DNN, 03.04.2002
Noch mit Lücken, aber ohne Zumutungen
Dresdner Geschichtsverein feiert Zehnjähriges der Wiedergründung mit reich illustrierter Anthologie
DRESDEN. „Die letzte Gesamtdarstellung der Geschichte Dresden, die man akzeptieren kann, ist vor 100 Jahren erschienen, nämlich 1902: Es war die 2. Auflage von Martin Bernhard Lindaus erstmals 1885 veröffentlichten Opus „Geschichte der königlich-sächsischen Residenzstadt Dresden von den ältesten "Zeiten bis zur Gegenwart". Es sei also, so Hans-Peter Lühr, Geschäftsführer des Dresdner Geschichtsvereins und Herausgeber der Dresdner Hefte, höchste Zeit für eine neue, die gesamte Stadtgeschichte berücksichtigende Gesamtdarstellung gewesen. Es sei da zwar, räumt er ein, 1984 noch eine Gesamtdarstellung zur Stadtgeschichte veröffentlicht worden , „aber sie enthält einfach zu viele Zumutungen im letzten Teil", aus denen die Geschichtsmanipulation der damaligen Machthaber nur zu deutlich werde.
Nun hat der Dresdner Geschichtsverein eine neue zusammenhängende Stadtgeschichte herausgegeben, erklärtermaßen als Vorstufe oder Überbrückung bis zum Erscheinen einer dreibändigen Kulturgeschichte der Stadt, die zum Jubiläum 2006 fertiggestellt sein soll. „Dresden - Die Geschichte der Stadt" versteht sich dagegen als Anthologie von relativ eigenständigen Beiträgen, die sich gleichermaßen an Dresdner wie Touristen wendet. Die acht Autoren sind größtenteils Mitglieder des Vereins. „Wir wollten die Glanzzeiten und die Katastrophen, die Leistungen wie das Versagen herausarbeiten", stellte Lühr gegenüber den DNN klar.
Auf 248 Seiten wird von den Anfängen der Stadt, also der ersten urkundlichen Erwähnung anno 1206, bis zum Jahr 1990 berichtet. Recht einmalig im sonstigen Wust von Büchern über Dresden ist auch die 40 Seiten umfassende, von Folke Stimmel erarbeitete Zeittafel. Das Layout besorgte Hans Schuster, emeritierter HfBK-Professor. Als „Gestaltungsdiktatur" wurde seine Arbeitsweise freundlich-ironisch von
Karl Nolle bezeichnet, in dessen Junius Verlag Dresden das Buch erschient. Jedenfalls ist der optische Eindruck der Ausgabe äußerst ansprechend, wofür nicht zuletzt auch 220 Abbildungen sorgen, bei denen, so Lühr, „bekannte Bildmotive nicht fehlen, aber auch viel unbekanntes Hilfsmaterial zum Teil erstmals der Öffentlichkeit publik gemacht wird". Die Publikation, deren Erstauflage 3000 Stück beträgt, wurde von der Dresdner Volksbank Raiffeisenbank, die ja auch jedes Jahr eines der vom Geschichtsverein herausgegebenen Dresdner Hefte fördert, finanziell unterstützt. Der Preis beträgt 29,50 Euro.
Mit diesem Werk hat sich der Dresdner Geschichtsverein selbst ein Geschenk gemacht, feierte er doch unlängst das zehnte Jahr seiner Wiederbegründung. Wilhelm 1. war noch preußischer König und noch nicht deutscher Kaiser. Sachsen also noch selbstständiger Staat und kein Bundesstaat, als der Verein 1869 in der sächsischen Residenzstadt gegründet wurde. Zu seinen Glanzzeiten zählte er rund 1000 Mitglieder, auch der Oberbürgermeister und sonstige Honoratioren rechneten es sich zur Ehre an, ihm anzugehören. Der Niedergang setzte dann im Dritten Reich ein, als man sich im Zuge der Gleichschaltung vorzugsweise mit der Sippengeschichte beschäftigte, und dann nach 1945, als weder die sowjetischen Behörden noch die SED großes Interessen daran hatten, dass dieses „bürgerliche Relikt" seine einstige Bedeutung wiedererlangte. Ende 1991 wurde der Verein wiederbegründet, u.a. von Matthias Griebel, Ingo Zimmermann, Peter Lühr sowie Heinrich Magirius, Anfang 1992 dann beim Amtsgericht juristisch registriert. Mittlerweile zähle man wieder 230 Mitglieder und sei „ein wichtiger Faktor im geistigen leben der Stadt geworden", freute sich gestern der Vereinsvorsitzende Ingo Zimmermann. Mittlerweile sorgt man durch Ausgründungen sogar für weitere Tupfer in der deutschen Vereinslandschaft: Sowohl die Gesellschaft historischer Neumarkt e.V. als auch der Verein für die im Aufbau befindliche Galerie Dresdner Kunst, die im Stadtmuseum ihr Domizil finden soll, seien aus Arbeitsgruppen des Dresdner Geschichtsvereins hervorgegangen, erinnerte Zimmermann. „Acht Jahre Arbeit an diesem Buch", sagte er, „das deutet auf große Lücken und Defizite in der Stadtgeschichtsforschung hin, ob Religions- oder Rechtsgeschichte, da muss noch viel aufgearbeitet werden". Letztendlich, stellte er klar, dürfe Geschichte nicht um ihrer selbst Willen betrieben werden, sondern um mit den von ihr überlieferten Werten die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten.
(Christian Ruf)
Heute, 19 Uhr wird das Buch im Festsaal des Stadtmuseum präsentiert.