DNN/LVZ, 12.08.2002
Mit alter Führung zu neuen Ufern
Dämpfer für die SPD-Landeschefin - Parteitag in Zwickau bestätigte Constanze Krehl mit nur 69 Prozent im Amt
ZWICKAU. Am Ende ging Constanze Krehl erstmal an die Kaffeetheke, trank - noch leicht gerötet und mit glasigen Augen - ein Tässchen in vertrauter Runde. Eben war sie als Landeschefin bestätigt worden vom SPD-Parteitag im Ballhaus "Neue Welt" in Zwickau, und die Anspannung der vergangenen Stunden wollte nur langsam weichen. Zwei Ziffern prägten das Szenario zwischen Milchtopf und Aschenbecher: sechs und neun, macht 69 Prozent der Delegiertenstimmen für die 45-Jährige - nicht gerade berauschend. "Ein ehrliches Ergebnis", sagte Krehl gefasst, was so viel heißt wie: Es hätte schlimmer kommen können.
Hätte es, aber nicht am Wochenende in Zwickau. Denn klar war, dass im Westsächsischen die Einheit der SPD im Vordergrund stand. "Erneuerung und Zusammenhalt", das offizielle Motto des Parteitags, war im zweiten Teil Programm. Entsprechend fielen die Reden aus. Erst stimmte Bundesfinanzminister Hans Eichel die 134 Delegierten auf den Wahlkampf ein, lobte die Bundes-SPD ("auf richtigem Weg") und attackierte Edmund Stoibers CDU/CSU-Kompetenzteam ("Leute von gestern"); dann tat Rolf Schwanitz, der SPD-Ostbeauftragte im Bund, dasselbe. Als Krehl dann selbst das Rednerpult erklomm, war bereits alles gesagt, nur kein Wort zu den Querelen im sächsischen SPD-Landesverband.
Das tat auch die Landeschefin nicht. Hatte Juso-Chef Martin Dulig im Vorfeld noch den "Mangel an Kreativität" beklagt, beschwor sie jetzt die "innerparteiliche Kommunikation". Hatte es zwischen ihr und der SPD-Landtagsfraktion beim Thema Sparkassen-Volksbegehren vor Monaten noch geknirscht, gerann ihr dies zu einem "guten Stück sozialdemokratischer Profilierung". Betretenes Schweigen im Saal. Doch Krehl kriegte die Kurve: Vehement plädierte sie für ein Regierungsprogramm mit SPD-Handschrift und setzte eigene Duftmarken.
"Leuchttürme", meinte Krehl kritisch in Richtung CDU-Wirtschaftspolitik in Sachsen, "stehen oft nur allein in der Gegend herum", sinnvoller seien neue Wege zur Förderung des Mittelstands. So müsse dem Bausektor geholfen werden, "Übergangsgeld" für den freiwilligen Rückzug vom Markt lautet das Stichwort. Und als Krehl zum Frontalangriff auf die Union blies, erst die 30-Prozent-Marke bei der Bundestagswahl anpeilte und dann die Abwahl der CDU 2004 im Freistaat forderte, gab es gar Bravo-Rufe im Saal - ein für die SPD-Chefin so faszinierend-ungewohntes Bild, dass sie es gleich wiederholte.
Der Rest war Zahlenwerk, ohne große Überraschung, die Landes-SPD kann mit alter Führung neue Ufer anpeilen. Krehl erhielt 90 von 130 gültigen Stimmen, die zwei Stellvertreterposten gingen an Schwanitz (83 Stimmen) und die Bundestagsabgeordnete Barbara Wittig (79). Ober-Juso Dulig fiel zwar durch, konnte aber einen kleinen Achtungserfolg erzielen: 53 Delegierte votierten für den Dresdner.
Dass es dennoch kritische Stimmen gab, gehört zum Prozedere. Von einem "Pyrrhussieg" sprach ein Delegierter, SPD-Profil sei mit Krehl kaum zu gewinnen. Der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle formulierte es verschmitzter: "69 Prozent - das zeigt den Grad der Zufriedenheit."
Von JÜRGEN KOCHINKE
Meine Meinung: Burgfrieden geschlossen
Im Wahlkampf ist Zwist für Parteien schlicht tabu. Man stimmt sich ein, probt Kampfesmut - Disziplin statt innerer Querelen. Das prägte auch das Treffen der Sachsen-SPD in Zwickau. Trotz Kritik an einer farblos-überforderten Parteispitze im Vorfeld blieb den Delegierten nichts anderes übrig, als Landeschefin Krehl wieder zu wählen, zähneknirschend.
Wie brüchig der Burgfrieden ist, zeigt das Ergebnis. Gerade mal 69 Prozent erhielt die Landeschefin - ohne Gegenkandidaten, und obwohl sie mit einer passablen, in Teilen sogar guten Rede über sich hinaus wuchs. Das grenzt an Sadismus, spiegelt aber auch die Lage. Seit der verheerenden Wahlschlappe von '99 ist die SPD noch immer dabei, sich neu zu sortieren. Dabei ist die Krehl-Wahl weder Sieg noch Niederlage, sondern nur die Verlängerung einer Zwischenlösung. Und unter der Hand demonstriert dies: Hinter Tiefensee - dem virtuellen Spitzenkandidaten für 2004 - kommt lange nichts.
Von JÜRGEN KOCHINKE