Freie Presse - Online, 08.10.2002
Die Asyl-Sardinen von Rossau
Das Dorf führt eine Skandal-Liste zum Kreis Mittweida an
DRESDEN. Verschwörungstheoretiker wissen Bescheid: Die „23“ ist eine Illuminaten-Zahl. Häuser, die von dem mysteriösen Geheimbund angeblich als Quartier genutzt werden, tragen die Nummer 23. Die Zahl taucht auf Dokumenten auf, die den Illuminaten zugeschrieben werden, sie soll Erkennungszeichen und Code sein. Nun hat auch Sachsen seine 23.
23 Fälle von „Betrug, Rechtsbeugung, Untreue und Vorteilsname im Landkreis Mittweida“ hatte der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle am Dienstag aufgelistet, als er in Dresden vor die Presse trat. Nolle ist der Verschwörungs-Spezialist der sächsischen SPD, immer auf der Jagd nach Amigos, vorzugsweise nach welchen aus der CDU.
In Mittweidas Landrat Andreas Schramm glaubt Nolle einen solchen ausgemacht zu haben - weil sich in Mittweida die Skandale häufen. „Irgendwo muss da ein Nest sein“, sagt der Amigo-Jäger. Nach dem Pleite gegangenen Bauunternehmer Heribert Kempen in Penig und dem blockierten Recyclingunternehmer Gerald Schmidt in Tiefenbach gibt es den „Fall Rossau“, der allein für 17 Punkte auf Nolles 23er-Liste gut war.
In Rossau haben Bürgermeister Horst Glöß (Freie Wähler) und fünf westdeutsche Geschäftsleute Anfang der 90er Jahre eine Firma gegründet, deren Zweck die Erschließung eines Gewerbegebietes war. Das Rossauer Gewerbegebiet wurde zum Vorzeigeobjekt, mit dem viel Geld verdient worden ist - stets zum Nutzen der Geschäftsleute, aber nicht immer zum Nutzen der Gemeinde.
SPD-Mann Nolle wirft Bürgermeister Glöß jetzt unter anderem vor, die Kommune um mehrere Millionen Euro gebracht zu haben. Das ist der Gewinn, den die Gemeinde nicht hätte mit den Geschäftsleuten teilen müssen, wenn sie das Gewerbegebiet selbst erschlossen hätte. In anderen Orten ist das so gemacht worden. Landrat Schramm kommt indirekt ins Spiel, weil er keine Sanktionen gegen Bürgermeister Glöß verhängt hat, und das auch nicht tun will.
Eine direkte Verbindung zwischen dem Landratsamt und der in Rossau gegründeten Grundstücks-, Entwicklungs- und Verwertungs GmbH (GEV) hat es beim Asylbewerberheim Rossau gegeben. Die Gesellschaft befand sich im Besitz der Geschäftsleute Josef Ball, Joachim Westerhoff, Hans-Joachim Schroeter, sowie Volker und Maria Cramer und der Gemeinde, als sie 1996 die ehemalige Maschinen-Traktoren-Station im Dorf in ein Asylbewerberheim umbauen ließ. Mit dem Landratsamt wurde ein Betreibervertrag abgeschlossen, welcher der GEV für 69 bereitgestellte Plätze rund 27.000 Mark im Monat einbrachte. Später senkte das Landratsamt den Preis pro Platz für die Asylbewerberheime im Landkreis. Nun hätte die GEV nur noch 20.000 Mark monatlich einnehmen können. Sie bekam aber 33.000 Mark, weil das Rossauer Asylheim plötzlich 112 Plätze hatte.
„Die Erhöhung der Kapazität kam durch den Ausbau des Dachgeschosses zu Stande“, sagt der frühere Geschäftsführer Joachim Westerhoff. Allerdings besaß das Dachgeschoss nicht mal ein Drittel der Fläche im Gesamtheim. Mit einem Drittel mehr Fläche will die GEV zwei Drittel mehr Plätze erzielt haben.
Ein Architekt, der das Objekt nach einem Eigentümerwechsel vermessen hat, stellte fest, dass es im Heim sogar nach dem Ausbau insgesamt nur 59 Plätze gegeben hat. Sprich: Hätte das Landratsamt jemals 112 Asylbewerber nach Rossau verlegt, wären sich die Flüchtlinge wie Asyl-Sardinen vorgekommen.
Landrat Schramm zuckt mit den Schultern: Die Kapazitätserweiterung sei vom Ordnungsamt überprüft und für korrekt befunden worden.
(Mario Ulbrich)