Lausitzer Rundschau, 15.01.2002
Offener Machtkampf in Sachsens SPD
Parteichefin kontra Fraktionschef
DRESDEN. Der voraussichtliche Amtsverzicht von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hat auch bei den sächsischen Sozialdemokraten zu einem offenen Machtkampf zwischen der Landesvorsitzenden Constanze Krehl und dem Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Thomas Jurk, geführt. Anlass der Auseinandersetzung ist die Frage, ob die SPD im Falle eines Biedenkopf-Rücktritts im Landtag auf vorgezogene Neuwahlen dringen soll.
Krehl spricht von "verheerenden Missverständnissen und Überbewertungen", Jurk vom "Streit um des Königs Bart". Dessen ungeachtet konnten sich die beiden Politiker auch auf einer SPD-Präsidiumssitzung Ende vergangener Woche auf keine gemeinsame Strategie einigen. Jurk beharrt weiter darauf, im Landtag Neuwahlen fordern zu wollen, obgleich auch er einräumen muss, dass es dafür im Landtag keine Mehrheit gibt. CDU und PDS lehnen vorgezogene Neuwahlen ab. Dennoch, die Forderung sei legitim, den "Erbschleichern Biedenkopfs" dürfe nicht das Feld überlassen werden, sagt Jurk. Er sieht sich durch Umfrageergebnisse bestätigt. Danach wollen 74 Prozent der Sachsen bei der Bestimmung des Biedenkopf-Nachfolgers mitreden und bei Neuwahlen ihre Stimme abgeben. Krehl hingegen hält die Forderung Jurks für "nicht hilfreich".
Zwischen Jurk und Krehl, die ja als Europa-Abgeordnete nicht im Landtag vertreten ist, hatte es in der Vergangenheit immer wieder Reibungen gegeben. Im Herbst vergangenen Jahres handelte sich Jurk eine öffentliche Rüge der Parteichefin ein, als er den Erfolg des Sparkassen-Volksentscheides gemeinsam mit der PDS feiern wollte. Beide, Jurk und Krehl, machen sich Hoffnungen, 2004 die SPD als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf führen zu können, obgleich in dieser Sache Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee als der eigentliche Favorit gilt. Vor allem aber ist die Frage, wer die Linien der Landespolitik der sächsischen SPD bestimmt, bislang ungeklärt geblieben - "was Opposition machen soll", wie es Krehl formuliert.
Der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle (SPD), der sich in den vergangenen Monaten vor allem damit beschäftigte, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zu attackieren, ist nun dazu übergegangen, seine Parteivorsitzende zu demontieren. Krehl solle den "öffentlichen, selbstmörderischen Konfrontationskurs" gegen Jurk und die Fraktion beenden, um weiteren Schaden für die Partei abzuwenden, sagt Nolle. Er ist sich sicher, die Fraktion werde einen Antrag auf Auflösung des Landtages und Neuwahlen in den Landtag einbringen, obgleich die Entscheidung darüber erst morgen in einer Fraktionssitzung fallen soll.
Für seinen Fraktionskollegen, den DGB-Landesvorsitzenden Hanjo Lucassen (SPD), hingegen ist die ganze Diskussion "überflüssig wie ein Kropf" und "unverständlich". Die Diskussion müsse sofort beendet werden. Ein Kandidatenschaulaufen für die Landtagswahl 2004 sei verfrüht, das bringe die SPD nicht nach vorn, sagt Lucassen, der Realismus anmahnt. Zwar müsse die Opposition jede Gelegenheit nutzen, um ihren Willen zur Macht zu zeigen. Aber dann müsse wieder Schluss sein.
(Von Ralf Hübner)