Freie Presse - Online, 28.11.2001
Diktat oder Protokoll für Freund Biedenkopf?
Ein Brief taucht auf und gibt Paunsdorf neue Note – CDU: Aktenberge verschoben
DRESDEN. Hoch waren die Mietpreise im Nachwende-Boom 1993, gering das Angebot. Mächtig war die Position des sächsischen Ministerpräsidenten, nahezu ausgeschlossen Kritik an dessen Regierungsstil. Voller Überzeugung hatte Kurt Biedenkopf damals seinem Freund Heinz Barth ein Investitionsobjekt im Leipziger Stadtteil Paunsdorf mit Behörden und passenden Konditionen ausgestattet. Eine Hand wäscht die andere: Barth sollte für sein Engagement belohnt werden. Ein unternehmerisches Risiko war nahezu ausgeschlossen. Dabei habe Biedenkopf dem Freistaat erheblichen finanziellen Schaden zugefügt, wird die Opposition nicht müde zu wiederholen. Als weiterer Beweis soll jetzt ein Schreiben von Barth an Biedenkopf dienen: Danach hat der Ministerpräsident die Erwartungen seines Kölner Vertrauten eins zu eins in einem dienstlichen Vermerk an den damaligen Finanzminister Georg Milbradt weitergeleitet.
Der delikate Brief von Barth an Biedenkopf war bisher verschwunden. Keine Ahnung will die Staatskanzlei haben, wie das passieren konnte. Dabei ist er ein Teil der Unterlagen, die der Paunsdorf-Untersuchungsausschuss von dem Baulöwen angefordert hatte. Als Urheber einer Weitergabe an die Öffentlichkeit wittert Regierungssprecher Michael Sagurna den Biedenkopf-Jäger
Karl Nolle. „Natürlich verstößt das gegen alle Regeln“, stellte Sagurna gestern kühl fest, während Nolle bereits ein erstes Echo einfing und garniert mit neuen Tiraden auf den Ministerpräsidenten sein Aufklärungswerk kommentierte.
Er habe schon etliche Untersuchungsausschüsse erlebt. „Dass jedoch ganze Aktenberge verschoben wurden noch nicht“, zeigte sich Peter Jahr (CDU), Ausschussvorsitzender der CDU über die vermeintliche neue Nolle-Nummer aufgebrachter als über den Inhalt der Vorwürfe. Dem SPD-Sprachrohr gehe es mit der „Wiederholung alter Hüte“ weniger um die Sache als darum, Biedenkopfs Ansehen zu schädigen und die Befriedigung seiner Schlagzeilen-Sucht.
Dabei hat es Nolle erneut geschafft, den Ministerpräsidenten mit kompromittierenden Fakten aus der Reserve zu locken. Zu verblüffend wirkt auf den ersten Blick die Gegenüberstellung des Barth-Briefes vom 29. Juni 1993 mit dem Dienstvermerk Biedenkopfs vom 1. Juli an Milbradt. Ob Quadratmeter-Angabe für den Rechnungshof (ca. 3800), für das Staatsarchiv (7400) und die Landespolizeidirektion (1875) wie der ausgehandelte Mietpreis, mit dem Barth mit 23,57 Mark an die unterste Grenze des Machbaren gegangen sein wollte: Biedenkopf gab alles fast wortgetreu seinem Finanzminister weiter.
Doch Nolles Skandal-Geschrei relativiert sich bei kühler Betrachtung der Details: Biedenkopf erteilte Milbradt keine Anweisung, sondern schreibt im Protokoll-Stil „Es ist beabsichtigt“. In Sorge, dass Freund Barth seinen 50-prozentigen Abschreibungsvorteil verlieren könnte, drängte er auf eine „alsbaldige“ Entscheidung. Die Gebäude mussten bis zum 31. Dezember 1994 fertiggestellt sein. Einige Barth-Wünsche waren, darauf verwies Sagurna gestern, zum Zeitpunkt des Biedenkopf-Schreibens bereits erfüllt. So fand die Beurkundung des Mietvertrages für den Rechnungshof bereits am 24. Juni 1993 statt.
Von SPD-Nolle will sich PDS-Hahn nicht die Butter vom Paunsdorf-Brot nehmen lassen. 30 Millionen Mark schwer wiege der Schaden, den Biedenkopf dem Land zugefügt habe, rechnete der parlamentarische Geschäftsführer der Sozialisten hoch, weil Biedenkopf ein Ankaufsrecht für das Bürocenter von 15 Jahresmieten angeregt habe, obwohl Barth auch 13 angeboten habe. Hahn will den Ministerpräsidenten nun ein weiteres Mal vor den Untersuchungsausschuss laden und die Frage klären lassen, „warum Biedenkopf widerspruchslos als verlängerter Arm Barths agierte“.
Der Ministerpräsident habe Parlament und Ausschuss belogen, indem er bestritten habe, dass ihm Barth die Bedingungen für Paunsdorf diktiert habe, liess Drucker Nolle gestern auflagenstark verbreiten. Das bestreitet die Staatskanzlei, denn Biedenkopf habe Barths Brief quasi bestellt.
(Hubert Kemper)