstellung das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht anfechten - und die zukünftigen Juristen sollen seine Erfolgsaussichten bewerten. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen der sächsischen (Biedenkopf-) Gegenwart waren selbstverständlich rein zufällig.
"Sächsische Rechtsphantasien"
Damit wären an sich auch schon Professor und Studenten mehr oder weniger glücklich gewesen. Wenn nicht der phantasievolle Gesetzestext auf verschlungenen Wegen in die Hände Karl Nolles - einem schon seit längerem bekannten Kritiker der sächsischen Landesregierung - gelangt wäre. Dieser leitete ihn nach eigenen Angaben an einige Vertreter der Presse weiter. Zeitgleich hatte aber auch schon die "Sächsische Zeitung" von der Hausaufgabe erfahren, und veröffentlichte am 8. Februar unter der Überschrift "Sächsische Rechtsphantasien" eine entsprechende Glosse auf der Titelseite.
Karl Nolle: "Blamage für
die Demokratie in Sachsen"
Zu den weniger amüsierten Lesern des Textes gehörte auch Wissenschaftsminister Meyer. Dieser beauftragte noch am gleichen Tag seinen Ministerialrat Hermann Jaekel, Rozek zu schreiben. Der Professor wurde darin unter der Androhung einer dienstrechtlichen Prüfung seines Verhaltens aufgefordert, sich schriftlich bis zum 20. Februar zum Vorfall zu äußern.
Rozek, laut eigener Aussage verwundert über das "äußerst ungewöhnliche Vorgehen", ließ dem Ministerium die gewünschte Antwort auch am 19. Februar zukommen. Neun Tage später erhielt der Jurist eine persönliche Antwort von Minister Meyer. Meyer warf darin dem Dozenten vor, seine "persönliche Meinung zu Präsident Biedenkopf und seiner Regierung in einer autoritativen Weise" seinen Studenten aufzudrängen.
"Offenbar halten Sie sich für einen Helden", schrieb der Politiker. Und: "Mich erinnern Sie eher an einen Menschen, der den Rechtsstaat wie einen Betonbunker benutzt, aus dessen Schießscharten heraus er sicher geschützt machen kann, was er will." Ein Abdruck dieses Briefes in Auszügen erschien am Dienstag in der "Sächsischen Zeitung".
"Gängiger Prüfungsstoff"
Jochen Rozek hielt eine öffentliche Reaktion auf diese Anschuldigungen nicht für nötig. Vielmehr warte er nach wie vor auf eine Antwort auf seine von Ministerialrat Jaekel eingeforderte Stellungnahme. Seiner Ansicht nach ist die "Thematik ganz gängiger Prüfungsstoff" - und letztendlich, so Rozek gegenüber UniSPIEGEL ONLINE, würden "die harten Stellen des Briefes mehr über den Staatsminister als über mich aussagen" und ihn selbst in gleichem Maße amüsieren wie erschrecken.
Seine Hausaufgabe läuft, zum Leidwesen der Studenten, bis zum Abgabetermin (9. April) "ganz normal weiter". Denn, so der Student Stefan als einer der Betroffenen, "die Aufgabe sei zwar phantasievoll, aber dafür auch ziemlich schwer". Und verstehen könnte er "auch nicht so richtig, was da im Ministerium so abgegangen ist". Für ihn sei das eine ganz normale Hausaufgabe gewesen. Zufall, dass Biedenkopf eine Woche nach dem Abgabetermin mehr oder weniger freiwillig zurücktreten wird.
Für den Landtagsabgeordneten Karl Nolle war die Diskussion damit noch nicht beendet. Er bezeichnete in einer Presseerklärung vom 24. Februar die "Versuche der Einschüchterung und die Eingriffe in die Freiheit der Lehre durch Meyer" als unwürdig "und eine Blamage für die Demokratie in Sachsen". Nolle könne sich auch durchaus vorstellen, "das Thema mittels der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag zum Gegenstand einer Debatte zu machen".
Wissenschaftsstaatsminister Meyer dagegen sieht die Sache laut seinem Pressesprecher Herz nunmehr als erledigt an. Es werden keinerlei Sanktionen gegen den Universitätsprofessor folgen. Meyer habe sich, so Herz, "lediglich die Freiheit genommen, solche Sachen auch kommentieren zu können - Wissenschaftsfreiheit hin oder her". Immerhin könne Meyer, so Herz weiter, "jedem einen Brief schreiben, dem er will".
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