Lausitzer Rundschau, 24.01.2002
Keine schwarzen Wolken über dem Waggonbau Niesky
SPD-Parlamentarier besuchten Betrieb / Schlechte Aussichten für Branche insgesamt
NIESKY. Die Waggonbau-Standorte Vetschau und Ammendorf sind in diesen Tagen in die Negativschlagzeilen geraten. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert der Schließung. Anders der Betrieb in Niesky. Er muss nicht um seine Existenz bangen.
Eine gute Nachricht, die gestern aus dem Munde von Werkleiter Klaus Ludwig zu vernehmen war, der in der Konzernstruktur als General Manager, wie es im Englischen heißt, geführt wird. Diese Aussage nahmen Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Thomas Jurk mit, die dem Betrieb in der Kreisstadt einen Besuch abstatteten.
Die Initiative dazu ging vom Arbeitskreis Wirtschaft der Fraktion aus. Bei dem Gespräch mit der Unternehmensführung und beim Rundgang durch den Waggonbau war auch der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Karl Nolle, zugegen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine Hiobsbotschaft für den Nieskyer Betrieb à la Vetschau oder Ammendorf hatten die Gäste ohnehin nicht erwartet, wie der Weißkeißeler Thomas Jurk zu Beginn des Gespräches deutlich machte. Er wies auf das Konzept von Bombardier Transportation hin, dass Niesky eine Perspektive einräumt.
Dieser Standort des kanadischen Konzern Bombardier wird laut Klaus Ludwig 2002 mit hoher Wahrscheinlichkeit schwarze Zahlen schreiben. Aber das zu erwartende Ergebnis sei eher nüchtern zu betrachten, wird so um plus minus null liegen, dämpfte der Werkleiter gleich von vornherein zu hohe Erwartungen. Überhaupt sind fette Jahre, wenn es sie überhaupt in diesem Sinne wirklich gegeben haben soll, vorbei. 1999 war so ein gutes Jahr, da zeigte die Umsatzkurve steil nach oben: 168,3 Millionen Euro.
Da waren wir selbst überrascht. Die Kunden haben damals sehr viele Fahrzeuge bei uns geordert. Außerdem gab es zwei neue Leasing-Partner für die Güterwagen, denkt Ludwig mit etwas Wehmut an diese Zeit zurück. Denn er ist sich sicher: Über ein Volumen zwischen 70 und 80 Millionen Euro wird der Umsatz in diesem und in den nächsten Jahren kaum hinaus gehen.
Und dann ist da auch noch die Zahl der Beschäftigten. Wie die Runde der SPD-Parlamentarier mit Nachdenklichkeit zur Kenntnis nehmen musste, hat der traditionsreiche Nieskyer Waggonbau-Standort - seine Anfänge reichen bis in das Jahr 1835 zurück - ein Schrumpfungsprozess bis an die Grenze des gerade noch Vertretbaren hinnehmen müssen. Von den einst 1724 Mitarbeitern kann man heute nur noch träumen. In den Hallen und Büros gibt es jetzt viel Platz - kein Wunder bei 366 Leuten. Diese Zahl soll in diesem Jahr noch einmal geringfügig nach unten korrigiert werden. Dann könne man von insgesamt 350 Beschäftigten ausgehen, erläuterte Ludwig. Durch die Umsetzung in andere Betriebe des Bombardier-Konzerns und die Ausgliederung von Leistungen sollen diese Arbeitnehmer aber sozial keinen Schaden erleiden, so die Überlegungen im Unternehmen. Eine Entlassungswelle schloss Klaus Ludwig aus. Auf eine entsprechende Frage aus der SPD-Fraktion, ob Niesky möglicherweise von der Situation beispielsweise von Ammendorf profitieren könne, antwortete der Werkleiter mit einem kategorischen Nein.
Im Gegenteil, bei einem privaten Investor könnte für uns daraus ein potenzieller Mitbewerber erwachsen. In diesem Zusammenhang machte der Begriff des Fischens im eigenen Teich die Runde. Ludwig sieht auch in einem Gütertransportzentrum Görlitz-Schlauroth keine durchgreifenden positiven Effekte für den Standort Niesky, abgesehen vom Nutzen, dass für die Region wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Bei allen Problemen, so wurde gestern auch deutlich, hat der Waggonbau in der Kreisstadt nach wie vor mit seinen Produkten in Europa einen guten Ruf. Von Schweden im Norden bis Italien im Süden, von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten reicht das Vertriebsnetz. Bemerkenswert gerade im Hinblick auf die EU-Osterweiterung der Fakt, dass die Nieskyer seit Jahren in den Partnern in Ceska Lipa in Tschechien und Poprad in der Slowakei die beiden bedeutendsten Zulieferer für ihre Waggons haben.
70 Prozent der fertigen Güterwagen werden aus dem Osten zugekauft, die restliche Wertschöpfung von 30 Prozent für das Enderzeugnis wird in unserem Werk erbracht, machte Ludwig die enorme Dimension dieser Zusammenarbeit deutlich. Man kenne sogar die Geschäftsführer dort persönlich, bemerkte der Werkleiter, als er von einem vertrauensvollen Miteinander mit den osteuropäischen Partnern sprach.
Auch dies hörte sich gestern optimistisch mit Blickrichtung Zukunft an - der Waggonbau Niesky ist unter Berufsbewerbern gefragt. So kamen kürzlich auf vier Stellen über 20 Bewerber. Durchschnittlich 20 Lehrlinge befinden sich ständig in der Ausbildung, sechs werden jährlich eingestellt. An Facharbeitern gäbe es keinen Mangel, eher schon an den notwendigen Führungskräften, fügte Klaus Ludwig an. Hier seien wenigstens Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch gefragt. So kurios es klingen mag - der Vertriebsdirektor in Niesky ist gegenwärtig ein Schweizer.
Negativ fiel der Ausblick von Klaus Ludwig aus, was die Perspektive des Gütertransportwesens in Deutschland betrifft. Er sieht keine Trendwende, dass sich der Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert. Auch der Initiative Rollende Landstraße vertraut er nicht. Das alles schlägt negativ auf die Güterwagenherstellung durch. Wie schon gesagt: Die Branche geht schlechten Zeiten entgegen.
(Von Ingolf Tschätsch)